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Stand und Steuerung der Transformation

Südosteuropa im Vergleich mit Ostmitteleuropa

Europäische Rundschau, 31.Jg., H. 3 (2003): 131-138

Von Martin Brusis

30.10.2003 · Europäische Rundschau, 3/2003



Gemeinsamkeiten der staatssozialistischen Herrschaftssysteme und parallele Umbruchssituationen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Länder Osteuropas durch unterschiedliche historisch-kulturelle Erbschaften geprägt sind und im Verlauf der neunziger Jahre verschiedene Entwicklungspfade beschritten. Untersucht man den Entwicklungsstand der politischen und ökonomischen Transformationsprozesse, so werden innerhalb der Region Unterschiede sichtbar, die auf die historisch-kulturelle Grenzlinie zwischen Ostmitteleuropa und Südosteuropa verweisen. Die acht ostmitteleuropäischen Länder, also Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn zusammen mit den baltischen Staaten und Slowenien haben die besonderen Transformationsherausforderungen in der Region weitgehend bewältigt. Ausdruck und Anerkennung ihres Erfolges ist zweifellos der Beitritt zur Europäischen Union am 1.5.2004.

Die sieben südosteuropäischen Länder dagegen erlebten eine langwierige, von Verzögerungen und Rückschlägen begleitete Transformation. In Bulgarien und Rumänien erwiesen sich die alten Eliten als wesentlich beharrungsfähiger und verzögerten einen tiefgreifenden Umbau des politischen und Wirtschaftssystems. In den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens blockierten die staatliche Loslösung und Neugründung sowie die damit einhergehenden Kriege eine weitergehende Demokratisierung und marktwirtschaftliche Reform bis zum Ende der neunziger Jahre. Albanien schliesslich war belastet mit dem Erbe eines doktrinär-isolationistischen Kommunismus sowie einer in Europa beispiellosen ökonomischen Rückständigkeit und Armut.

Da auch die südosteuropäischen Staaten der EU beitreten wollen, besitzen alle Staaten der Region heute gemeinsame normative, mit der EU-Beitrittsperspektive verbundene Transformationsziele. Reicht diese von der EU im Prinzip unterstützte Zielperspektive aus, damit die südosteuropäischen Staaten aufholen und die historisch-kulturelle Grenzlinie überwinden können? Oder erleben wir eine Abkopplung der Balkanländer, die zur Verfestigung des sichtbaren Syndroms von ökonomischer Rückständigkeit, unversöhnlichen ethnonationalen Konflikten und korrumpierter Demokratie führt?

Dieser Beitrag fragt nicht, ob die westliche Unterstützung für die Balkanregion angemessen und ausreichend ist. Vielmehr konzentriert er sich auf die Gestaltungsfähigkeit der einheimischen politischen Akteure und vergleicht die Leistungen des politischen Managements in Südosteuropa mit den Leistungen ostmitteleuropäischer Länder. Falls die politischen Eliten und Regierungen der Balkanländer vielversprechende Managementleistungen demonstrieren, so die zugrundeliegende Annahme, dann hat Südosteuropa das Potential dazu, zu Ostmitteleuropa aufzuschließen und sich aus seiner historisch-kulturellen Bestimmung zu lösen. Steuerungserfolge und Steuerungsversagen sind auf dem Hintergrund der von Land zu Land unterschiedlichen Rahmenbedingungen einzuschätzen, die den Spielraum jedes Transformationsmanagements beeinflussen. Diese Rahmenbedingungen und Entwicklungsverläufe sollen zunächst erläutert werden.

Konsolidierung von Demokratie und Marktwirtschaft seit 1998

Die meisten ostmitteleuropäischen Länder erlebten seit 1998 weder dramatische Fortschritte noch spektakuläre Rückschläge auf dem Weg zu Demokratie und Marktwirtschaft. Dies liegt daran, dass sie bereits vor fünf Jahren in beiden Dimensionen relativ weit vorangekommen waren. Wenn man aber das hohe Ausgangsniveau und die Risiken autoritärer Rückfälle in früheren Demokratisierungswellen sowie in anderen Weltregionen berücksichtigt, sind die Stagnationstendenzen oder geringen Fortschritte durchaus als Erfolgsleistungen einzustufen.

