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Eine Idee setzt sich durch

Dr. Stefan Rappenglück betrachtet europäische Bildungsarbeit als einen Schlüssel zum Erfolg

02.05.2009 · ver.di Bildungszentrum Haus Brannenburg



Sind die Römischen Verträge als Basis-Vorläufer der Europäischen Union von heute noch aktuell?

Rappenglück: Meiner Meinung nach sind die Grundanliegen der Europäischen Union moderner und aktueller als jemals zuvor. Es ist gleichzeitig aber ein offenes Geheimnis, dass die EU bis heute unter Akzeptanzproblemen leidet. Man muss sich aber die Ursprungsidee dieser Verträge ansehen; Europa war damals als Solidargemeinschaft zwischen "Arm und Reich" gedacht. Die Wohlfahrt der Bürger stand im Mittelpunkt des Handelns. Und – auch wenn das heute fast banal klingt – Europa war und ist ein Friedensprojekt. Für Menschen in Ost- und Südosteuropa allerdings keine Selbstverständlichkeit angesichts deren jüngeren Geschichte.

Also ist die Grundidee der europäischen Integration modern – steht aber vor neuen Herausforderungen. Europa also gut gedacht aber schlecht gemacht?

Rappenglück: Die europäische Dimension wurde während der letzten Jahre in nahezu allen Bereichen politikrelevant. Das alles geschah mit einer ungeheuren Schnelligkeit, sodass die Umsetzung der Ideen den eigenen Ansprüchen hinterherhinkt. Etwa 70% aller Gesetze in den Mitgliedsstaaten sind heute unmittelbare Folge der europäischen Gesetzgebung. Man kann streiten, ob das zu viel oder zu wenig ist; aber es ist Tatsache. Nicht Europa an sich hat Defizite, sondern die Umsetzung der Europapolitik. Wissen die Menschen vielleicht zu wenig darüber, welche konkreten Errungenschaften der europäische Einigungsprozess ihnen gebracht hat? Rappenglück: Das ist gut möglich. Europa sollte eigentlich 'von unten' aufgebaut werden – faktisch ist es genau anders herum geschehen. Diesen Weg müssen wir umkehren. Dann wird sich auch die Akzeptanzkrise auflösen. Jedem Bürger muss klar werden, welche Vorteile er persönlich und welche der europäische Staatenbund hat. Bislang genügte es, Reisefreiheit, Mobilität oder offene Binnenmärkte anzuführen, um Menschen von der Idee Europa zu überzeugen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise genügen diese Argumente nicht mehr. Aber so dramatisch die Krise auch ist oder noch wird, sie birgt auch eine Chance für eine Belebung des europäischen Einigungsprozesses. Wenn es nämlich durch gemeinsames Handeln gelingt, die Folgen für die Mitgliedsstaaten und damit den Bürger zu mildern oder gar abzuwenden. Ohne die EU sähe Vieles anders aus, beispielsweise im Jugend- und Bildungsbereich. Wir müssen aber weiter intensive Vermittlungsarbeit leisten. Anderes Beispiel: Die Klimapolitik war vor fünf oder sechs Jahren noch kein Politikfeld für die Europaparlamentarier. Jetzt ist allen klar, dass es hierbei keine nationalen Alleingänge mehr geben kann, ähnliches gilt für den Verbraucherschutz.

Was fehlt, ist wohl das Gefühl, man könne sich direkt und persönlich in die demokratischen Entscheidungsprozesse einklinken …

Rappenglück: Das ist der wunde Punkt der EU. Aktuelle Studien zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Tat zweifeln, ob ihre Stimme überhaupt gehört werden- im übrigen besonders junge Menschen. Seit Jahren fordert man in diesem Feld Verbesserungen, viel Greifbares ist aber bis heute nicht entstanden – es geht sehr langsam voran. Dabei gibt es nicht wenige Bürger, die nach Mitwirkungsmöglichkeiten fragen – sich engagieren wollen. Um die Teilhabe junger Menschen zu fördern hat die EU den sog. "Strukturierten Dialog mit der Jugend ins Leben gerufen". Die EU fordert die Menschen explizit auf, zu europäischen Themen zu diskutieren – insbesondere junge Menschen sollen diese Chance nutzen. Seit zwei Jahren finden in Deutschland auch Bürgerkonferenzen statt, die der Meinungsbildung in und über Europa dienen sollen, werden Jugendparlamente gegründet. Wenn diese partizipativen Möglichkeiten noch besser genutzt würden und die Beschlüsse und Empfehlungen auch in den politischen Prozess verbindlich rückgekoppelt werden würden, wären wir ein gutes Stück weiter. Eine Europawahl alle fünf Jahre ist als Beteiligungsform einfach zu wenig. In Umfragen zeigt sich immer wieder, dass die Menschen das Gefühl haben, dass ihre Stimme in Europa nicht zählt.

Stichwort Bildungsarbeit. Was passiert in diesem Feld?

