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Berlin riskiert Deutschlands sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit

Afghanistan als Spaltpilz

07.02.2008 · Position von Thomas Bauer



Die Verweigerung gegen den Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans und das Ausbleiben einer echten sicherheitspolitischen Debatte könnte das Ansehen Deutschlands in der NATO und in Europa nachhaltig zerstören.

Kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz zeichnet sich ab, dass sich die in den Medien als Brandbrief bezeichnete Postwurfsendung von US-Verteidigungsminister Robert Gates an seine Amtskollegen mit der Bitte um mehr militärische Unterstützung für den Süden Afghanistans zum Spaltpilz für die Große Koalition und die transatlantische Allianz entwickeln könnte. Die prompte Ablehnung durch die Bundeskanzlerin und ihren Verteidigungsminister Franz-Josef Jung löste zudem in der Bundeswehrführung eine Welle der Kritik aus, der sich auch die beiden ehemaligen Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, General Klaus Naumann und General Harald Kujat, anschlossen. Als Teil der nordatlantischen Allianz und in Folge der 2002 erfolgten Zustimmung Deutschlands zum Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch müsse man nun der Aufforderung nach mehr Unterstützung nachkommen und seiner vollen Bündnissolidarität gerecht werden.

Risiko seit Beginn des Einsatzes gegeben

Die Debatte in Deutschland über den Einsatz in Afghanistan zeigt aber auch, dass man sich seitens der politischen Führung viel zu lange hinter den Erfolgsberichten über neu errichtete Schulen und Krankenhäuser versteckt und dadurch wider besseren Wissens das Bild von einem risikofreien Einsatzraum im Norden Afghanistans aufrechterhalten hat. Doch von Beginn an sah man sich vor Ort mit den realen Gefahren des Einsatzes konfrontiert. Bei Unfällen, Anschlägen auf Konvois und Selbstmordattentaten starben bisher 21 Angehörige der Bundeswehr und drei BKA-Beamte. Hinzu kommen der sporadische Mörserbeschuss des deutschen Lagers und die heikle Zusammenarbeit mit den afghanischen Warlords. Weder ist der Norden des Landes ein Hort der friedlichen Glückseligkeit, noch kann bestritten werden, dass auch im Süden Wiederaufbauhilfe geleistet wird. Doch in Deutschland hält sich bis heute hartnäckig das Bild vom wild um sich schießenden Amerikaner in den südlichen Provinzen. Dieses Bild verkennt jedoch die Tatsache, dass es auch die Truppen der Kanadier, Briten, Dänen und Holländer sind, die dort in langwierigen Gefechten versuchen die wieder erstarkten Taliban zu besiegen, und somit die Grundlage für einen erfolgreichen Wiederaufbau des Landes schaffen. Mitnichten ist die gegenwärtige Diskussion um mehr Militär für den Süden Afghanistans eine Debatte zwischen Berlin und Washington. Vielmehr ist es ein Beleg für die schwindende sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands in Europa und innerhalb der NATO-Allianz.

Angst vor dem Wähler

Die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland lehnt den Einsatz mittlerweile in seiner Gesamtheit ab und befürwortet einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Dies ist aber weniger das Ergebnis eines objektiv geführten Diskurses als vielmehr die Folge einer sich seit Jahren herauskristallisierten Verweigerungshaltung der Bürger die Realitäten einer globalisierten Welt zu akzeptieren. Genauso wenig wie es wahr sein darf, dass Nokia in Rumänien billiger Handys herstellen kann als in Bochum, genauso wenig darf es aus Sicht der Wohlstandsöffentlichkeit wahr sein, dass Sicherheit und Stabilität für Deutschland auch in weit entfernten Regionen beeinflusst werden. Nikolas Busse hat dies vor einiger Zeit mit dem Wunsch der deutschen Bevölkerung umschrieben, mehr wie die Schweiz sein zu können, sowie der Sehnsucht nach Neutralität und der Reduzierung des Wesentlichen auf die eigenen vier Wände. Diese Helvetisierung und damit verbundene Pazifisierung der deutschen Öffentlichkeit ist auch eine Folge der verfehlten Informations- und Kommunikationspolitik durch die Politik, die mehr Angst vor der Entscheidung des Wählers beim nächsten Urnengang zu haben scheint als vor den katastrophalen Folgen für die eigene sicherheitspolitische Glaubwürdigkeit und dem damit verbundenen Verlust der politischen Gestaltungskraft in Europa und im transatlantischen Bündnis.

Notwendigkeit einer Sicherheitsstrategie

Grundlage für eine sicherheitspolitische Debatte mit der Bevölkerung, die nun von vielen Seite  gefordert wird, könnte eine genuin deutsche Sicherheitsstrategie sein, in der die wesentlichen strategischen Sicherheitsinteressen für Deutschland definiert und die Kriterien für den Einsatz ziviler wie militärischer Instrumente zum Krisenmanagement darlegt werden. Eine solche Sicherheitsstrategie stellt jedoch nur einen Teil einer weit reichenden Kommunikationsstrategie zur Wiederbelebung des objektiv geführten sicherheitspolitischen Diskurses in unserem Land dar. Sie muss eingebettet sein in Bemühungen zum Aufbau einer neuen Streitkultur in Europa und innerhalb des transatlantischen Bündnisses. Die NATO als strategisches Dialogforum ist seit Jahren lahm gelegt, wie die Diskussion um den Aufbau von Komponenten des US-amerikanischen Raketenabwehrschilds in Polen und der Tschechischen Republik gezeigt hat. Aber auch Europa scheut sich bisher vor der Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen Umständen und für welche Ziele man bereit ist das Leben der eigenen Soldaten aufs Spiel zu setzen.

Legitimation erzeugt Durchhaltefähigkeit

Eines jedenfalls haben die vielen Krisenherde und Konflikte der letzten Jahre deutlich gemacht. Mit blindem Aktionismus ist genauso wenig zu erreichen wie mit halbherzigen Ansätzen. Nur durch anhaltende Überzeugungsarbeit kann eine Identifizierung mit den zivilen wie militärischen Bemühungen zum Krisenmanagement und die dafür notwendige Unterstützung und Legitimation durch die eigene Öffentlichkeit erreicht werden. Nur diese Legitimation generiert den Willen und die Durchhaltefähigkeit, die notwendig sind um die meist langwierigen, Kraftraubenden und auch von Rückschlägen nicht verschonten Bemühungen im Bereich der Konfliktprävention und Konfliktregulierung zu einem erfolgreichen Ende führen zu können. Der Brief von Robert Gates wäre ein perfekter Anknüpfungspunkt für eine Konsolidierung der sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland und der Entwicklung einer objektiven strategischen Kultur, die diesen Bemühungen auch in Afghanistan zum Erfolg verhelfen könnten.


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