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Ukrainische Wirren sind Steilvorlage für Moskau

Der Zerfall der pro-westlichen Regierungskoalition in Kiew kommt für Russland zu einem günstigen Zeitpunkt

08.09.2008 · Position von Daniel Grotzky



Ende der pro-westlichen Koalition in Sicht

Am 3. September hat der ukrainische Präsident Viktor Juschtchenko damit gedroht, das Parlament, die Werchowna Rada, aufzulösen, wenn binnen 30 Tagen keine neue Regierungskoalition gebildet werden kann. Zuvor hatte der Block der Premierministerin Julia Timoschenko gemeinsam mit der pro-russischen Partei der Regionen ein Gesetzespaket durchgesetzt, das die Kompetenzen des Präsidenten drastisch einschränkt. Nun hat die Präsidenten-Partei "Unsere Ukraine-Volksverteidigung" die Zusammenarbeit mit dem "Block Timoschenko" beendet. Damit ist die Regierungskoalition zwischen den Anhängern Juschtchenkos und Timoschenkos, die beide in der Ukraine einen Westkurs Richtung NATO und EU verfolgt hatten, zerfallen. Bereits im Mai hatte die Koalition durch den Austritt von zwei Abgeordneten des Juschtschenko-Lagers ihre Mehrheit verloren.

Neuwahlen oder neue Regierung?

Sollte es nun zu Neuwahlen kommen, wären es bereits die dritten Parlamentswahlen seit der "Orangenen Revolution" 2004. Der Zeitpunkt des Zerfalls der Koalition fällt im übrigen zusammen mit dem Ablauf der Ein-Jahres-Frist, während der laut Verfassung der Präsident die 2007 außerturnusmäßig gewählte Volksvertretung nicht auflösen durfte. Für das Land selbst wären Wahlen in einem Umfeld von Inflationsraten von über 25 Prozent, sinkendem Investorenvertrauen und der steigenden Tendenz aller politischen Parteien zum Populismus voraussichtlich wenig hilfreich. Aber auch wenn eine neue Koalition zustande kommt, wäre diese aufgrund der aktuellen Kräfteverhältnisse im ukrainischen Parlament deutlich Moskau-freundlicher als bisher. Julia Timoschenko scheint nun auch bereit zu sein, mit pro-russischen Kräften zu kooperieren, vorausgesetzt dies sichert ihr einen Sieg bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Um zu gewinnen, benötigt die in westlichen Medien bislang als Reformerin bejubelte Premierministerin auch Stimmen aus  der mehrheitlich von Russen bewohnten Krim-Halbinsel und aus der Ostukraine, die derzeit noch zum ehemaligen Minsterpräsidenten Viktor Janukowitsch, dem Chef der "Partei der Regionen" tendieren. Entsprechend hatte in der Georgien-Krise sich Timoschenko in den vergangenen Wochen auffällig leise gezeigt, während Präsident Juschtschenko nach Tiflis gereist war, um seine Unterstützung für Mikheil Saakaschwili unter Beweis zu stellen.

Wende der Großwetterlage im Bereich überlappender Nachbarschaft?

Für Russland ist dieser potentielle Schwenk in der politischen Landschaft ein Glücksfall und zwar aus mehreren Gründen. Sollte sich tatsächlich in Zukunft eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Timoschenko und der Partei der Regionen von Janukowitsch ergeben, so wäre zumindest der NATO-Beitritt des Landes mittelfristig erledigt. Eine Regierung, die mit Russland den Kompromiss sucht, würde für Moskau einen weiteren Schritt zur Re-Konsolidierung des eigenen Einflusses im postsowjetischen Raum bedeuten. So könnte diese den Vertrag über die Stationierung der Schwarzmeerflotte verlängern und eine Politik fördern, die die Ukraine weiter von russischen Energielieferungen abhängig hält.

Diskreditierung der Demokratie

Gravierender ist jedoch die Symbolwirkung der politischen Dauerkrise. Der endgültige Zerfall der "orangenen Koalition" und die vorangegangenen Konflikte zwischen Präsident und Premierministerin haben nicht nur die Glaubwürdigkeit des westlich orientierten politischen Lagers untergraben, sondern die der Demokratie insgesamt. Auch Akteure des "orangenen" Lagers versuchen über den Verfassungs- und Gesetzgebungsprozess den politischen Gegner zu benachteiligen. Zum Beispiel haben Abgeordnete des Blocks Timoschenko nach Ende der Koalition beantragt, eine 10-Prozent-Hürde einzurichten, die das Parteiensystem zu eigenen Gunsten verschieben würde. Die Tatsache, dass in der Ukraine demokratisches Regieren ständig im Konflikt endet, dient innerhalb von Russland auch der Legitimierung der fortgeschrittenen Machtzentralisierung und Aushöhlung von freiheitlichen Rechten. Auch ist es dann einfacher, reformorientierte Kräfte im eigenen Land und dem "nahen Ausland" als vermeintliche von den USA und der EU beeinflusste Agenten des Regimewechsels zu diskreditieren. Russland, das aufgrund der sprachlichen Überschneidungen eine enge Verknüpfung mit der Ukraine aufweist, kann diese Botschaft über seine Medienmacht bei vielen Bewohnern der Ukraine platzieren.

EU muss ein klares Signal senden

Indirekt trägt auch die Europäische Union einen Teil der Verantwortung für die anhaltende politische Krise in dem Land mit über 45 Millionen Einwohnern. Denn obwohl die Ukraine seit der Orangenen Revolution 2004 eine Demokratie mit freien Wahlen und dynamischer Zivilgesellschaft und Medien hervorgebracht hat, hat die EU es versäumt den ukrainischen Eliten ausreichend  Anreize zu bieten, diesen Modernisierungsprozess zu konsolidieren.

Die geografische Lage der Ukraine, ihre Geschichte und Demografie werden auch in Zukunft einen gewissen russischen Einfluss gegenüber dem Land wirtschaftlich und politisch zur Folge haben. Es ist allerdings im europäischen Interesse, dass die ukrainisch-russischen Beziehungen keinen negativen Einfluss auf die Etablierung von Demokratie und Marktwirtschaft in der Ukraine entwickeln, wie es 2004 der Fall war, als es unter Beihilfe Russlands massive Fälschungen der Präsidentschaftswahlen zugunsten des Moskau-freundlichen Kandidaten Janukowitsch gab.

Zwar hat man in Brüssel erkannt, dass eine engere Anbindung der Ukraine an die EU schon allein aufgrund ihrer energie- und sicherheitspolitischen Korridor-Lage am Schwarzen Meer im europäischen Interesse liegt. Bis heute hat sich die EU allerdings nicht zu einer politischen Deklaration durchringen können, die die Ukraine als europäisches Land anerkennt. Genau dies ist jedoch von Nöten und würde zwei Bedeutungen mit sich tragen. Zum einen würde die Anerkennung als europäisches Land formell der Ukraine eine Perspektive auf langfristige Integration in die Europäische Union ermöglichen, wenn sie die Beitrittskriterien denn erfüllen kann. Zum anderen könnte man aber auch so den politischen Eliten der Ukraine deutlich machen, dass die EU von ihnen die Einhaltung demokratischer europäischer Normen und politischer Fairness erwartet.


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