Was dem Neuen bevorsteht: E' l'economia, stupido!
Roman Maruhn nimmt zur Wahl in Italien Stellung
Erschienen in: derStandard.at
14.04.2008 · derStandard.at
Punkt Eins auf der to-do-Liste des künftigen Premiers wird die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation sein: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf ist nach Eurostat-Berechnung im vorigen Jahr um lediglich 1,2 Prozent gewachsen. Der Durchschnitt der 27 EU-Mitglieder liegt bei 2,7 Prozent. Auch ein massiver Schuldenberg belastet Italien. Mit einem offentlichen Schuldenstand von 106,8 Prozent des BIP im Jahr 2006 ist Italien Spitzenreiter in der EU. Im EU-Durchschnitt liegt der Verschuldungsgrad der Mitgliedsländer bei 61,4 Prozent des BIP.
Durch die wirtschaftliche Misere entsteht ein Finanzierungloch im Sozialbereich. Immer mehr Bezieher von Sozialleistungen stehen einer immer geringeren Zahl an Einzahlern gegenüber.
Der Spielraum ist klein
Roman Maruhn vom Centrum für angewandte Politikforschung in München sieht die wirtschaftliche Misere auch als drängenstes Problem: "Das Haushaltsdefizit, die Teuerung im Land und die niedrigen Lohnzuwächse waren ein zentrales Thema im Wahlkampf. Die Probleme auf diesem Gebiet sind riesig."
Veltroni hatte im Wahlkampf zwar höhere Löhne angekündigt, ob das von einem zukünftigen Premierminister umsetzbar ist, daran zweifelt Politikwissenschafter Maruhn. Eine Steuersenkung bei dieser schlechten Haushaltslage könne sich der Staat fast nicht leisten. "Der Staat braucht das Geld", argumentiert Maruhn. Der Spielraum der Regierung ist auch durch Vorgaben aus Brüssel eingeengt. Jetzt auf Steuereinnahmen zu verzichten, käme politischem Selbstmord gleich.
Berlusconi versuchte sich durch populäre Maßnahmen beim Wähler einzukaufen. Seine vor kurzem präsentierte Idee, die Kfz-Steuer zu erlassen, sei "politisch unseriös" betont Maruhn.
Prodis Politik: "Durch die Bank gut"
Das niedrige Wirtschaftswachstum erklärt sich unter anderem durch die traditionelle italienische Export-Produktpalette. Der Markt für Waren wie Textilien und Leder spürt zunehmend den Druck der internationalen Konkurrenz. Auch die Infrastruktur im Land ist nicht herrausragend und trägt nicht dazu bei, dass die Attraktivität des Wirtschafts-Standortes Italien steigt.
Die Politik Prodis in den vergangenen 18 Monaten sei "durch die Bank gut gewesen", analysiert Maruhn. Zum Beispiel sind erstmals alternative Energien gefördert worden. Dadurch entstehe eine eigenständige Energiebranche.
Auch eine Familienpolitik, die zur besseren Vereinbarkeit von Kindern und Beruf beiträgt, ist auf den Weg gebracht worden. Und der Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat hervorragend funktioniert. In den vergangenen Monaten waren auch in den heimischen Zeitungen immer wieder Meldungen über Verhaftungen von Mafia-Mitgliedern zu lesen.
Mafia und Schmiergeld
Die Mafia ist nicht nur ein Kriminalitäts-Problen. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Existenz der Mafia und dem gebremsten Wirtschaftswachstum Italiens. Wo die Mafia regiert, gibt es kein freies Unternehmertum und keinen freien Wettbewerb. Sprich: schlechte Voraussetzungen für eine Verbesserung.
Auch Korruption ist weit verbreitet. Den Nährboden dafür bietet eine langsame Verwaltung und Überregulierung. Da überrascht es nicht, wenn die Bevölkerung versucht, die schlecht bezahlten Beamten mit einer kleinen "Aufmerksamkeit" zu überzeugen, ihren Akt schneller zu behandeln, oder doch besser diese als jene Vorschrift anzuwenden. Im Corruption Perception Index von Transparency International landet Italien im Jahr 2006 auf dem 45. Platz - zwischen Malaysien und Tschechien. Zum Vergleich: Österreich belegt den 11. Platz von 163 untersuchten Ländern.
"Berlusconi ist unpolitisch, unsachlich, unseriös"
Trotz der Reformen Prodis, sind sei die Begeisterung für groß. "Er verfolgt einen erfrischend unpolitischen, unsachlichen, unseriösen Stil, der aber dem Durchschnitts-Italiener ganz gut gefällt", erklärt Maruhn die Begeisterung der Italiener für den "Cavaliere". Und weiter: "Es gibt eine gewisse Sympathie für das Schlitzohr, vor allem im Süden." Außerdem vergisst der italienische Wähler schnell. Vielleicht können sich einige Mitte-Links-Wähler nicht mehr erinnern, was sie unter fünf Jahren Berlusconi gefühlt haben.
Reicher Norden, armer Süden
Eine weitere Baustelle für den kommenden Premier ist der inneritalienische Konflikt zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Den Süden dominieren hohe Arbeitslosigkeit und die organisierte Kriminalität floriert, während in einigen Regionen im Norden beinahe Vollbeschäftigung erreicht ist. Eines eint die beiden aber: In beiden Regionen gibt es zentrifugale Tendenzen, die mehr Unabhänigkeit von Rom fordern.
Jahrzehntelang pumpte der italienische Staat Milliarden in den Süden, um den Aufholprozess zu beschleunigen. Zwischen 1950 und 1985 gab es einen eigenen Fördertopf, die sogenannte "Südkasse" (Cassa per il Mezzogiorno). Die Erfolge waren aber eher bescheiden. Ein großer Teil des Geldes versandete oder floss in die Hände der Mafia. Es entstanden aus dem Boden gestampfte Industrieanlagen - allerdings fehlte die Infrastruktur, wie Zulieferbetriebe oder ausgebildete Arbeitskräfte.
Die Unterschiede ziehen sich durch alle Lebensbereiche. Schulen und Spitäler sind im Norden besser. Das geht so weit, dass Süditaliener für Operationen in den Norden reisen. Das Problem bleibt, aller Geldflüsse zum Trotz, ungelöst. "Geld allein reicht nicht", bestätigt auch Maruhn. Notwendig wären eine Straffung der Institutionen, die Verhinderung der Abwanderung in den Norden und adäquate Unternehmen, die langfristig in der Region bestehen können. (mka, derStandard.at, 14.4.2008)
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