Dies gilt umso mehr, als die neuen Demokratien sich noch nicht mit einer spürbaren Verbesserung des sozioökonomischen Entwicklungsstandes legitimieren können. Ein Indikator der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ist der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen ermittelte Index der Menschlichen Entwicklung (HDI), der aus der durchschnittlichen Lebenserwartung, dem Deckungsgrad des Bildungssystems, der Literarität und dem Pro-Kopf-BIP in Kaufkraftparitäten errechnet wird. Gemessen am HDI haben nur Albanien und Lettland ihr Entwicklungsniveau zwischen 1995 und 2000 deutlich erhöht, in den übrigen Ländern der Region fällt der Zuwachs deutlich geringer aus. Im Jahr 2002 hatten erst sieben der 15 ostmittel- und südosteuropäischen Länder das Niveau ihres realen Bruttoinlandsproduktes von 1989 überschritten: Albanien, Estland, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.

Innerhalb der Gesamtregion heben sich vier Länder ab, die seit 1998 fundamentale politische Umbrüche erfuhren. In Kroatien, Serbien-Montenegro und der Slowakei wurden Führungspersonen abgelöst, deren semi-autoritäre Herrschaftspraxis Demokratiedefekte in den Bereichen Staatlichkeit, politische Partizipation und Rechtsstaatlichkeit verursacht und die weitere demokratische Konsolidierung blockiert hatte. Vor allem die politischen und wirtschaftlichen Fortschritte der Slowakei sind beeindruckend, während in Serbien-Montenegro die Post-Milosevic-Ära noch mit großen Unsicherheiten befrachtet ist. Während die genannten drei Länder seit 2000 bzw. 1998 bedeutende Transformationsfortschritte verzeichnen, stellt Makedonien das einzige Land in der Region dar, dessen politische und ökonomische Lage sich gegenüber 1998 insgesamt verschlechterte. Seine ethnopolitischen Gegensätze eskalierten im Frühjahr 2001 fast zu einem Bürgerkrieg, der durch das Abkommen von Ohrid im August 2001 beigelegt werden konnte, ohne dass die Konfliktursachen bisher vollständig beseitigt worden wären.

Was die übrigen Länder betrifft, blieb der Konsolidierungsgrad der Demokratie im wesentlichen unverändert oder verbesserte sich in einzelnen Aspekten. Tschechien und Ungarn haben inzwischen Parteiensysteme entwickelt, die durch eine überschaubare Zahl von relativ dauerhaften Parteien geprägt sind. In den übrigen Ländern sind die Parteiensysteme stärker fragmentiert und/oder durch häufige Veränderungen charakterisiert. Bulgarien und Serbien-Montenegro erlebten in den Jahren 1996/97 und 2000 Phasen zivilgesellschaftlicher Mobilisierung, die reformorientierten politischen Kräften zum Erfolg verhalfen. Inzwischen kann man in Bulgarien wie auch in anderen südosteuropäischen Ländern jedoch eine wachsende Kluft zwischen Öffentlichkeit und politischer Elite, zunehmendes Misstrauen gegenüber liberalen Reformern und ein Protestwahlverhalten enttäuschter Wählergruppen beobachten. Eine Meinungsumfrage vom Mai 2003 ermittelte, dass 81 % der Bulgaren und 74% der Rumänen nicht mit dem Funktionieren der Demokratie in ihrem Land zufrieden waren. Ein Symptom dieser Desillusionierung ist die Präsenz von Korruption als weitverbreitetes Fehlverhalten wie als generelles Stigma der Politik.

Insgesamt erscheinen die Rahmenbedingungen der Transformation in den südosteuropäischen Ländern wesentlich schwieriger als in den ostmitteleuropäischen Ländern. Dies ergibt ein Blick auf alle wesentlichen Problem- bzw. Erfolgsfaktoren: das wirtschaftliche Entwicklungsniveau, die Humankapitalausstattung, die Intensität ethnopolitischer Konflikte, die Existenz zivilgesellschaftlicher Traditionen und die Staatskapazität. Albanien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien weisen den höchsten Schwierigkeitsgrad in Mittel- und Osteuropa auf, denn dort kumulieren die fehlenden zivilgesellschaftlichen Traditionen und schwachen rechtsstaatlichen Strukturen entweder mit einem extrem niedrigen sozioökonomischen Entwicklungsniveau oder mit einer Erbschaft gewaltsamer ethnopolitischer Konflikte. Fast ebenso schwierige Bedingungen bestehen für ein Transformationsmanagement in Rumänien und Serbien-Montenegro. Während Rumäniens Hauptproblem eher in der fehlenden zivilgesellschaftlichen Tradition liegt, ist Serbien-Montenegro mit gravierenden ethnopolitischen und Staatlichkeitsproblemen konfrontiert.

