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Handeln oder nicht Handeln?

Russland und der Poker um die WTO-Mitgliedschaft

03.08.2009 · Position von Mark Hirschboeck



Eine lange Zeit ist vergangen seitdem Russland im Jahr 1993 den Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) zum ersten Mal anstrebte. Die Schaffung der "Arbeitsgruppe zum Beitritt der Russischen Föderation" wurde als erstes ernsthaftes Signal der Bestrebungen betrachtet, die Russland hegte um WTO-Mitglied zu werden. Sechzehn Jahre später ist Russland immer noch kein Mitglied. Vor kurzem hat sich das Land aus den einseitigen Verhandlungen zurückgezogen und angekündigt, die Mitgliedschaft als Teil einer Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland beantragen zu wollen. Eine baldige Mitgliedschaft scheint damit in weitere Ferne zu rücken. Worauf sind die jahrelangen Verhandlungen zurückzuführen und welche Zukunftsperspektive hat ein russischer WTO-Beitritt angesichts dieser Neuentwicklungen?

Ein historischer Blick auf die russischen WTO-Verhandlungen

Die Geschichte der russischen Beitrittverhandlungen zur WTO hat ihren Ursprung in den strategischen Interessen der Russischen Föderation nach der Auflösung der Sowjetunion. In den frühen neunziger Jahren hatte die Idee einer WTO-Mitgliedschaft keine Priorität, sondern war für die russische Regierung ein langfristiges Ziel. Im Laufe der folgenden Jahre ging die geplante Wirtschaftreform in Russland nur langsam und stockend voran. Ein Beitritt zur WTO wurde verschoben und hätte auch angesichts der russischen Wirtschaftslage keine reale Chance gehabt. Erst im Jahr 2000 wurden die WTO-Beitrittsverhandlungen wieder aufgenommen. Der damals neu gewählte Staatspräsident Wladimir Putin wagte sogar das Versprechen, dass Russland bis 2003 ein Mitglied der WTO sein würde.

Trotz Putins Unterstützung und mehreren Wirtschaftsreformen, wurde die Zielsetzung bis heute nicht erfüllt. Bilaterale Vereinbarungen, die einen wichtigen Teil des Beitrittsverfahrens darstellen, wurden von einer Reihe von Handelskonflikten (unter anderem das russische Einfuhrverbot für polnische Fleischprodukte) verhindert. Daneben wurden heimische Subventionen sowohl für die russische Automobil- als auch Flugzeugindustrie seitens der Welthandelsorganisation kontrovers betrachtet. Hintergründig schwebte immer die Frage: Ist die WTO-Mitgliedschaft wirklich noch im strategischen Interesse Russlands? Davon schienen weder die russische Regierung noch die Presse völlig überzeugt zu sein. Die populäre Tageszeitung Moskowski Komsomolez brachte diese Skepsis zum Ausdruck indem sie äußerte: "Für die, die ihre Arbeitsplätze behalten werden, ist Russlands Beitritt in die WTO zweifellos ein positiver Faktor. Aber für die übrigen, ist es eine Katastrophe. Also stellt sich die Frage: Welche wird die größere Gruppe sein - die, die mit leeren Händen ausgeht, oder diejenige, welche die Vorteile der globalen Gemeinschaft genießt?". Den globalen Ängsten um den Schutz der heimischen Wirtschafts- und Arbeitslage wurden die protektionistischen Handelsakte der russischen Regierung entgegengesetzt und damit ein Beitritt zur WTO weiter hinausgezögert.

Seit 2003 sind die Verhandlungen um einen russischen Beitritt zur WTO fast zum Stillstand gekommen. Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wurde von neuen sicherheitspolitischen Entwicklungen herausgefordert, Putins persönliche Unterstützung für weitere Reformen der russischen Wirtschaft wankte und die wirtschaftsfreundlichen liberalen Politiker in Russland verloren wegen der Niederlage in den Parlamentswahlen 2003 und dem Yukos-Skandal ihren Einfluss sukzessive. Der vielleicht wichtigste Faktor für die WTO-Skepsis seitens Russlands wurden jedoch die explodierenden Ölpreise. Handelsverträge über Energielieferungen konnten mit Handelspartnern frei von Tarifpreisen und Kontingenten abgeschlossen werden, ohne dass Russland Handelseinschränkungen, die nach dem WTO-Recht illegal gewesen wären, hätte beachten müssen. Der ökonomische Anreiz, der WTO beizutreten, war vergleichsweise äußerst gering. In der jüngsten Zeit, haben zudem weitere sicherheitspolitische Vorkommnisse wie die militärische Auseinandersetzung mit Georgien Anfang August 2008, ihr Tribut für die russischen Verhandlungen mit der WTO gefordert.

