Techniker der Macht ohne Charisma
Prof. Werner Weidenfeld zu Gast bei der Zeppelin University
12.11.2009 · Südkurier
Mit 70,8 Prozent hatten wir die niedrigste Wahlbeteiligung, der Anteil der beiden Volksparteien war mit 56,8 Prozent so niedrig wie nie zuvor und noch nie hatte eine Partei einen so hohen Verlust bei einer Wahl zu verzeichnen (SPD 11,2 Prozent), führte Weidenfeld ans Thema heran. Dem vorausgegangen sei der unspektakulärste Wahlkampf in der Geschichte der BRD. Als Gründe nannte er die große Koalition der beiden Kontrahenten sowie das Fehlen großer Politikentwürfe und Gesellschaftsbilder der Zukunft. Außerdem waren beide Spitzenkandidaten qualifizierte Techniker der Macht ohne Charismafaktor, so Weidenfelds Einschätzung.
Hinzugekommen sei eine eher ungewöhnliche Grundstimmung in der Gesellschaft: Trotz ernsthafter Krise lautete der allgemeine Tenor, dass wir es schon packen werden. Dies habe vor allem die SPD Stimmen gekostet. Detail-Aufregungen wie der Dienstwagen von Frau Schmidt hätten dagegen eine vergleichsweise große Rolle im Hinblick auf die Wahlentscheidung gespielt. Zu denken geben sollte, dass zehn Prozent der Wähler erst auf dem Weg zum Wahllokal entscheiden, welcher Partei sie ihre Stimme geben.
Insgesamt sei eine Pluralisierung der Parteienlandschaft festzustellen. Im linken Lager begann dieser Prozess bereits in den 1980er Jahren mit der Etablierung der Grünen und setzte sich mit der Linken fort. Unruhe gibt es aber auch bei der bürgerlichen Mitte. Da sind die Freien Wähler und ganz neu auch die Piraten. Als Erosion des gesellschaftlichen Zusammenlebens bezeichnete Weidenfeld die Tatsache, dass das reine Arbeitermilieu heute genauso wenig vorhanden sei, wie das katholisch-christliche Milieu. Drei Punkte nannte Weidenfeld, der vom Magazin Cicero zu Deutschlands wichtigsten Vordenkern gewählt wurde, als Lösungsansatz für die Parteien: Sie sollten dem Bürger programmatische Orientierung bieten, strategisch denken statt situativ Hektik zu verbreiten und in ihrer Kommunikation zuverlässig sein.
Nebenbei erfuhren die Besucher der Bürger-Uni, was den 1947 geborenen Politikwissenschaftler zu seinem Beruf oder besser gesagt, zu seiner Lebensaufgabe, geführt hat. Vergleichsweise spät habe er als Jugendlicher von den Nazi-Gräueln erfahren. Mir war klar, dass es nicht ausreicht, individuell Gutes zu tun, ich wollte mich um die Struktur und damit um die Politik kümmern, sagte Weidenfeld. Mit Hilfe der Wissenschaft zur politischen Problemlösung beizutragen wurde seine Aufgabe. Und der kommt er bis heute mit seinem Zentrum für angewandte Politikforschung, das 90 Wissenschaftler beschäftigt, nach.
Der Zeppelin-Universität attestierte Weidenfeld, der bis 1995 eine Professur an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz innehatte, einen begeisterungsfähigen Spirit. Staatliche Unis sind viel betonierter. Hier ist eine Aufbruchstimmung spürbar.
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