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Edmund Stoiber: Die Neugierde bleibt

Von Werner Weidenfeld

Besprechung des Buches:
Edmund Stoiber, Weil die Welt sich ändert: Politik aus Leidenschaft – Erfahrungen und Perspektiven, Siedler Verlag, München 2012, 320 Seiten, 22,99 Euro

28.09.2012 · Handelsblatt



Seine ungewöhnlich erfolgreiche Karriere weckt große Neugierde. Aus kleinen Verhältnissen arbeitet er sich fleißig und ehrgeizig nach oben. Die historische Figur Franz-Josef Strauß entdeckt und fördert ihn. Er wird Minister, amtiert 7 Jahre. Dann wird er Ministerpräsident für 14 Jahre, CSU-Vorsitzender für 8 Jahre – und gewinnt bei der Landtagswahl 2003 sogar eine 2/3 Mehrheit der Sitze. Einige Jahre später (2007) aber stürzt ihn seine eigene Partei erbarmungslos. Diese doppelte Kampfgemeinschaft namens CSU zögert keine Minute, Edmund Stoiber knallhart, eiskalt abzuservieren.

Über diese dramatisch profilierte Biographie will man vieles wissen, was bisher verborgen blieb, so beispielsweise

  • Wie hat Franz-Josef Strauß seinem Zögling Edmund Stoiber die schier unschlagbare Machttechnik beigebracht?

  • Wie hat Edmund Stoiber dann den dramatischen Kampf, ja die Schlacht um das Amt des Ministerpräsidenten gegen Theo Waigel vorbereitet und geführt?

  • Wie hat Stoiber sein Veto gegen die Einführung des Euro überspielen lassen und mutierte dann zum engagierten Europa-Befürworter?

  • Warum ist Stoiber 2005 von der Kür zum Bundesminister ins Kabinett Merkel kleinlaut und kläglich nach München zu seiner tief enttäuschten Bavaria zurückgekehrt?

  • Wie ließ sich dieser Macht-Riese dann plötzlich verzwergen und abservieren?

Entsprechend gespannt schlägt der Leser das Buch auf – die Autobiographie jenes Machttitanen. Manche der Fragen werden beantwortet, etliche aber nicht.

Zumindest ist man angerührt. Er schildert flüssig seine Kindheit und Jugend: Indianerspiele, Fußball, Studium, Studentenunruhen, Heirat. Der Hochschulassistent wird Referent im Ministerium und dann erzählt er Anekdote für Anekdote aus dem Umfeld Strauß – nicht jedoch, was jeder seiner damaligen Kollegen berichtete: Abends hielt Strauß oftmals ein Kolleg in lateinischer Sprache, für die meisten kaum verstehbar. Aber Edmund Stoiber konnte diese Sätze am nächsten Morgen immer auswendig – Nachtarbeit. Was man in dem Anekdotenschatz auch nicht findet, wie er in politischen Dialogen des Franz-Josef Strauß, die dieser oftmals freundlich und verbindlich führte, als alter ego aufsprang und mit beißender Schärfe eingriff. Beide konnten also pittoreske Szenen liefern.

Nach alledem nähert man sich jenen Stellen, auf die man besonders gespannt ist – die diversen Machtkämpfe. Aber da erfährt man, was einem bereits frühere Zeitungslektüre vermittelte. Wie er gegen den Euro focht, wird nur lapidar erwähnt: „Ich will die Euro-Debatte der Neunzigerjahre hier nicht in allen Einzelheiten nachzeichnen. Ich weiß, dass ich Helmut Kohl und vor allem Theo Waigel in dieser Zeit ziemlich auf die Nerven gegangen bin.“ Karger und knapper kann man das damalige große Drama nicht beschreiben.

Dann erfährt man, dass Stoiber ein schönes Frühstück mit Angela Merkel in Wolfratshausen gehabt hat. Anschließend haben ihm einige wenige tausend Stimmen zur Kanzlerschaft gefehlt, weil er – anders als Gerhard Schröder – nicht angemessene Hochwasser-Besucher-Szenen lieferte. Das alles stimmt – aber ist es wirklich alles, was damals die dramatischen Machtkämpfe ausmachte – vor allem mehrfach die Schlacht Stoiber gegen Waigel? Dann interessieren auch die Auseinandersetzungen mit Huber und Beckstein, seine früher so treuen Eleven. So eloquent Stoiber seine politischen Gefühle, Perspektiven und Visionen zum Ausdruckt bringt, so schweigsam bleibt er zu den Schlüsselthemen des politischen Kampfes. So mag man autobiographisch an politischen Mythen der Staatsmänner feilen – ein gültiges historisches Bild hat man aber noch nicht geliefert.

Es bleibt nur die Anregung an Edmund Stoiber, bald einen zweiten Band seiner Autobiographie zu liefern. Sein früherer Kollege im Vorsitz der Schwester-Partei, Helmut Kohl arbeitet bereits an Band 4. Zu früh ist das Bild der politischen Leistung im Blick der Geschichte nirgendwo fertig gestellt.

Edmund Stoiber lässt es in seiner Autobiographie allerdings nicht beim Rückblick bewenden. Er wendet sich entschlossen auch den Zukunftsproblemen zu. Aus seiner Sicht besteht dringender Handlungsbedarf zur Zukunft und Reform der Demokratie. Er will u.a. die Legislaturperioden verlängern, weil Demokratie mehr Zeit braucht. Bei der Buchvorstellung widersprach ihm seine Laudatorin Angela Merkel sofort. Der Disput des Edmund Stoiber geht also weiter. Darauf ist Verlass.


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