"Die CSU hat sich wieder stabilisiert"
Vor dem Nürnberger Parteitag: Politikforscher Weidenfeld im NZ-Gespräch
Fragen: Ralf Müller, Nürnberger Zeitung
18.07.2008 · Nürnberger Zeitung
Weidenfeld: Die Ausgangslage ist ungewöhnlich. Es ist keine Routineerscheinung, dass die CSU ihren Ministerpräsidenten während der Legislaturperiode auswechselt und dass sie zweimal Talfahrten in den Umfragen hinnehmen musste: einmal am Ende der Ära Stoiber und zum anderen, nachdem die Nachfolger die ersten Pannen zu verantworten hatten. Jetzt allerdings kann man feststellen, dass sich die neue Konstellation stabilisiert. Der Abwärtstrend in den Umfragen ist durchaus gestoppt. Die CSU kehrt gleichzeitig zum Erfolgsgeheimnis der Ära Strauß, nämlich zur doppelten Konfliktformation, zurück. Die CSU-Spitze setzt sich kämpferisch mit den anderen Parteien auseinander wie auch mit der Schwesterpartei CDU. Diese Art Kampfgemeinschaft hat die CSU auch in der Ära Strauß zu einer kraftvollen Vitalität geführt. Das hat man jetzt ein Stück weit wiederentdeckt.
NZ: Das Konfliktthema mit der CDU ist vor allem die Forderung nach rascher Wiederherstellung der vollen Pendlerpauschale. Ist das wirklich ein «Bringer-Thema»?
Weidenfeld: Die CSU muss sich als Wahrerin bayerischer Interessen profilieren. Das kann sie mit einem solchen Thema durchaus. Sie muss sich auch als Interessenvertreterin der «kleinen Leute» profilieren. Auch das kann man mit der Pendlerpauschale signalisieren. Als Entlastung der Bürger ist das durchaus ein Bringer-Thema für die CSU. Wenn sie das ernsthaft durchhält und nicht wackelt, kann sie damit durchaus Erfolg einheimsen. Wahlkämpfe sind ja Mobilisierungskampagnen. Die erste Phase ist die Motivation der eigenen Anhänger. Das muss sich jetzt auch mit dem Parteitag vollziehen. Die CSU-Anhänger müssen stolz und froh sein, zu dieser politischen Gemeinschaft zu gehören. In einer zweiten Phase von Ende Juli bis August müssen die Parteianhänger Überzeugungsarbeit leisten. Im September muss dann die Polarisierung kommen, um die Leute zu mobilisieren.
NZ: Die spannendste Frage zur bayerischen Landtagswahl Ende September ist ja: Verliert die CSU ihre absolute Mehrheit nach 46 Jahren? Ist dieses Ereignis so nahe, wie das die Opposition glauben machen möchte?
Weidenfeld: Wenn die CSU ein gutes Ergebnis erzielen will, dann muss die Lage von den Bürgern als dramatisch erfasst werden. Insofern ist das Spekulieren durchaus hilfreich für die CSU, möglicherweise auch für die anderen Parteien. Denn insbesondere die großen Parteien leiden darunter, dass bundesweit die Wahlbeteiligungen sinken, was vor allen Dingen sie trifft.
NZ: Sollte sich die CSU von ihrem Wahlziel «50 plus X» realistischerweise verabschieden?
Weidenfeld: Diese Perspektivbeschreibungen sind für Wahlerfolge von Parteien außerordentlich wichtig. Wenn sich eine Partei von vornherein in eine Art Verliererhaltung begibt, dann bleiben Anhänger der Wahlurne fern. Aus eigenem Interesse muss die CSU diese hohen Ziele ankündigen, um ihre Anhänger zum Wählen zu bringen.
NZ: Angenommen, der aus Sicht der CSU schlimmste anzunehmende Fall würde tatsächlich eintreten, und die CSU verlöre in Bayern die absolute Mehrheit. Würde es die Partei dann zerlegen?
Weidenfeld: Das wäre natürlich ein sehr ernsthafter und wichtiger Vorgang in der Geschichte der CSU. Aber in eine existenzbedrohende Situation würde sie deshalb nicht kommen. Sie kann ja bei der nächsten Wahl wieder zulegen und sich stabilisieren. Im Moment weisen die Indikatoren jedoch nicht auf einen Verlust der absoluten Mehrheit der CSU hin.
NZ: Aber sicher ist es doch eine Image-Frage, wie stark die CSU verliert. Müssen Günther Beckstein und Erwin Huber um ihr politisches Überleben kämpfen?
Weidenfeld: Wenn es nicht zu einem dramatischen Einbruch kommt, ist die CSU gut beraten, keinen Personalschlamassel auszulösen. Denn das würde ihre Popularität eher sinken lassen. Wenn sie nach der Wahl erfolgreich sein will, braucht sie eine klare Perspektive und Führungsstruktur.
NZ: Sind Beckstein und Huber mittlerweile in die Fußtapfen von Stoiber hineingewachsen?
Weidenfeld:
Die beiden haben in der ersten Phase in den neuen Ämtern Fehler
gemacht, was sie auch zugestanden haben. Sie haben nicht zu jedem Thema
eine klare eindeutige Linie durchgehalten. Jetzt aber erscheint mir die
neue Rollenverteilung eingeübt und auch professionell stabilisiert.
Gegenüber der Zeit von Stoiber herrscht ein mehr partizipatorischer
Führungsstil und ein offenerer Kommunikationsstil.
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