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Europas Außenpolitik in einer globalisierten Welt

Ein Artikel von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Quellenangabe: Politicum 100: Zukunft, 28. Jahrgang, März 2007

Medieninhaber und Herausgeber: Verein für Politik und Zeitgeschichte in der Steiermark, Graz

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20.04.2007 · Politicum 100 (Österreich)



Der Prozess der europäischen Integration war lange Zeit von ökonomischen Aspekten geprägt. Außenpolitische Komponenten stellten dabei zunächst die Außenwirtschafts- und die Entwicklungspolitik dar. Mit Gründung der Europäischen Union wurden auch klassische außen- und sicherheitspolitische Themen auf die europäische Agenda gehoben. Trotz Defiziten in den operativen Kapazitäten hat sich die EU seitdem zu einem globalen politischen Akteur mit einer regionalen Fokussierung entwickelt.

Jahrzehntelang feierte das europäische Integrationsprojekt überwiegend mit ökonomischen Themen Erfolge, angefangen mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft bis hin zum Projekt des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Außen- oder gar verteidigungspolitische Überlegungen, wie sie beispielsweise in den Plänen zur letztlich gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft expliziert wurden, konnten indes lange Zeit keine Zustimmung finden. Angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion orientierten sich die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft (EG) in ihren sicherheitspolitischen Ansätzen in erster Linie an den Vereinigten Staaten und am nordatlantischen Verteidigungsbündnis, der NATO. Von Fragen der „high-politics“ abgesehen, besaß die Entstehung eines wirtschaftlich integrierten Europas jedoch eo ipso auch eine außenpolitische Dimension, die sich nicht zuletzt in einer Veränderung von internationalen Handelsströmen zeigte. Darüber hinaus leistete die EG bereits im Rahmen der EWG Verträge Entwicklungshilfe für ehemalige Kolonien der EG-Mitgliedsstaaten. In der Folge wurden diese Maßnahmen durch die Partnerschaftsabkommen von Jaunde, Lomé und Contonou weiterentwickelt.

Erst nachdem sich die geopolitischen Bedingungen in Europa durch das Ende der Ost-West-Konfrontation wandelten und das europäische Integrationsprojekt in Form der Europäischen Union (EU) eine politische Ausgestaltung erhielt, wurden auch klassische Fragen der Außenpolitik Thema gemeinsamer europäischer Politik. Im Vertrag von Maastricht wurde die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweite Säule der EU etabliert. Die rudimentären Strukturen und Prozesse, die dabei geschaffen wurden, erwiesen sich freilich schnell als unzureichend zur Handhabe der sich stellenden Herausforderungen. Der Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien und die sich anschließenden blutigen Bürgerkriege auf dem Balkan zeigten schnell die Grenzen der GASP auf. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten waren weder politisch und noch weniger militärisch in der Lage, den Entwicklungen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Einhalt zu gebieten.

Die institutionelle und konzeptionelle Ausdifferenzierung europäischer Außenpolitik

Angetrieben von Ereignissen auf der weltpolitischen Bühne wie den Bürgerkriegen auf dem Balkan, zerfallenden Staaten in Afrika, der Bedrohung durch den transnationalen Terrorismus und dem Risiko einer internationalen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, befindet sich die außenpolitische Komponente der EU seit Mitte der 1990er Jahre in einem kontinuierlichen Prozess der institutionellen und konzeptionellen Weiterentwicklung. Der Vertrag von Amsterdam schuf den Posten eines Hohen Repräsentanten der Außen- und Sicherheitspolitik, der seit 1999 vom ehemaligen NATO-Generalsekretär Javier Solana bekleidet wird. 1998 starteten Frankreich und Großbritannien eine Initiative, die EU mit einer militärischen Komponente auszustatten. Dieser Vorschlag wurde durch die Europäischen Räte in Köln und Helsinki 1999 aufgenommen und durch die Schaffung entsprechender institutioneller Strukturen innerhalb der Architektur der EU sowie Zusagen der Mitgliedsstaaten zur Bereitstellung der notwendigen militärischen Kapazitäten umgesetzt. Der Vertrag von Nizza nahm die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) auch formal als militärische Dimension der GASP mit auf.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends und in Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 samt den folgenden Verwerfungen in den internationalen Beziehungen, entwickelte die EU das konzeptionelle Fundament ihres außenpolitischen Handelns weiter. Mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) aus dem Jahr 2003 verfügt die EU erstmal über ein Referenzdokument zur sicherheitspolitischen Ausrichtung ihrer Außenpolitik. Proliferation von Massenvernichtungswaffen, Staatszerfall, Organisierte Kriminalität, Terrorismus und regionale Konflikte werden in der ESS als die fünf Hauptbedrohungsszenarien für die EU bezeichnet. Peripher erwähnt werden zudem ökologische Probleme, Migration sowie die Sicherstellung der Energiesicherheit Europas. Vor allem diese letztgenannte Frage hat seitens der Mitgliedsstaaten und der Kommission im Verlauf des Jahres 2006 eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Als Nachtrag zur ESS fertigte Javier Solana ein Strategiedokument über den außenpolitischen Beitrag zur europäischen Energiesicherheit an.

