Vordenker der Mächtigen
Politikberater Werner Weidenfeld und sein Münchener Institut suchen Lösungen für politische Probleme
19.04.2000 · Neue Westfälische
Seine Kollegen Politologen halten den 52-jährigen für den einflussreichsten Vertreter ihrer Zunft. Da klingt Respekt mit aber auch stille Ablehnung. Was Weidenfeld betreibt, hat für deutsche Politikwissenschaftler noch immer etwas Anrüchiges. Praxis statt Theorie, anwendungsorientierte Wissenschaft statt Elfenbeinturm - wird man so nicht zum Knecht der Politik? Solche Kritik ficht Weidenfeld nicht an. Zumal Beratung auf Anfrage nur einen geringen Teil der Arbeit des CAP ausmacht. Weitaus mehr Projekte resultieren aus dem kreativen Nachdenken der beinahe 90-köpfigen Weidenfeld-Truppe über aktuelle oder sich bereits abzeichnende Probleme der Politik.
Bestes Beispiel dafür ist der Entwurf für ein "Europäisches Einwanderungsgesetz", das von seinem Institut erarbeitet wurde, lange bevor Politik und Öffentlichkeit die Problematik auf der Agenda sahen. "Europa kann ohne legale Einwanderung wirtschaftlich nicht überleben", lautete vor fünf Jahren die Analyse. "Eine kontrollierte, am Bedarf orientierte Zuwanderung soll dieser Perspektive entgegen wirken", sagte Weidenfeld damals. Die aktuelle Diskussion um die Green Card für Computer-Experten zeigt die Weitsicht des Politikberaters.
Bis auf wenige Ausnahmen ist das Geschäft der Weidenfeldschen Denkfabrik eine einzige Erfolgsstory. Ohne den Rat des CAP würden Europas Mühlen langsamer mahlen. Denn Regierungen und Kommissionen wechseln, die Kontinuität wahrt der Think Tank an der Münchner Maria-Theresia-Straße 21. Hierhin pilgern alle Regierungen, bevor sie für sechs Monate die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernehmen. Auch die Kommissionspräsidenten Jaque Delors, Jaques Santer und Romano Prodi gehören zu den Klienten. Und das Europäische Parlament. Und die Verwaltung.
Wenn nach einem Treffen mit Präsidenten, Kanzler, Premiers oder Staatssekretären deren Mitarbeiter anrufen und fragen: "Was haben sie mit unserem Chef gemacht?", weiß Weidenfeld, dass er und seine Leute wieder etwas bewirkt haben. Sie haben dem Politikern Argumente geliefert, die vielleicht denen seiner Mitarbeiter genau entgegen gesetzt waren.
Um nicht unter die Räder der Politik zu geraten, legt das CAP die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit einer breiten Öffentlichkeit vor: In Büchern, Zeitschriften, Tageszeitungen und auch im Internet. Über 60 Veröffentlichungen allein von Werner Weidenfeld werden allein auf der Homepage aufgelistet.
Wo immer die Spitzen von Politik und Politikwissenschaft zusammen kommen ist der CAP-Direktor dabei. 14 nationalen und internationalen Gremien gehört er an. Ein Netzwerk aus Ämtern, Beziehungen, Arbeitsgruppen und Kontakten. Wie er die verschiedenen Aufgaben unter einen Hut bekommt? "Das ist gar nicht so schwierig", antwortet er. Und erzählt von seinen Terminen in den USA. "Neulich war ich zu Gesprächen in Washington und anschließend zur Kuratoriums-Tagung der Brandeis University. Innerhalb weniger Tage habe ich so die wichtigsten Leute gesprochen."
Finanziell stützt sich die Arbeit auf 35 Geldgeber. Der größte ist die Bertelsmann Stiftung, deren Vorstand Weidenfeld angehört. 1986 habe ihn Reinhold Mohn angerufen, erzählt Weidenfeld über den Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit.
Wie Mohn stellt Weidenfeld die Sache und nicht die Person in den Mittelpunkt. Entsprechend schwierig ist es, ihm Aussagen darüber zu entringen, was ihn motivierte zu seinem weit über das normale Zeitbudget eines deutschen Politikwissenschaftlers gehendes Engagement. "Das ist nur tiefen-psychologisch zu verstehen", beginnt er einen Erklärungsversuch. 16 Jahre sei er alt gewesen, als er in der Schule mit Wucht der Untaten des Nationalsozialismus konfrontiert worden sei. "Da wuchs in mir die Überlegung, etwas Sinnhaftes zu tun, damit sich solche Abgründe nie wieder auftun können." Er sei zu dem Schluss gekommen, "Strukturen aufzubauen, die individuelle Abgründigkeit ausschließen". Am besten könne er dies als Politikwissenschaftler tun, war seine Schlussfolgerung. In die Politik habe ihn nichts gedrängt: "Politiker können abgewählt werden."
So erging es Bundeskanzler Helmut Kohl, zu dessen engstem Beraterkreis Weidenfeld viele Jahre gehörte. Distanz klingt an, wenn Weidenfeld erzählt, wie Kohl sich zunehmend gegen Beratung abschottete. "Am Ende seiner Amtszeit machte ein kleines Küchenkabinett die Politik. Es wurde immer enger um Kohl", erinnert sich Weidenfeld. Ob die Vergangenheit sein Verhältnis zu Kanzler Gerhard Schröder belaste? "Unser Verhältnis ist unverkrampft", antwortet er spontan und kommt damit auf den Ausgangspunkt zurück. Wo neue Leute an die Macht kommen, belebt sich das Geschäft. Dann haben wieder Berater Konjunktur, die den Novizen ihre neuen Arbeitsfelder erklären.
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