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Druck einziges Mittel gegen widerspenstige EU-Mitglieder

Polen: "Quadratwurzel oder Tod"

Sanktionen sind nur bei Verletzung der Grundwerte vorgesehen

Von Kathrin Klöpfer, heute.de

21.06.2007 · heute.de



"Quadratwurzel oder Tod" - mit diesem Slogan hat sich Polen vehement gegen das schon ausgehandelte Abstimmungsprinzip der doppelten Mehrheiten in der EU gestellt. Doch auch wenn nur ein Land ausschert: Das einzige Mittel der anderen ist politischer Druck. Rechtliche Sanktionen gegen widerspenstige Mitglieder sind in der EU nicht vorgesehen.

Eigentlich war schon alles abgemacht, im Frühsommer 2004. Im Verfassungsvertrag war die künftige Gestalt der EU festgelegt, und auch, wer künftig wie viel zu sagen haben sollte im Europäischen Rat, in dem Vertreter aller Mitgliedsstaaten zusammensitzen. Dann lehnten Franzosen und Holländer in Volksabstimmungen die EU-Verfassung ab. Jetzt will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Ratspräsidentin beim Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel wenigstens einen Teil der Bestimmungen retten - doch Polen stellt sich beim Prinzip der doppelten Mehrheiten quer.

Hinweis auf Finanzverhandlungen

Sanktionsmöglichkeiten haben die übrigen Staaten keine, auch wenn nur ein Land die 26 anderen Mitglieder blockiert. "Die übrigen Länder können nur den Druck erhöhen und die politische Rhetorik verschärfen", sagt Janis A. Emmanouilidis, EU-Experte am Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P) der Universität München. Im Fall von Polen könne das der Hinweis sein, dass man sich den jetzigen Widerstand merke: für die nächsten Finanzverhandlungen oder wenn es um das Verhältnis zu Russland oder Energiefragen gehe.

"Rechtliche Sanktionen gibt es keine", stellt Emmanouilidis klar. Strafen seien in der EU bei Meinungsverschiedenheiten nicht vorgesehen, nur wenn die Grundwerte verletzt werden, kann Brüssel eingreifen - wie in Österreich, als 1999 die konservative ÖVP eine Koalition mit der FPÖ des Rechtspopulisten Jörg Haider einging.

Warum leistet Warschau heute Widerstand, obwohl es vor drei Jahren das Prinzip der doppelten Mehrheiten mitunterschrieben hat? "Auch damals war Polen schon dagegen", sagt Emmanouilidis. Wie das ähnlich große Spanien sah es sich durch die Abstimmungsreform gegenüber den großen EU-Mitgliedern benachteiligt.

Spanien stimmt zu, Polen ist isoliert

Doch nach dem Wahlsieg des pro-europäischen José Luis Rodriguez Zapatero über den Ministerpräsidenten José María Aznar stimmte Madrid schließlich doch zu. Polen war isoliert und gab nach. Mittlerweile haben die Spanier den Verfassungsvertrag in einer Volksabstimmung angenommen. "Von daher herrscht auf der iberischen Halbinsel kein Interesse daran, das Paket noch mal aufzuschnüren", sagt Emmanouilidis.

In Warschau ist das ganz anders, hier gibt es eine Reihe von Gründen für den Widerstand. "Polen sieht sich stark benachteiligt gegenüber den großen EU-Staaten", sagt Emmanouilidis. Dazu kommen die Vorbehalte von Präsident und Ministerpräsident gegenüber dem westlichen Nachbarn: "Das Deutschland-Bild in den Köpfen der Kaczynski-Brüder spielt eine Rolle", sagt Emmanouilidis. Sie sähen die Gefahr, dass Deutschland die EU durch die neuen Regeln dominieren würde.

Auch zu dem Vorwurf, sich nicht an schon Unterschriebenes zu halten, hat Emmanouilidis die polnische Sicht der Dinge parat: "Auf dem Gipfel in Brüssel wird ohnehin Abschied von dem Verfassungsvertrag von 2004 genommen", sagt er. Wenn der Entwurf geändert werde, sei das für Polen eine willkommene Rechtfertigung, auch die Frage der doppelten Mehrheit noch mal anzugehen.

Kompromiss erwartet

Herauskommen wird wohl ein Kompromiss. "Es gibt keinen Staat, der den Gipfel gegen die Wand fahren möchte", sagt Emmanouilidis. So könnten sich die Staats- und Regierungschefs zwar grundsätzlich auf den abgespeckten Verfassungsvertrag einigen, aber gleichzeitig eine Regierungskonferenz einberufen, die Detailfragen klären soll. "Dann hätte Kanzlerin Merkel den Erfolg, wesentliche Elemente gesichert zu haben, und Polen könnte sich darauf berufen, dass die Ausgestaltung der doppelten Mehrheit noch mal diskutiert wird", sagt der EU-Experte.

Damit stünde am Ende zwar eine Reform der Abstimmungen - doch "Quadratwurzel oder Tod" wird wohl nicht die letzte Veto-Drohung in der EU gewesen sein. Denn auch dann gilt: Grundsatzentscheidungen müssen einstimmig getroffen werden.


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