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Europa vor der Wahl: Die Schatten-Macht

Von Werner Weidenfeld

06.06.2009 · Neue Westfälische



Bielefeld (ots) - Ein Spitzenereignis der Weltpolitik steht an. Der global zweitgrößte Demokratiekomplex ist zu entscheiden. 375 Millionen Menschen sind zur Wahl gerufen - nur in Indien sind es mehr. Die Atmosphäre im Vorfeld der Wahl entspricht der Dramatik dieser Größenordnung in keiner Weise. Die Stimmung ist eher gelangweilt. Europa wird zur Nebenwahl reduziert, unwichtiger als National- und Regionalwahlen, bestenfalls ein Stimmungsbild für die Bundestagswahl wenige Monate später. Phantasielos wirken die Werbemittel der Wahlkämpfer. Die Europäische Union leistet sich eine Wahl ohne einen wirklichen Wahlkampf. In der Geschichte der Demokratie ein Phänomen der Merkwürdigkeit. Die Europäische Union wirkt seit vielen Jahren als Magnet politischer Macht. Die Nationalstaaten mussten Souveränität abgeben, und die Globalität ist als Antwort zu diffus. Bleibt der Kontinent als die angemessene Größe, gestalterische Macht zu organisieren. Sicherheit, Energie, Klimaschutz, Außenhandel, Binnenmarkt, Landwirtschaft, Industriepolitik - eine schier endlose Liste von Zuständigkeiten Europas ließe sich aufzählen. In den Alltag lässt es sich übersetzen in CO2-Werte für Autos, Senkung der Handytarife, Kontrolle der Finanzmärkte, Liberalisierung des Energiemarktes. Das Machtpaket Europa wird von seinen eigenen Bürgern nicht in dieser existentiellen Bedeutung erkannt. Es bleibt zweitrangig in der Wahrnehmung. Die vielen Europareformen der letzten Jahrzehnte haben einen großen Gewinner gehabt: das Europäische Parlament. Ursprünglich in den Römischen Verträgen (1957) ohne wirklich relevante Kompetenzen ausgestattet - dann in jedem Reformvertrag mit weiteren Zuständigkeiten versehen. Es ist Gesetzgeber, Mitgestalter der Exekutive, Kontrolleur, Inszenierer der Öffentlichkeit. Der Mythos vom einflusslosen Parlament ist jedoch trotz alledem dominant. Die bedauernde Floskel von der Irrelevanz des Europäischen Parlaments gehört zum grauen Alltag - aber mit der Realität der Politik hat dies nichts mehr zu tun. Die Europawahl konfrontiert uns also mit einer besonderen Dramatik: der Schieflage von realer Substanz und persönlicher Wahrnehmung. Die Weltmacht Europa ist in der Wahrnehmung zwergenhaft geblieben. In den Köpfen der Menschen ist der Mythos des schwachen Parlaments nach wie vor fest verhaftet. Wenn Europa nicht politischen Schiffbruch erleiden will, dann muss es die grobe Schieflage der Wahrnehmungen korrigieren. Der Machtmagnet muss erklärt, der politische Wettbewerb mobilisiert, die Sachalternativen profiliert werden. Dann kann Europa aus dem politischen Schatten heraustreten. Dann können prägnante Gesichter die politische Seele Europas in Schwingung versetzen.




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