Verunsichernde Orte
Selbstverständnis und Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik
Barbara Thimm / Gottfried Kößler / Susanne Ulrich (Hrsg.): Verunsichernde Orte - Selbstverständnis und Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik, 208 S., 16,5 x 22 cm, Paperback, 19,90 / sFr 35,90, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt a.M. 2010, ISBN 978-3-86099-630-0. |
15.10.2010 · Barbara Thimm / Gottfried Kößler / Susanne Ulrich (Hrsg.)
Abschlusspublikation zum 3-jährigen Projekt Gedenkstättenpädagogik und Gegenwartsbezug
Zwei Generationen nach dem Ende des Nationalsozialismus ist die Gedenkstättenpädagogik ein Arbeitsfeld, das sich etabliert hat. Gleichzeitig wird das Spannungsfeld zwischen der Aufgabe des Gedenkens, der Wissensvermittlung und der in der Regel unhinterfragte(n), aber umso wichtigeren Erwartung der Demokratieförderung und der Menschenrechtserziehung mit zunehmendem zeitlichen Abstand größer. Die oft sehr vage Anforderung an Gedenkstättenpädagogen von Demokratieförderung durch Lernen am historischen Ort bedingt die Notwendigkeit, dieses besondere Verhältnis näher zu beleuchten. Die Akademie Führung & Kompetenz hat deshalb ihr spezielles Know-How im Bereich Demokratieerziehung als Partner im Projekt Gedenkstättenpädagogik und Gegenwartsbezug eingebracht. Doch was bedeutet das konkret für die aktuelle Arbeit der Gedenkstättenpädagoginnen und -pädagogen am historischen Ort? Wie können die verschiedenen Anforderungen unter einen Hut gebracht werden und welche Fähigkeiten und Kompetenzen sind dazu notwendig? Wie können diese erworben und vertieft werden?
Darauf antwortet der von Barbara Thimm, Gottfried Kössler und Susanne Ulrich herausgegebene Band Verunsichernde Orte. Selbstverständnis und Weiterbildung in der Gedenkstättenpädagogik. Er wurde im August 2010 zum Abschluss des Projekts erstmals auf der internationalen Fachtagung Beruf Gedenkstättenpädagoge/-in. Selbstverständnis und Weiterbildung auf Gut Häusern vorgestellt.
Die tiefe Verunsicherung, die insbesondere durch die Vermittlungstätigkeit am historischen Ort ausgelöst wird, bedarf der Orientierung, sowohl bei Mitarbeitenden wie auch Besuchern der Gedenkstätten. Mitarbeitende sollen den Besuchern Orientierung geben, erhalten aber selbst oft wenig Hilfestellung bei der eigenen Orientierungssuche und müssen sich ihr eigenes Berufsverständnis selbst definieren.
Mit der vorliegenden Publikation gibt es nun erstmals ein detailliertes Berufsbild Gedenkstättenpädagogik. Bezogen auf verschiedene Dimensionen, wie z.B. Politik, Ethik oder Methodik werden die Anforderungen an die pädagogischen Mitarbeiterinnen an Gedenkstätten umfassend analysiert und dargestellt. Der zentrale Kristallisationspunkt hierbei ist, dass die Arbeit am eigenen Selbstverständnis die Grundlage jeder Aus- und Weiterbildung für Gedenkstättenpädagogen sein muss. Das Buch wendet sich somit insbesondere an alle pädagogisch tätigen Mitarbeiterinnen an Gedenkstätten, aber mit einem ausführlichen thematischen Teil auch an eine interessierte, über Fachkreise hinausreichende Leserschaft.
Renommierte Experten aus verschiedenen Bereichen (Geschichte, Pädagogik, Soziologie) beschäftigen sich in acht Einzelartikeln mit aktuellen Fragestellungen zum Thema. Beleuchtet wird unter anderem die Rolle des Gegenwartsbezugs gedenkstättenpädagogischer Arbeit, sowie die Problematik der inklusiven Gedenkstättenpädagogik, d.h. des Umgangs mit zunehmend heterogenen Besuchergruppen, die auch die Frage des Umgangs mit Diskriminierung in den Blick rückt. Ein weiteres Schwerpunktthema ist der (unterstellte) immanent demokratiefördernde Charakter eines Gedenkstättenbesuchs. Diesen durch die Verbindung mit Methoden des Demokratielernens noch zu verstärken liegt scheinbar nahe.
Speziell mit dieser demokratiepädagogischen Perspektive beschäftigt sich Susanne Ulrich, Leiterin der Akademie Führung & Kompetenz in ihrem Artikel Mission impossible? Demokratielernen an NS-Gedenkstätten. Sie beleuchtet vor allem die Problematik des immanenten Widerspruchs zwischen dem allgemeinen Anspruch der politischen Bildung auf Ergebnisoffenheit und Meinungsfreiheit und der unverzichtbar wertgebundenen pädagogischen Haltung an Gedenkstätten. Demokratielernprogramme, wie z.B. Betzavta, das auch von der Akademie angeboten wird, arbeiten dezidiert mit Irritation und Verunsicherung, ein Aspekt, der in einem normalen Gedenkstättenbesuch bereits ohnehin enthalten ist und keiner intendierten Verstärkung mehr bedarf. Dies schließt nicht aus, bei mehrtägigen Lernprogrammen auch an Gedenkstätten demokratiepädagogische Methoden im geschützten Raum einzusetzen. Die Haupteinsatzmöglichkeit der Demokratiepädagogik sieht Susanne Ulrich aber vor allem auf dem Gebiet der Weiterbildung des pädagogischen Personals (Ulrich, S.57).
Daran anknüpfend folgt dann im zweiten Teil des Buches ein Praxisteil mit Übungen zur Selbstreflexion, die sich speziell an Gedenkstättenpädagog(innen) wenden. Die Übungen können alleine oder in selbstorganisierten Gruppen gemacht werden, um sich eigenverantwortlich zu qualifizieren und weiterzubilden. Zudem wurden im Rahmen des Projekt Seminare entwickelt, die zur Weiterbildung pädagogischer Mitarbeiter/innen an Gedenkstätten angeboten werden.
Kontakt
www.weiterbildung-gedenkstaettenpaedagogik.de
(online zum Jahresende 2010)
Max Mannheimer Studienzentrum/ Internationales Jugendgästehaus Dachau,Barbara Thimm
E-Mail: thimm@mmsz-dachau.de
Tel. 08131-6177-13 oder -10