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„Mannschaftsgeist fehlt sogar innerhalb einer Partei“

Werner Weidenfeld übt massive Kritik am deutschen Politikbetrieb – Wissenschaftler sieht im Alternativlos-Argument eher Ratlosigkeit

21.08.2010 · Freie Presse



München. Bundespräsident Christian Wulff will helfen, die Gräben zwischen Politikern und Bürgern zu schließen. Aber warum ist die Distanz so groß? Darüber sprach Ralf Müller mit dem Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld. Der Professor ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung an der Ludwig-Maximilians- Universität in München.

Freie Presse: Herr Professor Weidenfeld, die Deutschen sind mit ihren Regierenden immer unzufriedener. Auch in anderen Demokratien lässt sich das beobachten. Was steckt hinter dieser Frust-Demokratie?

Werner Weidenfeld: Zum einen handelt es sich um eine fast traditionelle Kurvenbewegung von Zustimmung bis Distanzierung der Wähler, die auch in früheren Wahlperioden zu beobachten war. Darüber hinaus findet jedoch eine Art Erosion der Politik statt. Der Blick auf die Tiefendimension muss uns mit einer gewissen Besorgnis erfüllen.

Freie Presse: Was sehen Sie, wenn Sie in die Tiefe schauen?

Weidenfeld: Die Distanz zwischen Bürger und politischer Klasse war in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie so groß wie heute: Vertrauen in die Politik auf dem niedrigsten Stand, Bindewirkung der Parteien dramatisch geschrumpft, Wahlteilnahme im Sinkflug – das zeigt das empirische Datenmaterial.

Freie Presse: Woher kommt’s?

Weidenfeld: Dahinter steckt so etwas wie eine politische Orientierungskrise. Die Politik ist situativ geworden. Im Vordergrund stehen pragmatische Problemlöser ohne Botschaft, ohne ein Bild der Zukunft. Daraus ergibt sich ein Erklärungsdefizit. Es fehlt aber nicht nur die Botschaft, sondern auch der Mannschaftsgeist, eine solche Perspektive zu realisieren. Im Moment dominiert eine Form egozentrischer Profilierungsaktivitäten. Sie finden den Mannschaftsgeist nicht einmal mehr innerhalb einer Partei, geschweige denn in einer Koalition.

Freie Presse: Gibt es keine großen politischen Visionen mehr oder sind nur die derzeitigen Politiker nicht in der Lage, solche zu entwickeln?

Weidenfeld: Wenn man optimistisch auf die Welt blickt, muss man sagen, das kann es durchaus demnächst wieder geben. Nur im heutigen Status quo haben Sie keine Angebote. Das trifft nicht nur Deutschland, man kann auch nach Frankreich, Italien oder Amerika blicken.

Freie Presse: Wer hätte es denn heute in Deutschland im Kreuz, die Menschen wieder für eine große Idee zu begeistern? Die Kanzlerin ja offensichtlich nicht. Der große Star ist ja derzeit der Verteidigungsminister zu Guttenberg.

Weidenfeld: Die Kanzlerin ist eine Technikerin, der diese Art Denken in strategischen Botschaften abgeht. Das macht sie nicht zu einer schlechten Politikerin, aber die grundsätzliche Erosion der Republik hält sie mit dieser Machttechnik nicht auf. Guttenberg hat natürlich jetzt eine riesige Aufgabe mit der Bundeswehrreform, was ein Härtetest für ihn sein wird. Wenn Guttenberg ein Gesamtbild der sicherheitspolitischen Zukunft bietet, hat er eine Chance, das Erklärungsdefizit der Politik zu überwinden und eine Meisterprüfung abzuliefern. Aber bisher hat er auch nur Details zugerufen.

Freie Presse: Wie groß ist ihre Hoffnung, dass man von den „egozentrischen Profilierungsaktivitäten“ wieder wegkommt?

Weidenfeld: Wenn die Politiker ihre Lernfähigkeit beweisen. Wieso sollte ein Politiker grundsätzlich unfähig sein, diese Problemlandschaft zu erkennen und eine Antwort darauf zu praktizieren. Diese Chance besteht immer. Alles kann wieder korrigiert werden. Deshalb ist auch der pausenlos ausgerufene Satz falsch, dieses oder jenes sei alternativlos. Das ist eher ein Beleg der Ratlosigkeit. In der Politik haben Sie zu allem und jedem immer eine Alternative. Wir brauchen eine Strategie, die authentisch und zuverlässig umgesetzt wird. Die Politik darf nicht zusammenhanglos, sprunghaft, situativ agieren.


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