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Parlamentswahlen in Italien

Wer hat Berlusconi gewählt?

18.04.2008 · Position von Sophia Burkhardt



Für die meisten deutschen Kommentatoren sind die Italiener ein großes Rätsel: Nun schon zum dritten Mal haben sie Silvio Berlusconi zum Ministerpräsidenten gewählt. Obwohl er während seiner Regierungszeit von 2001 bis 2006 kaum eines seiner angekündigten Projekte verwirklichte. Obwohl ihm vorgeworfen wird, dass er seine Amtszeiten dazu nutzte, Gesetze zu seinem eigenen Vorteil zu verabschieden. Und obwohl er durch die Vermischung von Medienmacht und politischem Einfluss die so genannte "italienische Anomalie" schuf, die von OSZE-Medienbeobachtern sogar als "mit der Demokratie unvereinbar" erachtet wird. Wer sind seine Wähler, die hierzulande so rätselhaft erscheinen?

Die politische Geographie Italiens

Politisch lässt sich Italien in drei Teile aufteilen: den Norden, das Zentrum und den Süden mit den großen Inseln Sizilien und Sardinien. Im wirtschaftlich starken Norden sind traditionell die Rechts- und Mitte-Rechts-Parteien sehr stark. Hier entstand in den 80er-Jahren die regionalistisch-separatistische Lega Nord. Aber auch Berlusconis Forza Italia hatte im Norden ihre Wurzeln. Berlusconi selbst stammt aus Mailand und seine Wähler sind zu einem guten Teil Selbstständige und Unternehmer, wie es sie hauptsächlich im Norden gibt. Hier konnte sich Berlusconis Partei sogar relativ gut an der Basis verankern – auch weil viele ehemalige Kommunal- und Regionalpolitiker der Democrazia Cristiana und der Sozialistischen Partei Craxis bei Berlusconi eine neue politische Heimat fanden.

Die Regionen des Zentrums – die Emilia Romagna, die Toskana, Umbrien und die Marken – gelten als die "rote Zone" Italiens. Diese Gegend war vor dem Zusammenbruch des Parteiensystems in den 90er-Jahren eine Hochburg der italienischen Kommunisten. Die aus den Kommunisten hervorgegangenen Linksdemokraten, die größte Gruppe innerhalb der neuen Demokratischen Partei, hatten hier einen Großteil ihrer Mitglieder.

Der Süden des Landes neigt wiederum mehr den Mitte-Rechts-Parteien zu. Im Landstrich zwischen Latium und Puglien hat die aus dem neofaschistischen Msi entstandene Alleanza Nazionale ihre Basis. Berlusconis Forza Italia war schon immer in Sizilien besonders stark. Allerdings sind die Wählerpräferenzen im Süden wesentlich weniger stabil als im Norden oder im Zentrum. Der Süden ist deshalb häufig wahlentscheidend.   

Berlusconis Wähler

Für den Wahlkampf 2008 waren die Kandidaten von Forza Italia und Alleanza Nazionale unter dem Namen Popolo della libertà, "Volk der Freiheit", auf einer gemeinsamen Liste angetreten, die in der Kammer rund 38 Prozent der Stimmen erhielt. Zum Vergleich: 2006 stimmten insgesamt 36 Prozent der Italiener für die beiden Parteien. In absoluten Zahlen hat die Liste allerdings über 100.000 Stimmen verloren. Gewählt wurde das "Volk der Freiheit" vor allem in den Regionen, in denen schon Alleanza Nazionale und Forza Italia stark waren: Im Nordwesten, im Süden und auf Sizilien, wobei Berlusconis Liste im Norden Wähler verlor und dafür im Süden hinzugewann. Im von der neapolitanischen Müllkrise geschüttelten Kampanien verzeichnete die Mitte-Rechts-Liste einen Zuwachs von 18,4 Prozent. Bei den Wahlen zum Senat errang Berlusconi die Mehrheiten in Kampanien, Kalabrien, Sardinien und den Abruzzen, die 2006 noch mehrheitlich links gewählt hatten. Der Süden hat also tatsächlich zum Teil die Wahl entschieden.