Rappenglück: Bildungsarbeit ist definitiv ein wichtiger Bereich. In die schulische und außerschulische Arbeit hat Europa schon viel stärker Einzug gehalten als noch vor wenigen Jahren. Zugleich haben die Bildungsträger die Notwendigkeit erkannt, ihre Programme europäisch auszurichten. Eine andere Frage ist die nach geeigneten Methoden, Materialien und Zielgruppen. Dabei unterscheiden wir als C.A.P. zwischen kleinen und großen Formaten. Große Formate sind in unserem Haus etwa Simulationen, Jugendparlamente oder die Entwicklungen von Szenarien. Damit erreichen wir eine große Zahl junger Menschen und – noch viel wichtiger – Menschen aus den verschiedensten Schichten und Milieus. Methodisch wirksam sind auch die Kleinstmethoden, weil sie an konkreten Themen der Menschen ansetzen – vor allem bei denjenigen, die sich bislang kaum mit europäischen Fragen auseinandergesetzt haben. Solche assoziativen Ansätze lassen sich wunderbar in Form von Tagesseminaren umsetzen. Ein Problem bleibt aber: Europa ist so ein dynamisches Politikfeld, dass die Bildungsarbeit unwahrscheinlich schnell auf neue Themen und Methoden reagieren muss. Die Träger müssen deshalb inhaltlich und didaktisch immer wieder fit gemacht werden. Wir haben dazu z.B. ein eigenes Team – das Juniorteam Europa – in unserem Haus zusammengestellt und ausgebildet, die den Bildnern als Coach zur Verfügung stehen.

Die gute Botschaft ist also: Es gibt Ideen und Mittel für die europäische Bildungsarbeit …

Rappenglück: Da hat sich tatsächlich einiges zum Guten entwickelt. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als ich eine Sondergenehmigung brauchte, um ein Seminar zum Thema Europa bei einer Volkshochschule mit nur vier Teilnehmern durchführen zu können. Heute ist die Nachfrage größer – ebenso das Angebot. In dieser Situation scheint es mir wichtig, die Anbieter der Bildungsarbeit besser zu vernetzen und nicht bei jedem Thema, das Europa betrifft, das Rad neu zu erfinden. Europa muss als Querschnittsthema allgemeiner Bildung Dauerthema werden! Aktuelle Probleme und Herausforderungen müssen durch eine "europäische Brille" gesehen werden.

Kann man Arbeitnehmer/-innen Europa als wichtig für sie vermitteln?

Rappenglück: Jeder Betrieb muss heute nach Europa schauen – nicht nur im Hinblick auf Absatzmärkte. Aber oft hören wir, dass Zeitmangel oder Desinteresse diesen wichtigen Blick verhindern. Europa betrifft aber jeden Arbeitnehmer. Denn die wirtschaftliche Dimension Europas gehört unmittelbar mit der sozialen Komponente zusammen. Die Gewerkschaften haben das schon lange zu ihrem Thema gemacht. Bei der anstehenden Europawahl wird nämlich nicht nur über einzelne Abgeordnete entschieden, sondern darüber, welches Europa wir haben wollen – ein ausschließlich an wirtschaftlichen Interessen ausgerichtetes oder ein sozial verantwortlich handelndes. Und nicht zuletzt geht es bei dieser Wahl um die demokratische Stärkung des Parlaments. Natürlich unterscheiden sich die antretenden Parteien in ihren Programmen. Für mich ist mit dieser Wahl z.B. ganz eng die Frage verbunden, wohin künftig Mittel fließen sollen: vor allem in Forschung und Bildung oder zuerst in die Außen- oder Wirtschaftspolitik. Ich hoffe auf eine hohe Beteiligung und darauf, dass die Europawahl keine vorgezogene Abstimmung zur Bundestagswahl wird. Diese Überlappung und Vermengung wäre schädlich.

Hat die Europäische Idee also eine natürliche Grenze erreicht oder wie geht es mit ihr weiter?

Rappenglück: Ich glaube, dass Europa in den kommenden Jahren an Stärke und Bedeutung weiter zunehmen wird – das bestätigen übrigens auch Untersuchungen unseres Hauses. Eine Mehrheit der Bürger ist zwar durchaus skeptisch gegenüber der Eurobürokratie und manchen Fehlentwicklungen der Europäischen Union– definitiv ablehnen wollen die EU aber die Wenigsten. Das dieser Trend nicht kippt, dafür müssen wir weiter hart arbeiten und die Teilhabe der Menschen an europäischen Entscheidungsprozessen deutlich verbessern. Ich gehe außerdem davon aus, dass es in zehn oder 15 Jahren mehr Mitgliedsstaaten als heute geben wird, weil die Anziehungskraft der EU gerade unter jungen Menschen ungebrochen hoch ist. Ich sehe da vor allem Länder auf dem Balkan als weitere Kandidaten. Die Jugendlichen dort sagen ganz klar: Wir wollen dabei sein! Wenn die Wohlfahrt der Bürger und die Verbesserung ihrer Lebenssituation in einem zusammenwachsenden Europa über Protektionismus als handlungsleitendes Motiv der EU siegt, dann hat die EU eine gute Zukunft.


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