Terrorismusbekämpfung: "Targeted Killing" und präventive Verwahrung von "Gefährdern"?
Zu Wolfgang Schäubles umstrittenen Vorschlägen
12.07.2007 · Position von Michael Bauer
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Er hat es geschafft, die Richtung festzulegen, in die sich die Debatte zur inneren Sicherheit entwickelt. Der Aspekt des Schutzes wird auch weiterhin über den der Freiheit dominieren.
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Die Umsetzung weniger brisanter sicherheitspolitischer Vorschläge, über die man innerhalb der Großen Koalition noch verhandelte, wird beschleunigt. Vor allem die Frage der online-Durchsuchungen ist hierbei zu erwähnen.
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Der Koalitionspartner SPD muss sich mit vagen Vorschlägen auseinandersetzen, die nicht geeignet sind, das seit dem Rückzug Otto Schilys ohnehin wenig ausgeprägte Profil der Partei im Bereich innere Sicherheit zu schärfen.
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Wolfgang Schäuble kann im Falle eines tatsächlichen Anschlags in Deutschland auf seine wiederholten Warnungen und Initiativen zur Stärkung der Sicherheit verweisen. Dieser letzte Punkt dürfte jedoch nur eine untergeordnete Rolle beim Vortrag des Innenministers gespielt haben, wohingegen die drei erstgenannten Aspekte überwiegen.
Die meisten der angedachten Maßnahmen werden indes, sobald sich die tagesaktuelle Aufregung gelegt hat, wieder aus der Diskussion verschwinden. Eine detaillierte Betrachtung der angesprochenen Punkte zeigt, dass es sich dabei im Einzelnen um wenig Neues bzw. kaum Substanzielles handelt, das allerdings äußerst provokant verpackt wurde.
Gezielte Tötung von Terroristen
Besonders viel Aufsehen erregte der "Denkanstoß" hinsichtlich einer gezielten Tötung von Terroristen, dem so genannten "targeted killing". Das Szenario, das Wolfgang Schäuble dabei im Spiegel entwirft, spielt in Afghanistan und handelt von Bundeswehrsoldaten, die an die US-Armee Informationen über den Aufenthaltsort Bin Ladens weitergeben. Der al-Qaida Führer wird auf der Grundlage dieser Informationen von den Amerikanern mit einer Rakete getötet. Es war also keineswegs die Rede von einer gezielten Tötung durch deutsche Soldaten. Dennoch hat Wolfgang Schäuble damit eine rechtlich diffizile Situation angesprochen. Ein deutscher Soldat der "Internationalen Security Assistance Force" (ISAF) würde sich nämlich tatsächlich rechtlichen Konsequenzen ausgesetzt sehen, sollte er entsprechende Informationen unmittelbar an die amerikanische "Operation Enduring Freedom" (OEF) weitergeben. Er würde damit gegen das ISAF Mandat verstoßen unabhängig davon, ob sich eine Tötung Bin Ladens anschlösse oder nicht. Ein solches Vorgehen auf eigene Faust ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, zumal legale Wege der Übertragung von ISAF Informationen an die OEF existieren. Eine Weitergabe ist dann gestattet, "wenn dies zur erfolgreichen Durchführung der ISAF Operation oder für die Sicherheit von ISAF Kräften notwendig ist" (Zitiert in: Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 2/07, Absatz Nr. 82). Die Entscheidung, ob ein solcher Fall vorliegt oder nicht, wird jedoch nicht von einem einfachen Soldaten getroffen, sondern von der Führung der ISAF und unter Berücksichtigung des ISAF Operationsplans. Da davon auszugehen ist, dass Bin Laden und Co. in der Tat eine Bedrohung für die Durchführung der ISAF Mission sowie für die ISAF Truppe darstellen, würde eine Weitergabe unter Einhaltung der dafür vorgesehenen Prinzipen vermutlich stattfinden und wäre rechtlich abgesichert nicht zuletzt durch ein Votum des deutschen Bundestages.
Anders verhielte es sich, wenn ein deutscher Soldat unmittelbar eine gezielte Tötung vornehmen würde. Nach internationalem und nach deutschem Recht ist die Tötung von Zivilisten verboten, im Kriegsfall sind nur Kombattanten legitime Ziele und die al-Qaida Terroristen werden von der deutschen Regierung als einfache Kriminelle und nicht als Kombattanten betrachtet. Das Pentagon und das Weiße Haus haben zwar die Tötung von Terroristen, die sie als feindliche oder illegale Kombattanten kategorisieren, in Ausnahmefällen genehmigt. Dies entspricht der amerikanischen Lesart des Krieges gegen den Terrorismus und der präventiven Selbstverteidigung. Ein derartiges Vorgehen stellt jedoch keineswegs die gängige Praxis der amerikanischen Streitkräfte innerhalb der OEF dar. Die Bundesregierung hat überdies deutlich gemacht, dass sie Washingtons Argumentation nicht folgt. Die Tötung von al-Qaida Mitgliedern ist demnach Bundeswehrsoldaten nur in Notwehr (zum eigenen Schutz) oder im Fall der Nothilfe (zum Schutz von Dritten) gestattet. Ein Abweichen von dieser Position ist weder wünschenswert noch angebracht und mit Blick auf die Position, die hier seitens der Bundesregierung vertreten wird, auch nicht absehbar.