Vor diesem Hintergrund kündigte der russische Ministerpräsident Putin im Juni 2009 überraschend an, dass Russland einseitige Verhandlungen mit der WTO abbrechen und die Mitgliedschaft als Teil einer Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland beantragen werde. Der erste russische Vizepremier Igor Schuwalow sieht eine Mitschuld der USA und der EU an Russlands Rückzug von den Beitrittsverhandlungen. Die transatlantischen Partner hätten dem WTO-Beitritt Russland viele Hindernisse in den Weg gelegt, die Russland letztenlich nicht akzeptieren konnte. Sowohl die EU als auch die USA weisen diese Anschuldigungen jedoch von sich und geben an, das Verfahren des russischen WTO-Beitritts hilfreich unterstützt und vorangebracht zu haben.

Was nun?

Schuldzuweisungen zwischen der EU, den USA und Russland werden die Frage, wie es nun mit den russischen Bemühungen um einen WTO-Beitritt weiter geht, nicht beantworten können. Nach Pascal Lamy, dem Generaldirektor der Welthandelsorganisation, ist es unklar, ob die Idee der Zollunion zwischen Russland, Kasachstan und Weißrussland die Handlungsmacht hat, die Beitrittsverhandlungen mit der WTO zu führen: "Ich erwarte einen Zeitraum von ernsthaftem legalem Pokern."

Lamys Metapher ist gut gewählt. In mancher Hinsicht ist Russlands neu angekündigte Herangehensweise an einen WTO-Beitritt ein politischer Spielzug. Russland möchte nochmalig betonen, dass das Land trotz der allgemeinen Verbesserungen der US-Russland Beziehungen nicht passiv in Richtung einer Westintegration voranschreiten werde. Die eigenen Interessen stehen für Russland nicht nur sicherheitspolitisch weiterhin im Vordergrund. Es ist jedoch auch möglich, dass Russlands Ankündigung einfach nur ein strategischer Zug war, weitere Zugeständnisse bei den WTO-Beitrittsverhandlungen seitens der EU und den USA zu erwerben. Auf dem vor kurzem stattgefunden G20-Gipfel in L'Aquila erwähnte der russische Präsident Dmitri Medwedew, dass die WTO-Verhandlungen im Rahmen der neu geschaffenen trilateralen Zollunion wünschenswert, aber auch ziemlich problematisch wären. Daraus könnte man schließen, dass die EU und die USA Russland eventuell in einigen strittigen Punkten entgegengekommen sind und die Russische Föderation doch noch den Weg zurück an den Verhandlungstisch der WTO als eigenständige Partei finden könnte.

Obwohl die Verhandlungslage derzeit verworren erscheint, ist langfristig eine Mitgliedschaft Russlands in der WTO sowohl von der russischen als auch seitens der Welthandelsorganisation wünschenswert. Mit der Zeit können sowohl Russland als auch die WTO von einer Liberalisierung der Handelsbeziehungen nur profitieren. Eine WTO-Mitgliedschaft könnte Russland helfen seine Wirtschaft zu diversifizieren und dadurch nachhaltig zu stärken. Zudem dürfte die WTO als ein Forum dienen, in dem Handelskonflikte zwischen Russland und seinen Handelspartnern diskutiert und ausgeräumt werden können. Die Liberalisierung der russischen Wirtschaft ist in vielen Sektoren schon vollzogen worden. Es dürfte zu erwarten sein, dass diese Öffnung des eigenen Marktes in den nächsten Jahren voranschreitet. Eine Sache erschwert jedoch die Beitrittsverhandlungen zur WTO weiterhin: die Gas- und Ölpreise. Denn solange sich Russland auf die steigenden Energiepreise verlassen kann, wird das Pokern um einen Beitritt zur WTO weitergehen.


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