"Eine wichtige Etappe ist geschafft"
Halbzeitbilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
31.03.2007 · tagesschau.de
"Es sind zwei Sachen passiert, die man so vorher nicht erwarten konnte", sagt sein Kollege Jan Techau von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Er spricht von den beiden bislang wichtigsten Ergebnissen der Präsidentschaft: der Einigung im Klima-Streit und der "Berliner Erklärung".
Gegenwind bei Windenergie & Co
Auf dem Klima-Gipfel am 8. und 9. März in Brüssel rangen sich die Staats- und Regierungschefs zu einem Aktionsprogramm durch, das von der griffigen Formel "20-20-20" lebt. Bis zum Jahr 2020 wollen die EU-Mitglieder gemeinsam 20 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber dem Jahr 1990 in die Luft blasen. 20 Prozent der Energie soll eingespart werden. Und den Anteil der erneuerbaren Energien, zum Beispiel aus Wind und Sonne, sollen die Staaten auf 20 Prozent verdreifachen. Gerade um den letzten Punkt stritten die Politiker auf dem Gipfel heftig. Frankreich wollte gern die emmissionsarme Atomkraft zum Bereich der erneuerbaren Energien zählen. Polen und Tschechien sperrten sich gegen die Beschlüsse, weil sie um ihr Wirtschaftswachstum fürchteten.
Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte sich durch. "Eine wichtige Etappe ist geschafft", urteilt die EU-Energiepolitik-Expertin Kristina Notz vom Centrum für angewandte Politikforschung in München. "Da hat es Angela Merkel durch ihre Überzeugungskraft geschafft, alle mit ins Boot zu holen. Und bei 27 Mitgliedsstaaten ist das schon eine Leistung." Hilfreich sei allerdings sicherlich gewesen, dass im Vorfeld des Gipfels die düsteren Klima-Berichte der UN für große Aufregung gesorgt hatten. Ein für die deutsche Regierung netter Nebeneffekt: Wegen des Wirbels ums Klima fiel die von der Kommission angedachte, unangenehme Diskussion um die Entflechtung des Strommarktes unter den Tisch. Kommissionspräsident José Manuel Barrosso war trotzdem zufrieden: "Der wichtigste Europäische Rat, an dem ich je teilgenommen habe." Und der österreichische Kanzler Gusenbauer resümierte im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", die deutsche Ratspräsidentschaft sei "ein Glücksfall für die EU".
In aller Heimlichkeit geboren: die "Berliner Erklärung"
In weite Ferne gerückt war auf dem Klima-Gipfel das zweite große Projekt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft: nach der gescheiterten Verfassung die Verhandlungen um einen neuen Grundlagenvertrag wieder anzuschieben. Und das zwei Wochen vor dem symbolgeladenen 50. EU-Geburtstag am 25. März, zu dem sich die Staats- und Regierungschefs in Berlin wiedertreffen und eine feierliche Erklärung zum Thema abgeben wollten. Doch hinter verschlossenen Türen hatte eine kleine Gruppe aus Vertrauensleuten aller Mitgliedsstaaten bereits monatelang an dieser "Berliner Erklärung" gefeilt - pünktlich zum Jubiläum lag sie auf dem Tisch. Darin das Versprechen, die EU "bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen". Dass ein Datum festgelegt wurde, sei "eine kleine Sensation", sagt EU-Experte Techau. "Das war überhaupt nicht erwartet worden." Zwar werde dieses Datum unter anderem von Polen und Tschechien bereits in Frage gestellt, "aber jetzt steht es erstmal da und entfaltet eine politische Wirkung."
Die Tschechen waren auch mit der Heimlichkeit unzufrieden, in der die "Berliner Erklärung" geschrieben wurde. "Es fehlt eine demokratische Debatte, eine demokratische Diskussion", beschwerte sich Präsident Vaclav Klaus. "So kann man das wirklich leider nicht machen."
Der richtig große Brocken beim Thema Grundlagenvertrag kommt auch noch. Auf dem Abschlussgipfel der Ratspräsidentschaft im Juni will Angela Merkel mit den anderen Staats- und Regierungschefs den ausführlichen Fahrplan für den weiteren Reformprozess beschließen - von einem Konsens sind sie aber noch weit entfernt.
Verhaltene Außenpolitik
Weniger Erfolgserlebnisse hatte die deutsche Regierung bislang bei der EU-Außenpolitik. Da wollte man sich vor allem um den Nahen Osten und den Balkan kümmern sowie die Beziehungen zu den USA und Russland verbessern. "Passiert ist da nicht viel", sagt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln. "Aber das liegt nicht an der Bundesregierung." Sie habe einfach wenig Handlungsspielraum. Unter anderem, weil ihr die Partner für eine kraftvolle Außenpolitik fehlten, denn die meisten anderen großen und mächtigen EU-Staaten seien derzeit führungsschwach - mit Jaques Chirac und Toni Blair kurz vor der Ablösung und Romano Prodi mit unsicherer politischer Mehrheit. Zudem könne es sich die deutsche Ratspräsidentschaft nicht leisten, "wegen irgendeiner außenpolitischen Frage unter den Mitgliedsstaaten Streit vom Zaun zu brechen". Denn dann gerate auch eine mögliche Einigung beim Thema Grundlagenvertrag in Gefahr.
Eine Duftmarke konnte die Bundesregierung in der Innen- und Justizpolitik setzen. Im Februar beschlossen die Innenminister, den Vertrag von Prüm auf die gesamte EU auszuweiten. In dem Vertrag hatten einige Mitgliedstaaten 2005 in dem rheinland-pfälzischen Städtchen vereinbart, sich gegenseitig den Zugriff auf DNA-, Fingerabdruck- und KFZ-Datenbanken zu gewähren. "Da kann man schon sagen, dass Deutschland hier die Initiative maßgeblich vorangetrieben hat", sagt Daniel Göler.
Große Prüfung im Juni
Erst das EU-Gipfeltreffen im Juni wird entscheiden, ob sich die deutsche Regierung für ihre Ratspräsidentschaft auf die Schulter klopfen kann. "Doch selbst wenn dieser Europäische Rat eine Enttäuschung wird", ist Jan Techau zuversichtlich, "ein Vollausfall wird es nicht mehr. Allein durch den Erfolg beim Klima-Gpfel hat Angela Merkel schon vermieden, dass ihre Präsidentschaft ein Misserfolg wird."
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