EU-Verfassung gilt Ratspräsidenten als heiße Kartoffel
Werner Weidenfeld: Grundlagenvertrag wird kommen
Von Bernd Riegert
08.02.2006 · dw-world.de
Stopp der Ratifizierung
Neben Deutschland haben elf weitere EU-Mitglieder den Verfassungstext angenommen, der der erweiterten Union mehr Demokratie, verbesserte Entscheidungsmechanismen und mehr Transparenz bringen sollte. In Belgien steht die endgültige Annahme durch eine Kammer eines Regional-Parlaments unmittelbar bevor. Die übrigen zwölf EU-Staaten haben ihren Ratifizierungsprozess teilweise angehalten. Volksabstimmungen in Portugal, Polen und Dänemark wurden verschoben. Als einziges Land schreitet Estland weiter voran. Dort wird das Parlament wohl im Laufe des Frühjahrs die Verfassung absegnen. Die erste Lesung ist für Mittwoch (8.2.2006) angesetzt.
Kritische Briten
Großbritannien, das traditionell als besonders europakritisch gilt, hat seinen Ratifizierungsprozess ausgesetzt und wird wohl als allerletztes Land abstimmen, falls es jemals soweit kommen wird. Denn die Gretchenfrage, wie man Franzosen und Niederländer zurück ins Boot holen kann, ist ungelöst. Soll man nach einer gewissen Denkpause den gleichen Text noch einmal den Wählern vorlegen? Der niederländische Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende lehnt das bislang ab. Kann man den Text der Verfassung nachbessern oder ganz neu schreiben? Das wiederum lehnen die Staaten ab, die den ursprünglichen Entwurf ratifiziert haben.
Merkels Kalkül
Als Ausweg schwebt Bundeskanzlerin Merkel offenbar vor, dem unveränderten Verfassungsvertrag eine Ergänzung, ein Zusatzprotokoll anzufügen, in dem die sozialen Aspekte Europas noch einmal hervorgehoben werden. So ist man zum Bespiel verfahren, als die Dänen in einer Volksabstimmung 1992 den EU-Vertrag von Maastricht abgelehnt hatten. Derselbe Vertrag wurde mit vier Ausnahmeregelungen noch einmal zur Abstimmung vorgelegt und schließlich angenommen. Im Juni 2006 wollen die Staats- und Regierungschefs der EU unter österreichischer Führung einen Weg aus der Verfassungskrise vorzeichnen und sich zumindest über den künftigen Kurs der EU einigen. Das hat der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel angekündigt.
Immer neue Anläufe
Selbst wenn das aktuelle Verfassungsprojekt endgültig scheitert - es wäre der vierte Versuch in 50 Jahren - ist noch nicht aller europäischer Tage Abend. Professor Werner Weidenfeld, Leiter des Centrums für angewandte Politikforschung in München, ist sicher, dass der umfassende Grundlagenvertrag irgendwann kommen muss: "Je mächtiger Europa künftig sein wird", sagt er, "desto schmerzlicher wird das Fehlen einer Verfassung empfunden werden. Auf Dauer wird sich die Union der Notwendigkeit, mehr Klarheit zu schaffen, nicht widersetzen können."
Das Europäische Parlament versucht, Druck zu machen und hat in einer nicht bindenden Resolution beschlossen, weiteren Aufnahmen von neuen EU-Mitgliedern nur dann zuzustimmen, wenn eine Verfassung vorliegt. Dieses Junktim würde die Balkanstaaten und die Türkei betreffen.
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