"Das Parlament hat Macht"
Interview mit Prof. Dr. Werner Weidenfeld zur Europawahl
BERLIN Die Bedeutung der Europawahl am 7. Juni wird in Deutschland
massiv unterschätzt. Das glaubt der Europa-Experte Prof. Werner
Weidenfeld. Der Direktor des Münchener Centrums für angewandte
Politikforschung (C·A·P) kritisiert aber auch die Parteien, die zu wenig
Einsatz für die Wahlen zeigten.
02.06.2009 · Haltener Zeitung
Warum ist seit der ersten Europawahl 1979 mit einer Beteiligung von
65,7 Prozent bis zum Negativrekord von 43 Prozent 2004 bei jeder
Europawahl die Beteiligung gesunken?
Weidenfeld: Es gibt eine erhebliche Fehleinschätzung. Das Europaparlament hat seit 1957 bei jeder Reform an Einfluss gewonnen. Es gibt heute 139 Themenfelder, wo die Zustimmung des Parlaments notwendig ist. Zudem gibt es erhebliche Kompetenzen bei der Entscheidung über den EU-Haushalt. Und es gibt die Möglichkeit, mit einer 2/3-Mehrheit in einem Misstrauensvotum den Rücktritt der EU-Kommission zu erreichen. Dieses Parlament hat also Macht. Dennoch gibt es den großen Mythos, es habe keinen Einfluss. 1979 herrschte eine große Aufbruchstimmung. Es wird heute zu wenig geschätzt, welche Errungenschaft es ist, dass in Europa die weltweit zweitgrößte demokratische Wahl nach Indien stattfindet. Heute sagen leider etwa 70 Prozent der Deutschen, meine Stimme zählt sowieso nichts bei dieser Wahl.
Schaut man sich die Kampagnen der Parteien zur Europawahl an, hat man nicht den Eindruck, dass die Politik energisch gegen dieses Vorurteil ankämpft, oder?
Weidenfeld: Die Parteien geben weniger Geld für den Europawahlkampf aus als sie später über Wahlkampfkosten-Erstattung zurückbekommen. Das Geld wird dann in die anderen, oft für wichtiger erachteten Wahlkämpfen wie zum Beispiel zur Bundestagswahl eingesetzt. Zudem fehlen die Unterscheidungsmerkmale, die Kontraste zwischen den Parteien. Und es fehlt an bekannten Gesichtern. Ein gravierender Punkt ist das Mobilisierungsproblem. Hier tun die Parteien zu wenig. Zudem vermag es Europa nicht, den Bürgern eine strategische Zukunftsvision aufzuzeigen.
Europa hat es schwer. Oft muss Brüssel als Sündenbock herhalten, wird als Bürokratiemonster geschmäht. Stimmt das Klischee?
Weidenfeld: Nein, überhaupt nicht. Im Vergleich zur Bundespolitik oder den deutschen Kommunen ist es eher ein bescheidener Bürokratie- Apparat. Europa hat den Fehler gemacht, die Aufgaben nicht in einzelnen Ministerien auszugliedern, sondern die gesamte Kommission in einem einzigen Gebäude zu bündeln. Wenn die deutsche Bundesregierung in einem einzigen Gebäude untergebracht wäre, gäbe es in Deutschland genau den gleichen Eindruck.
Und was den angeblich überbordenden Einfluss aus Brüssel betrifft, ist zu sagen: Viele Initiativen für Richtlinien kommen aus den Mitgliedsstaaten selbst. So wurde die Reglementierung der Sitze von Traktoren auf Initiative Bayerns beschlossen. Aber so etwas wird gerne vergessen, denn mit dem Schimpfen auf Brüssel kann man in Bayern ein Bierzelt im Handumdrehen zum Kochen bringen.
Weidenfeld: Es gibt eine erhebliche Fehleinschätzung. Das Europaparlament hat seit 1957 bei jeder Reform an Einfluss gewonnen. Es gibt heute 139 Themenfelder, wo die Zustimmung des Parlaments notwendig ist. Zudem gibt es erhebliche Kompetenzen bei der Entscheidung über den EU-Haushalt. Und es gibt die Möglichkeit, mit einer 2/3-Mehrheit in einem Misstrauensvotum den Rücktritt der EU-Kommission zu erreichen. Dieses Parlament hat also Macht. Dennoch gibt es den großen Mythos, es habe keinen Einfluss. 1979 herrschte eine große Aufbruchstimmung. Es wird heute zu wenig geschätzt, welche Errungenschaft es ist, dass in Europa die weltweit zweitgrößte demokratische Wahl nach Indien stattfindet. Heute sagen leider etwa 70 Prozent der Deutschen, meine Stimme zählt sowieso nichts bei dieser Wahl.
Schaut man sich die Kampagnen der Parteien zur Europawahl an, hat man nicht den Eindruck, dass die Politik energisch gegen dieses Vorurteil ankämpft, oder?
Weidenfeld: Die Parteien geben weniger Geld für den Europawahlkampf aus als sie später über Wahlkampfkosten-Erstattung zurückbekommen. Das Geld wird dann in die anderen, oft für wichtiger erachteten Wahlkämpfen wie zum Beispiel zur Bundestagswahl eingesetzt. Zudem fehlen die Unterscheidungsmerkmale, die Kontraste zwischen den Parteien. Und es fehlt an bekannten Gesichtern. Ein gravierender Punkt ist das Mobilisierungsproblem. Hier tun die Parteien zu wenig. Zudem vermag es Europa nicht, den Bürgern eine strategische Zukunftsvision aufzuzeigen.
Europa hat es schwer. Oft muss Brüssel als Sündenbock herhalten, wird als Bürokratiemonster geschmäht. Stimmt das Klischee?
Weidenfeld: Nein, überhaupt nicht. Im Vergleich zur Bundespolitik oder den deutschen Kommunen ist es eher ein bescheidener Bürokratie- Apparat. Europa hat den Fehler gemacht, die Aufgaben nicht in einzelnen Ministerien auszugliedern, sondern die gesamte Kommission in einem einzigen Gebäude zu bündeln. Wenn die deutsche Bundesregierung in einem einzigen Gebäude untergebracht wäre, gäbe es in Deutschland genau den gleichen Eindruck.
Und was den angeblich überbordenden Einfluss aus Brüssel betrifft, ist zu sagen: Viele Initiativen für Richtlinien kommen aus den Mitgliedsstaaten selbst. So wurde die Reglementierung der Sitze von Traktoren auf Initiative Bayerns beschlossen. Aber so etwas wird gerne vergessen, denn mit dem Schimpfen auf Brüssel kann man in Bayern ein Bierzelt im Handumdrehen zum Kochen bringen.
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