Innerhalb des Gesamtfeldes zeichnen sich Litauen, Slowenien, Tschechien und Ungarn durch ein geringeres Schwierigkeitsniveau aus, da hier relativ starke zivilgesellschaftliche Traditionen, höhere Staatskapazitäten und ein hohes wirtschaftliches Entwicklungsniveau günstige Ausgangsbedingungen bieten. In den übrigen Ländern besteht ein mittlerer Schwierigkeitsgrad, teils aufgrund ethnopolitischer Probleme und schwächerer Staatskapazitäten, in Polen aufgrund der ungünstigen Entwicklungsstruktur der Wirtschaft.

Gestaltungsleistungen im Transformationsprozess

Umfassende gesellschaftliche Reformen, wie sie in Transformationsprozessen erforderlich sind, setzen eine politische Steuerungsleistung voraus, die mehreren Qualitätsmerkmalen genügen sollte. Die politische Elite sollte fähig sein, strategisch orientierte, konsistente und glaubwürdige Reformpolitiken zu formulieren und diese auch gegen politische Blockadeversuche umzusetzen. Eine Regierung sollte die verfügbaren ökonomischen, kulturellen und Humanressourcen optimal nutzen, Verantwortlichkeit, Lernfähigkeit und politische Klugheit zeigen, nicht-staatliche Akteure einbeziehen und einen breiten Reformkonsens in der Gesellschaft anstreben. Während einerseits eine ausreichende Durchsetzungsfähigkeit verlangt ist, geht es andererseits darum, zu gewährleisten, dass sich bestehende Konfliktlinien nicht zu unüberbrückbaren Spaltungen vertiefen. Zudem sollte eine Regierung auch dazu in der Lage sein, mit externen Unterstützern sowie internationalen Organisationen so zu kooperieren.

Die meisten Regierungen in der Region räumen mittel- und langfristigen Zielen des Transformationsprozesses Vorrang gegenüber kurzfristigen Zielen ein. Die estnischen, litauischen und slowakischen Regierungen vertreten auch eine konsistente und kohärente Reformpolitik. In den anderen Ländern dagegen lassen sich häufiger Abstimmungsmängel und partielle Reformstrategien beobachten. In Bosnien-Herzegowina agiert die amtierende Regierung teils konzeptionslos, teils auf kurzfristige Nutzenmaximierung bedacht, weil häufige Wahlen und Regierungswechsel politische Instabilität erzeugt haben, die durch fehlende Kompromissbereitschaft und ethnopolitische Gegensätze der Parteien verschärft wird. In Albanien und Makedonien behindert die parteipolitische Polarisierung die Formulierung und Verfolgung einer konsistenten, strategisch orientierten Reformpolitik.

Vor allem Estland, aber auch Litauen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn nutzen die verfügbaren ökonomischen, kulturellen und Humanressourcen auf optimale Weise. In Bosnien-Herzegowina und Makedonien verursachen die ethnopolitischen Gegensätze hohe fiskalische Kosten, z.B. zur Umsetzung ethnischer Proportionalität oder zur Aufrechterhaltung relativ kleinräumiger Vertretungskörperschaften. Alle Regierungen der Region arbeiten - mit unterschiedlicher Intensität - an der Reform der öffentlichen Verwaltung. Zu den wichtigsten Reformschritten gehören moderne Gesetze über den öffentlichen Dienst, die Dezentralisierung, eine mittelfristige Finanzplanung, die Einführung von exante-Ausgabenkontrollen (Schatzämter) und die Integration von extra-budgetären Fonds in den zentralen Haushalt.