Seine stabile Mehrheit verdankt Berlusconi allerdings vor allem der Lega Nord, die ihr Ergebnis bei den Wahlen zur Kammer von 4,6 Prozent auf 8,3 Prozent fast verdoppelte. In fünf nördlichen Provinzen – Sondrino, Verona, Bergamo, Vicenza und Treviso – erhielt sie mehr als 30 Prozent der Stimmen. Ein Ergebnis, das italienische Kommentatoren wie Ilvo Diamanti nur wenig erstaunt. Immerhin ist die Lega Nord in der unsteten italienischen Parteienlandschaft eine Konstante. Es gibt sie seit fast 30 Jahren und sie ist stark verankert, regiert im Norden viele Städte und Provinzen. Erstaunlich ist vielmehr, dass die Lega ein so gutes Ergebnis einfuhr, obwohl sie in einer Koalition mit Berlusconi antrat. Denn bisher holte sie ihre besten Resultate immer dann, wenn sie sich allein zur Wahl stellte. Diesmal zog die Lega ihrem Koalitionspartner Stimmen ab: 18,9 Prozent der Lega-Wähler haben nach Hochrechnungen bei den letzten Wahlen noch Forza Italia gewählt, 11,4 Prozent die Alleanza Nazionale. Unter Umständen hat der Lega Nord bei diesen Wahlen also ihre Position als privilegierter einziger Koalitionspartner im Norden geholfen.

Einfach wird das Regieren mit der Lega Nord – deren Parteichef Umberto Bossi im Wahlkampf schon einmal angekündigt hatte, bei Wahlbetrug werde das "Volk des Nordens" zu den Gewehren greifen – sicher nicht. Zwar beschwört Berlusconi immer wieder, die Lega sei in der Regierungszeit von 2001 bis 2006 ein verlässlicher Partner gewesen, nur war das eine schwache Lega mit 3,9 Prozent Stimmanteil. Als die Lega nach den Wahlen von 1994 über 8,4 Prozent der Stimmen verfügte, hat sie den Sturz der Regierung Berlusconi letztendlich mit herbeigeführt. Aktuelle Forderungen der Lega wie die regionale Verwendung der Steuereinnahmen sind in Italien mit seinem starken Nord-Süd-Gefälle mehr als problematisch – gerade auch wenn man den Rückhalt von Berlusconis Liste im Süden bedenkt.

Veltronis Wähler

Zum ersten Mal ist Walter Veltronis Demokratische Partei bei diesen Parlamentswahlen angetreten. Sie erhielt 33,2 Prozent der Stimmen in der Kammer. Im Verhältnis zum Ergebnis der Parteien und Listen, aus denen die Demokratische Partei hervorging, konnte sie ihr Ergebnis um weniger als 1 Prozent steigern. In absoluten Zahlen hat die Partei etwa 100.000 Wähler hinzugewonnen.

Die Demokratische Partei konnte also trotz der abnehmenden Wahlbeteiligung ihr Ergebnis halten, vor allem in den Regionen des Zentrums, in denen traditionell links gewählt wird. Leichte Zugewinne verzeichnete die Partei im Trentin sowie im Latium, was wohl auch daran liegt, dass Veltroni dort als römischer Bürgermeister etabliert ist. Verloren hat Veltroni gleichermaßen im reichen Norden wie im armen Süden. Im Norden haben die gemäßigten Linken schon immer zu kämpfen. Ein Grund für den Verlust im Süden mag sein, dass die Lebensbedingungen der Italiener sich in den vergangenen Jahren, auch unter der Regierung Prodi, weiter verschlechtert haben. Außerdem gehört die Bürgermeisterin des müllgeplagten Neapel der Demokratischen Partei an, was wohl auch nicht zu deren Vertrauenswürdigkeit beigetragen hat.

Sehr gut abgeschnitten hat hingegen die Partei des Anti-Korruptions-Staatsanwalts Antonio di Pietro, Italia dei Valori, "Italien der Werte". Sie steigerte ihren Stimmanteil in der Kammer von 2,0 auf 4,4 Prozent. Die Partei hat – außer in Sizilien – überall in Italien hinzugewonnen. Wie die Lega Nord auf Seiten von Mitte-Rechts hat also auch der kleine Koalitionspartner auf Seiten von Mitte-Links sein Ergebnis stark verbessert – zum Teil auf Kosten des größeren Koalitionspartners. Nach Hochrechnungen zur Wählerwanderung haben 36,3 Prozent von di Pietros Wählern 2006 noch den Ulivo, also den Vorgänger der Demokratischen Partei gewählt, nur 26,1 Prozent stimmten damals schon für Italia dei Valori.

Christdemokraten, Kommunisten und die extreme Rechte

Im Jahr 2006 hatte es auf Grund der zwei Koalitionen eine Art künstlichen Bipolarismus gegeben. 2008 konnten die Wähler sich nicht nur zwischen einer Mitte-Rechts- und einer Mitte-Links-Kraft entscheiden. Es standen außerdem das Regenbogenbündnis aus Kommunisten und Grünen sowie die Christdemokratische Unione di Centro (Udc) zur Wahl. Die Wähler haben allerdings klar für den Bipolarismus votiert.