Die ESS gab zudem einen Impuls zur weiteren Entwicklung der sicherheitspolitischen Kapazitäten der EU. So verabschiedeten die Mitgliedsstaaten im Jahr 2004 zwei Aktionspläne, einen zu militärischen und einen zu zivilen Komponenten von ESVP-Missionen. Der Fokus dieser Dokumente liegt auf planerischer Kohärenz, Mobilität und Kooperationsfähigkeit. All diesen Strategiedokumenten und Aktionsplänen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Europas Sicherheit zum einen in einem weiteren Sinne zu begreifen ist als dies im Zeitalter des Nationalstaatsparadigmas der Fall war und zum anderen, dass Europa handlungsfähig und -willig sein muss, um seinen sicherheitspolitischen Interessen gerecht werden zu können. Europäische Außenpolitik findet jedoch auch neben diesen sicherheitspolitischen Kernbereichen statt. Die wirtschaftliche Dynamik, die sich in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete, war in nicht unerheblichem Maße durch außenwirtschaftliche Verflechtung über die Grenzen des Kontinents hinaus gestützt. Die Idee der wirtschaftlichen Liberalisierung und Kooperation, die das europäische Binnenverhältnis prägte und prägt, wird von der EU daher auch nach außen vertreten. Die EU tritt dementsprechend traditionell für einen freien Welthandel ein. In den Verhandlungen des Welthandelsregimes (GATT) verfolgen die Mitgliedsstaaten bzw. die Europäische Kommission bis heute stets eine liberale Agenda. Aufgrund ihrer weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen ist die EU in ganz erheblichem Maße darauf angewiesen, dass gerade die besonders prominent mit dem Begriff der Globalisierung verknüpfte Entgrenzung der Güter- und Dienstleistungsmärkte sowie die Mobilität von Kapital aufrechterhalten werden. Ein wesentliches Ziel europäischer Außenpolitik ist es daher, neben einer Senkung von Zöllen und dem Abbau von Kapitalkontrollen, den politischen Rahmen aufrechtzuerhalten bzw. auszubauen, der notwendig ist, um offene Grenzen und funktionierende Märkte sicherzustellen. Um diese Zielsetzung zu verwirklichen, verfolgt die EU in der Regel einen kooperativen Ansatz, in dem gemeinsam mit wichtigen Partnern, allen voran den Vereinigten Staaten, und unter Rückgriff auf multilaterale Foren wie der Vereinigung der wichtigsten Industrienationen (G-7 bzw. G-8) oder die internationalen Finanzinstitutionen, den Internationale Währungsfond (IWF) oder die Welthandelorganisation (WTO), Regeln und Prozeduren für die Weiterentwicklung internationaler Handels- und Finanzregimes sowie die friedliche Beilegung von Streitfragen zu schaffen.

An der Schnittstelle von außenwirtschaftlichem und sicherheitspolitischem Interesse sowie normativen politischen Grundhaltungen liegt zudem die Entwicklungspolitik der EU. Im Verlauf der 1990er Jahre wurde die klassische Entwicklungshilfe dabei zunächst um die Förderung von Demokratie und Menschenrechten ergänzt. In Anbetracht fortgesetzten staatlichen Zerfalls in Afrika, der auch vermeintliche Musterländer der Entwicklungspolitik wie Ruanda erfasste, wurde jedoch bald auch die sicherheitspolitische Relevanz von Entwicklungszusammenarbeit thematisiert. Die EU-Strategie ist seitdem grundsätzlich auf die Schaffung „struktureller Stabilität“ in Entwicklungsländern ausgerichtet. Mit dieser Zielsetzung leistet die EU Hilfe bei politischen und rechtsstaatlichen Reformen, die die Funktionsfähigkeit der vorhandenen Institutionen erhöhen. Die unterstützten Länder sollen so in die Lage versetzt werden, ihre Probleme selbstständig lösen zu können. Gefördert werden zudem ökologische, soziale und ökonomische Maßnahmen, die einer nachhaltigen Entwicklung zuträglich sind. Europäische Entwicklungspolitik ist damit wesentlich breiter angelegt als dies zuvor der Fall war.

Viel erreicht und noch viel zu tun

Die europäische Außenpolitik hat sich seit dem Vertrag von Maastricht konzeptionell und institutionell erheblich fortentwickelt. In einer globalisierten Welt ist die EU ein globaler Akteur mit regionalen Handlungsschwerpunkten. Vor allem auf dem Balkan und in Afrika ist die EU auch militärisch engagiert. Trotz aller Fortschritte übersteigen die Ansprüche, die die EU an sich selbst hegt bzw. die andere an sie stellen, bisweilen ihre tatsächlichen Handlungskapazitäten. Abhilfe ist hier zum einen durch die erwähnten Aktionspläne zur weiteren Ausgestaltung der ESVP zu erhoffen, deren Umsetzung bereits erfolgreich auf den Weg gebracht wurde. Darüber hinaus wurde im Europäischen Verfassungsvertrag eine Reihe von Vorschlägen zur Reform der institutionellen Strukturen und rechtlichen Grundlagen der GASP insgesamt sowie der ESVP im Speziellen gemacht, die auch nach dessen (vorläufigem) Scheitern eine wertvolle Richtschnur zur weiteren Entwicklung der außenpolitischen Komponente der EU darstellen.


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