Auch in den fortgeschrittenen Transformationsländern ist die Fluktuation des Verwaltungspersonals noch immer hoch, da qualifizierte Angestellte im privaten Sektor wesentlich besser bezahlt werden und da Regierungswechsel gewöhnlich mit weitreichenden personellen Veränderungen in der Verwaltung verbunden sind. Die Regierungen in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Ungarn haben zwischen 1998 und 2002 regelmäßig hohe Haushaltsdefizite verursacht, die im Durchschnitt fünf Prozent des BIP übersteigen. Zur Einschätzung der effizienten Nutzung von Haushaltsmitteln sind diese Indikatoren allerdings im Zusammenhang mit der Transparenz der Haushaltsführung zu interpretieren, die aufgrund von Haushaltsstrukturreformen in Ungarn höher ist als in den südosteuropäischen Ländern.

Nur in Estland und Litauen stellen die Regierungen ein öffentliches Dienstleistungsangebot bereit, das optimal auf die Erfordernisse von Wirtschaft und Gesellschaft abgestimmt ist. In Albanien, Bulgarien und Makedonien gewährleisten die Regierungen dagegen keine ausreichenden öffentlichen Dienstleistungen, was Transformationsfortschritte in diesen Ländern hemmt. Unreformierte Gesundheitssysteme, die öffentliche Mittel nicht optimal nutzen und zugleich keine adäquaten Dienstleistungen bieten, stellen in diesem Zusammenhang eine große Herausforderung dar. In Polen z.B. war die Regierung gezwungen, die 1999 eingeführten unabhängigen regionalen Krankenkassen wieder dem Gesundheitsministerium zu unterstellen. Die gewachsene internationale Aufmerksamkeit für das Korruptionsproblem hat alle Länder der Region dazu veranlasst, Massnahmen gegen Korruption einzuleiten.

Flexibilität, Lernfähigkeit und Innovationsbereitschaft lässt sich insbesondere den Regierungen in Estland, Lettland, Kroatien, Serbien-Montenegro, der Slowakei und Slowenien attestieren, während die führenden politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina diese Fähigkeiten nicht besitzen. Zum Beispiel gelang es der estnischen Regierung, die aus dem Staatsverständnis abgeleitete Ausgrenzungspolitik gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung als Nicht-Staatsbürger durch einen umfangreichen Satz von Massnahmen zur Integration dieser Gruppe zu ersetzen. Die kroatische Regierung verringerte die Vorrechte des Staatspräsidenten u.a. bei der Regierungsbildung und ?ablösung. Die serbische Regierung konnte trotz der ungelösten nationalstaatlichen Probleme und der heterogenen Regierungskoalition strategisch wichtige Gesetze im Bereich der Fiskal- und Sozialpolitik auf den Weg bringen. In Bosnien-Herzegowina dagegen fehlt es den politischen Eliten an Willen und an Anreizen, Kooperationen aufzubauen und einen Politikwechsel zu realisieren.
Verglichen mit mehrheitsdemokratischen Systemen nach britischem Vorbild ist die politische Autorität aller Regierungen in der Region relativ begrenzt, sind sie doch gezwungen, Koalitionspartner mit abweichenden Interessen einzubinden und multipolare Interessenlagen im Parlament zu berücksichtigen. Nur in Albanien bestand Anfang 2003 eine Einparteienregierung der Sozialistischen Partei, die zwar über die Mehrheit im Parlament verfügte, aber durch interne Rivalitäten gespalten war. Auch Vielparteienkoalitionen wie in Serbien-Montenegro, der Slowakei, Slowenien und Estland konnten in diesem Sinne gestaltungsfähige Regierungen hervorbringen.

Die Gestaltungsfähigkeit der Regierungen ist zudem durch häufige Regierungswechsel eingeschränkt. Zwar schwächen Regierungswechsel auch die Einflussmöglichkeiten für organisierte Interessen, die eine Fortsetzung der Reformen gefährden können. Sie beschränken aber zugleich die Handlungshorizonte von Politikern und damit die Chancen für eine Professionalisierung und strategische Orientierung der Regierungsführung. Nur Ungarn und Tschechien hatten seit dem Systemwechsel Regierungskabinette mit relativ langen Amtszeiten, während die durchschnittliche Lebensdauer von Kabinetten in der Region etwa 16 Monate betrug. In Polen, der Slowakei und Bulgarien hat sich die Stabilität von Regierungskabinetten seit der ersten Hälfte der neunziger Jahre verbessert, während Länder wie Lettland und Litauen in den letzten Jahren häufigere Regierungskrisen erlebten.