Die Udc hatte auf die Sehnsucht der Italiener nach einer christlichen Kraft des Zentrums gesetzt. Immerhin wählte eine Mehrheit der Italiener mit der Democrazia Cristiana jahrzehntelang eine solche Partei. 2006 hatte die Udc, damals noch in leicht anderer Zusammensetzung und als Teil der Mitte-Rechts-Koalition, in der Kammer einen Stimmanteil von 6,8 Prozent errungen und war damit einer der größten Wahlgewinner. Mit 5,6 Prozent blieb ihr Anteil 2008 weitgehend stabil, wobei sie nicht dieselbe Wählerschaft anzog wie bei den letzten Wahlen. Nur 34 Prozent der Wähler der Unione di Centro hatten 2006 die alte Udc gewählt. 2008 gewann die Partei 15,5 Prozent der ehemaligen Forza-Italia-Wähler hinzu und noch einmal 13,6 Prozent der Ulivo-Wähler, die vermutlich die laizistischere Ausrichtung der Demokratischen Partei ablehnen. Die Udc wird sowohl in die Kammer als auch in den Senat einziehen. Als dritte Kraft neben der Demokratischen Partei und dem Volk der Freiheit konnte sie sich aber nicht etablieren. Sie ist aktuell nicht einmal potenzieller Königsmacher, denn selbst wenn die Abgeordneten der Udc mit den gemäßigten Linken stimmen würden, könnten sie Berlusconis Mehrheit nicht überstimmen.

In keine der beiden Kammern wird die kommunistische Partei einziehen – ein Novum in der italienischen Nachkriegsgeschichte. Veltroni hat mit seiner Entscheidung, bei den Wahlen allein anzutreten, zur Schwächung der Kommunisten beigetragen. Teilweise hat er davon auch profitiert: Etwa die Hälfte der Wähler der radikalen Linken von 2006 folgten seinem Aufruf zum "voto utile", zur nützlichen Stimmabgabe, und wählten die Demokratische Partei, so die Analysen zur Wählerwanderung.

Relativ erfolgreich waren außerdem die rechtsextremen Parteien. Sie konnten ihren Stimmanteil im Stammgebiet der Linken fast verdreifachen. Obwohl die Rechtsextremen in ganz Italien etwa 500.000 Stimmen hinzugewannen, zogen sie aber nicht ins Parlament ein.

Berlusconi siegte bei den Wahlen von 2008, weil er den Süden wieder für sich gewinnen konnte. Die Wähler, die er im Norden verloren hat, wählten außerdem mit der Lega Nord eine Partei seiner Koalition. Für Veltroni bedeutet das im Umkehrschluss: Er muss bei den nächsten Wahlen über die traditionellen Milieus der italienischen Linken hinaus Wähler gewinnen, sei es im Norden oder im Süden. Und Wahlen gibt es in Italien ja bekanntlich oft früher als gedacht.

Quellen

Wahlergebnisse auf den Seiten des italienischen Innenministeriums: politiche2008.interno.it

Daten-Analysen des Istituto Cattaneo in Bologna:

www.cattaneo.org/pubblicazioni/analisi/pdf/
Analisi_Cattaneo_Politiche2008_Vincitori_e_vinti.pdf

www.cattaneo.org/pubblicazioni/analisi/pdf/
Analisi_Cattaneo_Politiche2008_Voto.pdf

www.cattaneo.org/pubblicazioni/analisi/pdf/
Analisi_Cattaneo_Politiche2008_Astensionismo.pdf

Analyse zur Wählerwanderung des Istituto Piepoli in Mailand:
www.istitutopiepoli.it/images/Articoli/
ANALISI_FLUSSI_ELETTORALI.pdf

D’Alimonte Roberto, "Il voto ,volatile’ al Sud sarà decisivo", Il Sole 24 ore, 5.4.08.

Diamanti, Ilvo, "Sette punti persi dal centrosinistra", La Repubblica, 16.4.08.

Mannheimer, Renato, "Vince il bipolarismo, aumenta l’astensione Carroccio e Di Pietro nuove 'ali radicali'", Corriere della Sera, 16.4.08.

Von Sophia Burkhardt erscheint in Kürze: "Programmfabrik gegen Medienimperium. Neue Kampagnenstrategien im italienischen Wahlkampf 2006", Münchner Beiträge zur politischen Systemforschung, Bd. 2, Nomos, Baden-Baden, 2008, ca. 180 S., brosch., ca. 29,– EURO, ISBN 978-3-8329-3308-1.


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