Weltmacht der Zukunft
Die Bertelsmann Stiftung hat in einer Studie nach den künftigen Weltmächten gefragt.
02.06.2006 · Financial Times Deutschland
Mehr als 10.000 Menschen hat die Bertelsmann Stiftung Anfang des Jahres in den USA, Russland, Brasilien, China, Indien, Japan, Frankreich, Deutschland und Großbritannien in einer repräsentativen Untersuchung befragt. "Wir wollten einfach mal wissen, was die Bevölkerung tatsächlich denkt und fühlt", erklärt Norbert Osterwinter von der Bertelsmann Stiftung die Motivation für die Studie "Weltmächte im 21. Jahrhundert". "Wichtig war uns dabei auch zu erfahren, welche Rolle die Europäische Union spielt." Denn spätestens während des Irak-Krieges habe sich gezeigt, dass die EU keine gemeinsame Sprache oder Politik vorweisen könne.
Und das zeigt sich auch in den Ergebnissen der Studie: Nur die Europäer selbst betrachten die EU heute und auch in Zukunft als Weltmacht. Fast 50 Prozent der Franzosen, 53 Prozent der Engländer und sogar 75 Prozent der Deutschen halten die Europäische Union schon heute für einen Global Player - im Gegensatz zu nur 32 Prozent der weltweit Befragten.
"Die Europäer überschätzen sich da ziemlich", sagt Osterwinter. "Sie werden zwar weltweit als sehr sympathisch empfunden, aber trotzdem nicht als kommende Weltmacht wahrgenommen - trotz der immensen wirtschaftlichen Kraft, die hier gebündelt ist."
Wirtschaftliche Stärke als zentrale Eigenschaft
Dabei ist - auch das zeigen die Ergebnisse der Studie - genau die wirtschaftliche Leistung eine der zentralen Eigenschaften, über die die kommenden Weltmächte definiert werden: Wirtschaftliche Macht, politische Stabilität und ein leistungsfähiger Bildungs- und Forschungssektor werden mit Werten um die 50 Prozent bedacht - während Rohstoffreichtum und vor allem militärische Macht bei 24 beziehungsweise 21 Prozent liegen.
"Der Bedeutungsverlust vor allem von militärischer Macht kann auch mit den Problemen der USA erklärt werden", sagt Osterwinter. "Es wird ziemlich genau registriert, wie viele Probleme die Amerikaner etwa im Kampf gegen den Terror oder bei der Invasion des Irak haben." Deutlich zu sehen sei auch, dass gerade Japan und Deutschland, beide Verlierer des Zweiten Weltkriegs, der militärischen Macht sehr geringe Bedeutung zukommen lassen: Nur 14 Prozent der Japaner und sogar nur 7 Prozent der Deutschen halten diese Eigenschaft für zwingend.
Beide Länder setzen mehr auf internationale Organisationen, die künftig für Frieden und Stabilität in der Welt sorgen sollen. Während die Vereinten Nationen (Uno) etwa in Russland, Indien oder Brasilien nur auf 19, 13 und 10 Prozent kommen, halten 41 Prozent der Japaner und sogar 83 Prozent der Deutschen die Uno für die wichtigste Organisation in diesem Zusammenhang. "Das ist ein typisch deutsches Ergebnis", sagt Osterwinter und lacht. "Die Deutschen sind die Musterschüler der Vereinten Nationen".
Gemeinsame Weltordung nur schwer vorstellbar
Grundsätzlich aber ist zu erkennen, so das Fazit der Studie, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung eine gemeinsame Weltordnung oder Institution nur schwer vorstellen kann. Auffällig sei, so schreiben die Autoren der Studie, dass die Befragten vor allem Qualitäten hervorheben würden, die - wie etwa die wirtschaftliche Stärke - nach wie vor den internen beziehungsweise den nationalen Agenden zugerechnet werden würden. Diese Konzentration auf die eigene Leistungsfähigkeit berge die Gefahr, dass internationale Beziehungen sich wieder verschlechtern könnten oder aber instabiler und konfliktträchtiger würden.
"Wenn diese Perspektive und Erwartung für die Politik weltweit bestimmend wird, birgt es die Gefahr eines nationalistischen Wettlaufs zwischen den heutigen und zukünftigen Weltmächten, bei dem alle nur verlieren", sagt Werner Weidenfeld, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung.
"Global Policy Council" trittt zum ersten Mal zusammen
Die Ergebnisse der Befragung will die Bertelsmann Stiftung jetzt erst einmal international bekannt machen und diskutieren. Außerdem tritt am Freitag zum ersten Mal das "Global Policy Council" in Berlin zusammen - eine von der Stiftung ins Leben gerufene Diskussionsrunde mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft - darunter Henry Kissinger, ehemaliger Außenminister der USA, der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und Lakhdar Brahimi, derzeit Uno-Sonderbotschafter im Irak.
"Wir wollen, dass die Ergebnisse unserer Befragung diskutiert werden, in den Think Tanks, den politischen Zirkeln oder an den Universitäten", sagt Osterwinter. Und wünscht sich, dass sie damit irgendwann auch Eingang in die reale Politik finden. "Europa muss handlungsfähiger werden und dafür brauchen wir eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik." Denn die zivilen oder "weichen" Eigenschaften, die von den Befragten bei künftigen Weltmächten vorausgesetzt würden, seien eigentlich originär europäische Eigenschaften.
Sollte dies genutzt werden, könnte aus einer "Weltmacht im Werden" vielleicht auch irgendwann eine tatsächliche Weltmacht werden.
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