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Europa blickt auf Amerika - und umgekehrt?

Münchner Beiträge zur Europäischen Einigung, Band 10

Sabine Busse: Europa blickt auf Amerika - und umgekehrt? Band 10 der Münchner Beiträge zur Europäischen Einigung herausgegeben von Werner Weidenfeld, Europa Union Verlag, Bonn 2003. Preis im Buchhandel:  € 19,80

06.05.2003 · Forschungsgruppe Europa



Vorwort des Herausgebers

Im Verhältnis zwischen Deutschland, Europa und Amerika ist das Ende der fast fünfzig Jahre geltenden Selbstverständlichkeiten angebrochen. Die transatlantische Gemeinschaft, wie wir sie aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes kennen, existiert nicht mehr. Zwar besteht die Sicherheitsgemeinschaft zwischen Amerika und Europa fort, doch ohne die Strukturen, die Präsenz und die Mentalität einer hochintegrierten, jederzeit einsatzbereiten und auf die Abwehr neuartiger Angriffe ausgerichteten Verteidigungsorganisation. Zwar besteht die wirtschaftliche Gemeinschaft zwischen den Partnern fort, doch überdecken tagespolitisch geprägte Interessenkonflikte das langfristige Entwicklungspotenzial. Zwar besteht die politische Gemeinschaft über den Atlantik fort, doch ohne die besondere Sensibilität für die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen. Zwar besteht die Gemeinsamkeit der Werte fort, doch fehlt ihnen die Bestimmung ihres spezifischen Beitrags im Blick auf die neuen Fragen der internationalen Politik. Seit Beginn der Neunzigerjahre lebt die Verbindung zwischen Europa und Amerika in den Kulissen westlicher Kooperation vom Kapital an Übereinstimmung und Vertrauen, das in den letzten Jahrzehnten aufgebaut worden ist. Bleibt eine Erneuerung aus, so droht eine Erosion der transatlantischen Beziehungen, in der die persönlichen Erfahrungen, die Strukturen und Kooperationswege, die Erfolge wie die Erfahrungen verloren gehen.

Exemplarisch verdeutlicht das Verhältnis der USA zu Deutschland die aktuelle Problematik: Die alten Mechanismen der Konfliktlösung tragen nicht mehr. Transatlantische Missverständnisse werden nicht mehr durch einen großen Rahmen des Konsenses relativiert, sondern gelangen zur vollen Entfaltung. Die politische und öffentliche Aufmerksamkeit konzentriert sich gegenwärtig in den USA auf die Bekämpfung des Terrors. Der Terror hat die amerikanische Nation existenziell getroffen - und der Krieg gegen den Terror wird nun als Pflicht aller Patrioten angesehen. Deutschland und Europa scheinen dieser Aufforderung nicht bedingungslos zu folgen. Damit sind aus amerikanischer Sicht erste Schritte zum Abschied Deutschlands vom neuen Kontinent eingeleitet.
Vor diesem Hintergrund betrachtet die vorliegende Studie von Sabine Busse den Wandel, der sich in den transatlantischen Beziehungen seit 1989/90 vollzogen hat und strebt eine Aussage über das aktuelle Verhältnis der europäisch-amerikanischen Partnerschaft an. Hierfür hat die Autorin einen interessanten Untersuchungsrahmen gewählt. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die genuin transatlantischen Abkommen seit 1990: Die transatlantische Erklärung 1990, die Neue Transatlantische Agenda 1995 und die Dokumente der daraufhin zweimal jährlich stattfindenden Gipfeltreffen zwischen den USA und der EU.

Durch die Beantwortung der Frage nach den strategischen Implikationen, die sich aus den verschiedenen Erklärungen und Treffen ergeben, wird der Fokus der Untersuchung auf politisch relevante Themenbereiche gelenkt. Dabei steht die Untersuchung der Vitalität der geschaffenen europäisch-amerikanischen Strukturen im Vordergrund. Auch der Einfluss tagespolitischer Ereignisse auf die transatlantischen Beziehungen fließt bei dieser Analyse mit ein. Dazu fasst die Autorin zunächst die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges und den Neubeginn der transatlantischen Partnerschaft 1989/1990 zusammen. In einem nächsten Schritt werden sowohl die Transatlantische Erklärung als auch die Neue Transatlantische Agenda vorgestellt. Mit beeindruckender Systematik erfolgt im Anschluss die Untersuchung der amerikanisch-europäischen Gipfeltreffen und schließt mit der zusammenfassenden Bewertung der Auswirkungen des 11. Septembers auf die Neue Transatlantische Agenda.
Im Verlauf der Studie wird deutlich, dass die Neue Transatlantische Agenda zu einer Verbesserung der transatlantischen Beziehungen entscheidend beigetragen, diese in vielen Fällen sogar erst ermöglicht und weiterentwickelt hat. Die durch sie geschaffenen und von der Transatlantischen Erklärung vorbereiteten Strukturen bilden das Fundament der transatlantischen Beziehungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dennoch haben vor allem die jüngsten Entwicklungen besonders im Verhältnis der USA zu Deutschland aber auch zu anderen europäischen Verbündeten verdeutlicht, dass diese Strukturen alleine nicht ausreichen, um Europa und die USA weiter aneinander zu binden.

Die präzise Analyse und Auswertung des umfangreichen Materials haben eine informative und aufschlussreiche Arbeit hervorgebracht. Die transatlantischen Beziehungen werden aus einer neutralen Perspektive heraus untersucht und jeglichem Pathos entkleidet. Die Bilanz fällt ernüchternd aber nicht hoffnungslos aus.

Die Autorin, Sabine Busse, studierte Politische Wissenschaft, Philosophie und Englische Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der American University in Washington D.C. Nach Abschluss des Magister Artiums begann sie den Promotionsstudiengang Politische Wissenschaft. Die vorliegende Studie wurde 2002 als Magisterarbeit am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht. Die Autorin ist seit 2002 als Doktorandin in der wirtschaftspolitischen Abteilung der Siemens AG (Chief Economist / Corporate Relations) beschäftigt.
Herausgeber und Autor möchten sich an dieser Stelle bei den Mitarbeitern des Lehrstuhls und des Centrums für angewandte Politikforschung für die kritische und konstruktive Begleitung der Untersuchung bedanken. Besonderer Dank gilt hier Nicole Schley und Olaf Hillenbrand, ohne deren fachkundige und geduldige Unterstützung die erfolgreiche Realisierung des Forschungsvorhabens in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.

Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld


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