Vom britischen Buhmann zum EU-Reformer?
Janis A. Emmanouilidis nimmt zu Blairs Politik Stellung
21.06.2005 · dw-world.de
"Kein Kommentar, keine Meinung, keine Ratschläge, denn offensichtlich
ignoriert er sie ja doch." So sieht am 1. Juli Jean-Claude Junckers
Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft an seinen britischen Amtskollegen Blair aus. Dass dieser mit dem Beharren auf dem sogenannten Briten-Rabatt am Wochenende die Einigung über die EU-Finanzen verhindert hatte, nimmt der Luxemburger ihm übel.
Dabei wollten sich die Staats- und Regierungschefs nach der
gescheiterten EU-Verfassung mit einem Finanzplan über die nächsten
Jahre handlungsfähig und zukunftsorientiert präsentieren. Doch
Tony Blair spielte nicht mit: Hartnäckig verteidigte er den
umstrittenen Briten-Rabatt in Höhe von jährlich rund 4,6
Milliarden Euro. Seine Forderung: Eine grundlegende Reform der
Agrarsubventionen, die etwa 40 Prozent des EU-Haushaltes
verschlingen. Am Ende waren selbst die Osteuropäer zum Verzicht bereit. Doch Blair bewegte sich nicht. Der Gipfel scheiterte.
Am Montag (20.6.) legte Blair dann nochmals nach: "Es war nicht
das richtige Konzept für Großbritannien, und es war nicht das richtige
Konzept für Europa", sagte Blair im britischen Unterhaus in London.
Dabei stimme es nicht, dass seine Regierung um jeden Preis den so
genannten Briten-Rabatt erhalten wolle. Dieser Rabatt sei "nur
ein korrigierender Mechanismus". Allerdings werde Großbritannien
über den Rabatt nur diskutieren, wenn die Finanzierung der EU
grundlegend reformiert werde. Es könne zum Beispiel nicht sein, dass
die EU im Zeitalter der Globalisierung immer noch 40 Prozent ihres
Etats für die Landwirtschaft ausgebe.
Egoist oder Reformer?
"Das war vor allem innenpolitisch motiviert", erläutert Janis
Emmanouilidis, EU-Experte am Centrum für angewandte Politikforschung in
München: "So hat Blair in Großbritannien sein Profil und seine
Rolle als Premier gestärkt." Geschickt habe er dies mit einer
Reformdebatte auf Europaebene verknüpft: "Jetzt übernimmt er auch
wieder eine Kernrolle in Europa", so der Politikwissenschaftler.
Weniger geschickt hingegen waren die diplomatischen Nebeneffekte:
Schröder und Chirac warfen Blair "Halsstarrigkeit" und "Egoismus" vor,
EU-Kommissar Verheugen nannte das Verhalten "beschämend". "Diese
Animositäten zwischen den Staats- und Regierungschefs werden es Blair
schwer machen, im kommenden Halbjahr als Ratspräsident etwas zu
bewegen", vermutet Emmanouilidis, "außerdem gönnt man ihm keine
erfolgreiche Amtszeit."
Grundsatzdebatte auf Eis gelegt
Der Streit ums Geld hat die beiden unterschiedlichen europapolitischen
Marschrichtungen wieder offen gelegt: Für Schröder, Juncker und
Chirac ist die EU ein visionäres Gesellschaftsmodell und nicht nur
eine politisch angereicherte Wirtschaftszone. Blair hingegen tritt
in die neoliberalen Fußstapfen von Maggie Thatcher.
"Aber diese Debatte wird Blair in seiner Amtszeit nicht führen",
vermutet Emmanouilidis, "denn er weiß, dass große theoretische
Diskussionen beim Bürger nicht ankommen." Vielmehr werde Blair
"britischen Pragmatismus" an den Tag legen:
Kern dessen wird vermutlich die wirtschaftspolitische
Auseinandersetzung sein: Liberalismus contra Protektionismus.
Und Blair hat mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung
Großbritanniens die besseren Argumente. Der Premier liebäugelt aber
auch mit den Neuwahlen in Deutschland: "Merkel als Kanzlerin wäre eine
neue Verbündete für ihn und das Traditionsduo Deutschland-Frankreich
wäre geschlagen", betont Emmanouilidis.
Keine Einigung
Mit einer Einigung über den umstrittenen EU-Budgetrahmen im kommenden Halbjahr rechnet der EU-Experte hingegen nicht. Wie könne Blair als Moderator den Briten-Rabatt verteidigen und zugleich Frankreichs Präsidenten Chirac zu Abstrichen bei den Agrarausgaben zwingen?
Auch in der verabredeten "Denkpause" für die EU-Verfassung erwartet der
Politikwissenschaftler von Blair keinen entscheidenden Impuls: "Für die
Abstimmungsniederlage ist er nicht verantwortlich. Würde er den
Ratifizierungsprozess jetzt vorantreiben, müsste er auch die
Abstimmung in seinem Land zulassen. Und wenn seine Wähler dann
ablehnen, wäre er der 'Buhmann'". Somit bleibt das Vertragswerk bis zum
Brüsseler Sondergipfel im Frühjahr 2006 vorerst auf Eis.
Debattieren ohne Konkretisieren
Wenig Konkretes - viele Debatten, das erwartet Emmanouilidis von Blairs
Ratspräsidentschaft. "Aber kontroverse Debatten sind auch dringend
notwendig", fügt er hinzu "es geht um die wirtschaftspolitische
Orientierung und die Perspektiven, die Europa braucht, um langfristig
funktionsfähig zu bleiben."
Eine von Blairs Reformideen könnten schlankere Agrarsubventionen sein,
die nur noch strukturschwache Regionen nutzen, während größere Hilfen
von den nationalen Regierungen in Eigenregie gestemmt werden müssten.
Wie sich Blair das vorstellt, wird er am Donnerstag (23.6.) in einer
Rede vor dem Europäischen Parlament näher erläutern.
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