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Die verlorene Amtszeit von Präsident Bush

US-Bürger erwarten wirtschaftlichen Aufschwung und die Aufwertung des US-Ansehens in der Welt

Zusammenfassung eines Interviews der Deutschen Welle (Spanien) mit Thomas Bauer über die letzte Rede des US-Präsidenten George W. Bush zur Lage der Nation.
Das ganze Interview zum Nachlesen

30.01.2008 · Position von Thomas Bauer



Am 28. Januar 2008 hielt George W. Buh seine siebte und letzte Rede zur Lage der Nation. Die Aufmerksamkeit war äußerst gering. Dies lag nicht nur an den Vorwahlen der Republikaner und der Demokraten zur Kandidatenkür für die im November stattfindenden Präsidentschaftswahlen, sondern auch an den geringen Erwartungen der Öffentlichkeit in die letzten 51 Wochen seiner Amtszeit. Der Präsident sieht sich im Kongress einer demokratischen Mehrheit gegenübergestellt. Seine Partei hat sich mehrheitlich von ihm distanziert. Seine Popularitätswerte sind auf ein historisches Tief von 32 Prozent gesunken. Große politische Initiativen lassen sich unter diesen Bedingungen nicht mehr starten.

Die sonst üblichen harschen Angriffe gegen die Demokraten blieben dieses Mal aus. Kein Wunder, benötigt er doch deren Zustimmung im Repräsentantenhaus und im Senat für sein angekündigtes 150 Milliarden US-Dollar schweres Konjunkturprogramm. Zwar hat man sich auf den Umfang des Maßnahmenpakets einigen können, jedoch existieren noch unterschiedliche Auffassungen darüber, wem die angekündigten Steuererleichterungen zu Gute kommen sollen. Lediglich bei den Themen Migration und Rentensystem konnte sich Bush den Seitenhieb nicht verkneifen, dass es gerade die demokratische Kongressmehrheit wäre, die sich einer Lösung für die drängenden Fragen beim Umgang mit Immigranten und beim maroden Rentensystem verweigert hätten.

Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus dominierte den Bereich der Rede über die internationale Politik. Im Irak seien Fortschritte zu erkennen, und seine Entscheidung des letzten Jahres 30.000 zusätzliche Soldaten ins Land zu schicken hätte hierzu ebenso beigetragen wie die Tatsache, dass sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nun nicht mehr untereinander bekriegen würde, sondern sich dem Kampf der USA gegen die Aufständischen angeschlossen hätten. Die neusten Statistiken würden zumindest diesen Rückschluss des Präsidenten zulassen. Seit dem Frühjahr 2007 ging die Zahl der Anschläge im ganzen Land um 55 Prozent zurück, die Zahl der Zivilopfer gar um 60 Prozent. Dennoch verharrt der Irak im Chaos. Von einer stabilen oder gar sicheren Lage ist man noch weit entfernt.

Teheran gegenüber erneuerte der US-Präsident die Drohung, dass die USA ihren Verpflichtungen gegenüber den Verbündeten in der Region nachkommen würde, sollte vom Iran eine Bedrohung ausgehen. Dabei betonte er vor allem die Rolle des Mullah-Regimes bei der Ausbildung, Finanzierung und Unterstützung der Aufständischen im Irak und der Hisbollah im Libanon.

Insgesamt war die Rede ohne große Überraschungen. Alles hatte man in dieser oder ähnlichen Form schon mal gehört. Die demonstrativ ablehnende Haltung der Demokraten, die dem Präsidenten an vielen Stellen seiner Rede den Applaus verweigerten, ist ebenso auf die Lage von George W. Bush als "lahme Ente" in seiner restlichen Amtzeit zurückzuführen, wie auf die Tatsache, dass das gesamte Land auf den großen Politikwechsel wartet. Wer auch immer Ende des Jahres ins Weißen Haus einziehen wird, die Bevölkerung in den USA erwartet von einem neuen Präsidenten einen neuen Ansatz zur Beilegung der wirtschaftlichen Probleme und zur Aufwertung des Ansehens der USA in der Welt. Die Vereinigten Staaten sind angeschlagen, und es ist im Gegensatz zu den letzten Wahlen keine unpatriotische Schande mehr diese Tatsache auch als Kandidat offen anzusprechen. Bush selbst hat dies zumindest unter Verweis auf die wirtschaftliche Lage in seiner Rede zugegeben. Und das könnte sich als Sargnagel für seine Rolle in der Geschichte der USA herauskristallisieren. Bisher konnte er trotz der chaotischen Lage im Irak zumindest auf gute Wirtschaftsdaten verweisen. Nun sieht man sich jedoch mit einer drohenden Rezession konfrontiert, und die innenpolitisch wichtigen Themen wie etwa eine Reform des Gesundheits- und des Rentensystems überlässt er seinem Nachfolger im Amt. Bei vielen Beobachtern setzt sich daher allmählich die Ansicht durch, dass es sich bei der Präsidentschaft des George W. Bush um eine verlorene Amtszeit handelt.


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