Betrachtet man indes etwaige Szenarien auf deutschem Boden, etwa eine Geiselnahme durch Terroristen oder einen Angriff von Terroristen auf Ordnungskräfte oder Zivilisten, so ist zu konstatieren, dass die rechtlichen Fragen hier bereits geklärt sind. Es ist der Polizei gestattet, in Situationen, in denen das Leben von Geiseln in unmittelbarer Gefahr ist und ein Einsatz nichttödlicher Waffen keine Aussicht auf Erfolg hat, den so genannten finalen Rettungsschuss anzuwenden, durch den dem Angreifer auch eine tödliche Verletzung beigebracht werden kann. Der finale Rettungsschuss ist wie auch im Spiegel-Interview konstatiert auf Ebene der Bundesländer im Polizeigesetz verankert. Darüber hinaus besteht auch im Rahmen der gesetzlichen Regelungen zur Nothilfe bzw. zur Notwehr die Möglichkeit, Abwehrmaßnahmen zu treffen, die zum Tod des Angreifers führen können. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zum Angriff muss hierbei gewahrt werden.
Die Handhabe von "Gefährdern"
Ein weiterer Vorschlag des Innenministers befasste sich mit dem Vorgehen gegen so genannte "Gefährder" mittels der Einführung eines Straftatbestands der "Verschwörung" sowie dem Entzug des Zugangs zu Internet und Handy für derartige Personen. Hinsichtlich des erstgenannten Punkts der Verschwörung ist zu bedenken, inwiefern hier nicht der bereits bestehende Straftatbestand der Bildung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung ausreichend ist, um seitens der Sicherheitsbehörden aktiv zu werden. Liegen entsprechende Beweise vor, so kann ein Zugriff erfolgen.
Bezüglich eines Internet- und Handyverbots für "Gefährder" stellt sich überdies die Frage, wie die Umsetzung einer solchen Vorschrift überwacht werden soll. Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei machte in Reaktion auf die Äußerungen Wolfgang Schäubles darauf aufmerksam, dass die Polizei mit den vorhandenen Kapazitäten noch nicht einmal in der Lage sei, die rund 100 "Gefährder", die im Bundesgebiet identifiziert worden sind, rund um die Uhr zu überwachen. Bevor also neue Gesetze auf den Weg gebracht würden, sollten zunächst die Mittel geschaffen werden, die bestehenden zu nutzen.
Bei Überlegungen zu einer Festsetzung von "Gefährdern", die nicht abgeschoben werden können, gilt es zunächst eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen dem zu erzielenden potenziellen Sicherheitsgewinn und den möglichen negativen Folgen, die ein solches Vorgehen für das Ansehen des deutschen Rechtsstaates haben könnte. Dabei muss zudem berücksichtigt werden, dass Maßnahmen zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit auch die Chancen der verdecken Überwachung und des Ausspähens von Kontakten durch die Sicherheitsbehörden erheblich verschlechtern. Ein Überblick über die islamistischen Strukturen in Deutschland ist jedoch essentiell, um Entwicklungstendenzen in Richtung Gewaltbereitschaft feststellen zu können.
Strategischer Erfolg des Innenministers?
Die breite Kritik an Wolfgang Schäubles "Denkanstößen" ist in vielen Punkten berechtigt. Probleme werden aufgeworfen, die in der geschilderten Brisanz nicht existieren. Lösungsansätze werden skizziert, die inhaltlich vage bleiben und dennoch an Grundprinzipien des deutschen Rechtsstaates rühren. All dies vermittelt den Eindruck, dass das Vorgehen des Innenministers kalkuliert war. Es ist daher davon auszugehen, dass sein Anliegen weniger die im Interview angesprochenen Einzelpunkte darstellten, sondern eine generelle Steuerung der Debatte zur inneren Sicherheit, die Profilierung der Union gegenüber dem Koalitionspartner SPD und die Beschleunigung der wirklichen Herzensanliegen Wolfgang Schäubles, vor allem der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Online-Durchsuchungen durch die Strafverfolgungsbehörden. Vor diesem Hintergrund wird der Bundesinnenminister die Kritik mehr oder weniger gerne in Kauf nehmen. Er muss gleichwohl aufpassen bei derartigen gezielten Tabubrüchen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Hierzu passt ein Ausspruch des Innenministers im Rahmen des Spiegel-Interviews, der in den Debatten der letzten Tage nicht wiedergegeben wurde: "Die freiheitliche Verfassung wäre gefährdet, wenn wir den Eindruck erwecken würden, wir könnten weniger Schutz gewährleisten als andere, weniger demokratische Staatsformen."
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