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Berlusconi gegen Europa

Der historische Fehlstart des italienischen Ministerpräsidenten bei der EU-Ratspräsidentschaft Italiens

Von Roman Maruhn

01.08.2003 · Europäische Zeitung



Große Erwartungen an die italienische EU-Ratspräsidentschaft hatte eigentlich niemand gestellt. Mit der Regierungskonferenz über den Konventsentwurf gilt es eine europapolitische Pflicht zu absolvieren. Dann kam es doch noch anders: Nicht Italien, sondern Ministerpräsident Silvio Berlusconi legt einen historischen Fehlstart hin. Die bereits vorsichtige "Augen zu und durch!"-Taktik der europäischen Partner und der EU-Institutionen ist gescheitert.

Berlusconi war offen im Europäischen Parlament. Man muss ihn beim Wort nehmen, wenn er Abgeordnete als Demokratietouristen bezeichnet. Diese Aussage bringt den Ratsvorsitzenden in Konflikt mit dem ohnehin sensiblen Parlament. Berlin kann dem nicht wortlos zusehen, nicht nur aus europäischer Verantwortung heraus, sondern auch aus den bisherigen Erfahrungen mit Berlusconi. Der hat nämlich keine europäische Idee, sondern hängt dem zivilisatorischen Konzept des Westens nach, das heute aber ein kultureller und kein politischer Begriff mehr ist. Europa braucht allerdings eine politische Idee, ein strategisches Ziel.
Für Berlusconi liegt Washington näher als Brüssel und so versucht er, der italienischen Außenpolitik das europäische Standbein abzuschneiden. Europa lässt sich aber nicht mehr vom EU-Nationalstaat trennen, zu eng sind beide miteinander verflochten. Dieses Wissen ist bei italienischen Unternehmern, großen Teilen der politischen Klasse und den Meinungsführern im Land - darunter viele Intellektuelle aus Kunst und Kultur - tief verwurzelt. So sind sich die Italiener teilweise stärker als ihre Nachbarn bewusst, dass man in einer postnationalen Zeit lebt und es aus innenpolitischen Gründen keine Alternative zu Europa gibt. Zu sehr hängt die Frage der Modernisierung und damit auch der nationalen Existenz von der EU ab. Nicht umsonst wurde das Politikprinzip des "Brüsseler Umwegs" von Rom in der Vergangenheit massiv praktiziert. Dieser "Brüsseler Umweg" besagt, dass aufgrund innenpolitischer Blockaden und Lähmungen Zukunftsentscheidungen im Rahmen der europäischen Integration getroffen werden. Daraus resultiert der große Rückhalt der Italiener für die EU und die traditionelle Integrationsfreudigkeit.

Wenn nun die Regierung in Rom ihre europakritische Haltung auch während des EU-Ratsvorsitzes fortführt, ist das das Ergebnis einer universalen Staatskrise Italiens. Im Jahr 2000 / 2001 schmiedete Berlusconi seine Koalition, die mit der Forza Italia aus einem Wahlverein des Ministerpräsidenten und mit der Lega Nord aus einer separatistischen und europafeindlichen Partei besteht. Mit diesen Partnern lässt sich freilich keine Europapolitik machen, auch keine schlechte. Gian Franco Finis Alleanza Nazionale sticht da als gemäßigte und stabilisierende Kraft hervor. Eine große Überraschung, hagelte es doch im Ausland Proteste gegen die Regierungsbeteiligung der Partei.

Nach Berlusconis Eklat im Parlament ist es offensichtlich, dass diese Regierung Europa nicht gut tut: Der Ministerpräsident greift Parlamentarier an, desavouiert die Abgeordneten und vermittelt Europa und der Welt, dass die EU eine große Lachnummer ist. Dies alles geschieht in einer Zeit, da die weitere Unterstützung (und Duldung) der europäischen Integration in Washington offen diskutiert wird, die größte Erweiterung ansteht und die EU mit einer Verfassung den Schritt zum politischen System machen will. Abgesehen vom Imageschaden profitiert zum Beispiel die norwegische Anti-EU-Bewegung von Berlusconis Missverhalten beträchtlich.

Es ist richtig, dass das Europäische Parlament und die EU-Partner sich gegen Politik und Stil Berlusconis wehren. In der Zwickmühle steckt da die Europäische Volkspartei (EVP), die 1998 die Forza Italia aufgenommen hat und damit Berlusconi auch einen innenpolitischen Freibrief gegeben hat. Jetzt scheint die EVP zu bemerken, dass man sich einen europapolitischen Kuckuck ins Nest geholt hat, der nun zu groß ist, um ihn hinauszuwerfen.

Viel europapolitisches Kapital, das Rom in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre erwirtschaftet hat, wurde verspielt. Die Glaubwürdigkeit Italiens in der EU steht auf dem Spiel. Doch Berlusconi hat die Gelegenheit, bis zum 31. Dezember zu lernen, dass Europa mehr ist, als er sich momentan vorstellen kann. Kritik europäischer Partner an der Innenpolitik Italiens ist keine "Einmischung in innere Angelegenheiten", sondern der Beweis dafür, dass die EU politisch und gesellschaftlich zusammengewachsen ist. Wer Europa als Unternehmerclub versteht, muss scheitern.
Jetzt sind in Brüssel Sommerferien angesagt. Ob der Herbst heiß wird, bleibt abzuwarten. Trost können da italienische Freunde spenden: "Die Ratspräsidentschaft dauert ja nur sechs Monate!"


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