Prinzipielle Gegner von Marktwirtschaft und Demokratie haben nur geringe Bedeutung, zumal nachdem Kroatien und Serbien-Montenegro die semi-autoritären Regime von Tudjman und Milosevic im Jahr 2000 überwanden und die diese stützenden Gruppen marginalisierten bzw. integrierten. Allerdings haben die marktwirtschaftlichen Reformen insbesondere in den südosteuropäischen Ländern zur Entstehung ökonomischer Interessengruppen geführt, die ihre ökonomische Macht auf Monopolpositionen und schattenwirtschaftliche Aktivitäten stützen und sich einer politischen Kontrolle entziehen sowie politische Akteure und Verwaltung auf illegale Weise beeinflussen ("state capture").

Im Management von politischen Konfliktlinien sind weder die ostmittel-, noch die südosteuropäischen Regierungen besonders erfolgreich. Zwar konnten fast alle Regierungen eine Eskalation strukturbildender cleavages verhindern (Ausnahmen: Makedonien und Ungarn bis 2002), aber nur etwa die Hälfte der Regierungen hat auch den übergreifenden Konsens zwischen den politischen Akteuren erweitert. So hat z.B. der bulgarische Ministerpräsident Sakskoburggotski versucht, den in Bulgarien dominanten Gegensatz zwischen der sozialistischen Partei und der aus der ehemaligen System-Opposition hervorgegangen Union der Demokratischen Kräfte zu mildern. Die kroatische Regierung erreichte eine Depolarisierung der Konfliktlinien, was durch den Wandel der ehemaligen Regierungspartei HDZ zu einer gemäßigten Mitte-Rechtspartei erleichtert wurde. In Ungarn dagegen versuchte der bis 2002 amtierende Ministerpräsident Viktor Orbán, die Regierungskontrolle auf alle Bereiche der Gesellschaft auszudehnen und die Oppositionsparteien zu marginalisieren. Insgesamt haben die Regierungen in den kleinen Staaten tendenziell erfolgreicher im Konfliktlinien-Management agiert als in den großen und damit heterogeneren Staaten Polen und Rumänien.

Die Nähe der Region zu und ihre große Bedeutung für Westeuropa haben in Ostmittel- und Südosteuropa ein dichtes Netz von inter- und transnationalen Akteuren der Staaten- und Gesellschaftswelt hervorgebracht, mit der EU als dem zentralen Knotenpunkt. Dieses normbildende Netzwerk und die Anziehungskraft europäischer kultureller Muster und Wertorientierungen begünstigen kooperative Orientierungen und Politiken der inländischen politischen Akteure. Im Unterschied zu diesem überaus positiven Gesamtbild lassen die Regierungen und Politiker in Bosnien-Herzegowina Lernfähigkeit im Hinblick auf die Nutzung internationaler Hilfe vermissen, gelten als wenig zuverlässige Partner und sind nur begrenzt bzw. selektiv an der Vertiefung internationaler Kooperation interessiert.

In geringerem Maße finden sich entsprechende Defizite auch in Albanien, Bulgarien, Kroatien, Lettland, Makedonien, Rumänien, Ungarn und Serbien-Montenegro. Vor dem Hintergrund der Kriege um den Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens haben die Regierungen in Kroatien und Serbien-Montenegro große Fortschritte in der Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen gemacht, auch wenn noch nicht alle Nachbarschaftsdispute beendet werden konnten. Die Zusammenarbeit beider Länder mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal verlief jedoch nicht reibungslos. Im Streit um den Status des Kosovo und die serbisch-montenegrinischen Beziehungen ist die Politik Serbiens mit großen Unsicherheiten befrachtet. Makedonien nutzte ausländische Hilfsangebote nicht gezielt für wirtschaftliche Reformen, sondern zur Subventionierung der Klientel der jeweiligen Regierungsparteien. Lettland erleichterte die Einbürgerung der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe häufig weniger aufgrund eigener Lernschritte als durch internationalen Druck.

Die albanische Regierung vermag nur begrenzte Erwartungssicherheit gegenüber der internationalen Umwelt zu vermitteln, da die parteipolitische Polarisierung und die wirtschaftlichen Strukturprobleme im Land politische Instabilität erzeugen. Während Bulgariens Politik in Fragen wie der Abschaltung des Atomkraftwerks Kozloduj nicht immer als berechenbar einzustufen ist, tendieren viele politische Akteure in Rumänien dazu, ausländische Unterstützungsimpulse als auferlegte Vorgaben zu befolgen, statt sie in eigene, nachhaltige Lernfortschritte umzusetzen. Die ungarische Regierung versäumte es, ihre Nachbarstaaten ausreichend in die Vorbereitung des sogenannten Statusgesetzes zur Unterstützung der in den Nachbarländern lebenden ethnisch ungarischen Minderheiten einzubeziehen.

Fazit: Gestaltungsfähigkeit und Entwicklungsoptionen in Südosteuropa

Insgesamt vermittelt die Analyse der Managementleistungen ein weniger eindeutiges Ergebnis als der Blick auf den Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft. Zwar reflektieren die Managementleistungen das Gefälle zwischen Ostmittel- und Südosteuropa beim Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft. Allerdings ist dieser Zusammenhang nicht so stark, dass man davon sprechen könnte, dass der Entwicklungsstand von Demokratie und Marktwirtschaft oder der Schwierigkeitsgrad die Qualität des Transformationsmanagements festlegen.

In beiden Teilregionen lassen sich positive und negative Beispiele für Managementleistungen finden. So erwiesen sich die kroatische und die serbische Regierung als besonders gestaltungsfähig bei der Reform des Regierungssystems bzw. in der Haushalts- und Fiskalpolitik. Polen und Ungarn dagegen verzeichneten relativ hohe Haushaltsdefizite und Schuldenstände. Fast alle Regierungen in Ostmittel- und Südosteuropa zeichnen sich insgesamt durch ein relativ hohes Maß an Zielsicherheit aus, begünstigt durch die Orientierungswirkung, die vom EU-Beitrittsprozess auf die Reformtätigkeit ausgeübt wird.

Ausnahmen innerhalb dieses positiven Gesamtbildes sind vor allem Albanien und Bosnien-Herzegowina, wo die amtierenden Regierungen teils konzeptionslos, teils auf kurzfristige Nutzenmaximierung bedacht agieren. Albanien, Bosnien-Herzegowina und Makedonien stellen diejenigen Länder dar, die am wenigsten Nutzen aus den verfügbaren Ressourcen ziehen. Abgesehen von den bosnisch-herzegowinischen und makedonischen Akteuren sind alle Regierungen Ostmittel- und Südosteuropas fähig, einen unterschiedlich breiten und stabilen Konsens über die Reformen herzustellen. Die bis 2002 amtierende ungarische Regierung und die lettische Regierung trugen allerdings zur Polarisierung von existierenden Konfliktlinien bei, während Kroatien und Bulgarien Beispiele für die Abschwächung zuvor bestehender Konfliktlinien bieten.

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die politischen Akteure auch in Ländern mit weniger konsolidierter Demokratie und Marktwirtschaft gute Steuerungsleistungen erbringen können. Insbesondere Kroatien und Serbien haben seit dem Jahr 2000 große Fortschritte bei der Überwindung autoritärer politischer Strukturen gemacht. Die intraregional überdurchschnittlichen Managementleistungen der Regierungen beider Länder bieten Anlass zur Hoffnung, dass südosteuropäische Staaten im Transformationsprozess aufholen können, wenn sie ihre gute Managementleistung stabilisieren können.

Demgegenüber erweckt die Gestaltungsleistung der Akteure in Makedonien und Albanien einen sehr ambivalenten Eindruck, und den politischen Eliten in Bosnien-Herzegowina lässt sich nur ein krasses Missmanagement bescheinigen. Solange es nicht gelingt, den Teufelskreis von Missmanagement, Stagnation und Desillusionierung zu durchbrechen, dürften diese Länder ihrem historisch-kulturell vorgezeichneten Entwicklungspfad verhaftet bleiben.


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