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No way out?

Zur Neuausrichtung der amerikanischen Irak-Strategie

11.01.2007 · Position von Thomas Bauer



US-Präsident George W. Bush hat am Mittwochabend in einer Fernsehansprache an die amerikanische Nation die Neuausrichtung seiner Irak-Strategie bekannt gegeben. Die Rede wurde mit Spannung erwartet, gilt sie doch als richtungweisend für die noch anstehenden zwei Jahre seiner Präsidentschaft. Angeheizt wurden die Spekulationen über einen möglichen Strategiewechsel durch Studien unabhängiger Expertengruppen zur Lage im Irak und der Veröffentlichung interner Ergebnisse einer Arbeitsgruppe des Pentagon, wie man die chaotische Lage im Land mehr als drei Jahre nach Beendigung der offiziellen Kampfhandlungen in den Griff bekommen kann. Bereits im Vorfeld war zu erkennen, dass sich keine einheitliche Linie in den Arbeitspapieren und Studien zum Irak abzeichnen würde. Die Vorschläge reichten von einem raschen Rückzug der US-Truppen bis hin zu einer deutlichen Aufstockung der Streitkräfte im Irak. Die nun von US-Präsident George W. Bush vorgelegte Neuausrichtung enthält von allem ein bisschen. Im Ergebnis bietet sie jedoch keine strategische Perspektive zur Beilegung des Konflikts.

Kurswechsel notwendig

Die Notwendigkeit in der Irak-Politik nachzujustieren war in den letzten Monaten überdeutlich geworden. Im Oktober 2006 waren weit über 1.000 Zivilsten und mehr als 100 US-Soldaten bei Anschlägen bzw. bei bewaffneten Auseinandersetzungen mit Widerstandskämpfern getötet worden. Die meisten Opfer sind in Bagdad und in der westlichen Provinz al-Anbar zu beklagen. Über 80% der Anschläge treffen die irakische Hauptstadt und die nähere Umgebung.

Insgesamt haben die USA über 3.000 Soldaten seit dem Einmarsch im Jahr 2003 verloren. Ein Ende des Einsatzes scheint nicht in Sicht, da die Lage sich im Jahr 2006 dramatisch zugespitzt hat, und das Land kurz davor steht in einen offenen Bürgerkrieg abzugleiten. Fast 1.000 Anschläge pro Woche werden gemeldet. Für seine offensichtlich fehlgeschlagene Irak-Politik hat der US-Präsident bei den Kongresswahlen im November letzten Jahres vom amerikanischen Volk die Quittung bekommen. Die Demokraten konnten – wenn auch nur knapp – sowohl die Mehrheit im Repräsentantenhaus als auch im Senat für sich gewinnen, und den Republikaner somit erhebliche Verluste zufügen. Dieser Umschwung im sechsten Jahr einer Präsidentschaft ist einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge nicht unüblich, jedoch war die Unzufriedenheit der US-Bürger mit der Lage im Irak ein triftiger Grund für die Niederlage bei den Kongresswahlen. Mit der Ablösung von Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister wurden rasch erste personelle Konsequenzen gezogen. Er personifizierte wie kein Zweiter das Scheitern der USA im Irak.

Expertenberichte fordern Umdenken

Kurz Zeit später legte im Dezember 2006 die unabhängige "Iraq-Study-Group" (ISG) unter der Leitung des ehemaligen US-Außenministers James Baker und dem früheren demokratischen Abgeordneten Lee Hamilton ihren Abschlussbericht vor. Die Gruppe war vom Kongress mit der Erstellung einer Studie beauftragt worden, wie man die Lage im Irak in den Griff bekommen und die US-Truppen schnellstmöglich wieder nach Hause bringen könnte. Im Zentrum der Vorschläge der Baker-Hamilton-Kommission stehen eine diplomatische Initiative zur Einbindung der Nachbarstaaten des Irak, und die verstärkte Übertragung der Aufgaben zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Land an irakisches Personal. Der Bericht hatte vor allem im neokonservativen Lager für erhebliche Verstimmungen gesorgt, da er aus deren Sicht einem voreiligen Rückzug und einem Eingeständnis der eigenen Niederlage gleich kommt. Am drastischsten formulierte diese Kritik der einflussreiche konservative Radiomoderator Rush Limbaugh, der die ISG als „Iraq Surrender Group“ betitelte. Auch Präsident Bush bemühte sich nach der medienwirksamen Vorstellung des Berichts zu betonen, dass man zwar über die Ratschläge dankbar sei, sich aber die Entscheidung über einen möglichen Kurswechsel nicht aus der Hand nehmen ließe.

Auch der neokonservative think-tank "American Enterprise Institute" (AEI) in Washington DC hatte zum Jahreswechsel einen vom Weißen Haus in Auftrag gegebenen Bericht bezüglich einer neuen Irakstrategie vorgelegt. Die nun verkündete Richtung deckt sich im Großen und Ganzen mit den Vorschlägen dieser Studie, die unter der Federführung von Frederick Kagan und Jack Keane erstellt worden ist. Sie plädieren für eine Aufstockung der US-Truppen im Irak. Ziel sei die Schaffung einer sicheren und stabilen Lage in Bagdad, um anschließend stückweise die Verantwortung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im ganzen Land den irakischen Sicherheitskräften übergeben zu können. Eine Einbeziehung der Nachbarstaaten, wie dies von der Baker-Hamilton-Kommission gefordert wurde, lehnt man jedoch ab. Dies würde in Teheran und Damaskus aus Sicht des AEI vielmehr als Zeichen der Schwäche aufgefasst werden, eine prekäre Situation hinsichtlich der andauernden Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm und die Rolle Syriens im Nahost-Konflikt.

Eine dritte, weniger bekannte Arbeitsgruppe unter der Leitung von General Peter Pace im Pentagon hatte sich die letzten Monate ebenfalls mit möglichen Optionen für einen Kurswechsel im Irak beschäftigt. Ende 2006 legten Sie ihre Ergebnisse beim Präsidenten vor. Sie hatten sich mit drei verschiedenen Szenarien auseinandergesetzt: eine dramatische Aufstockung der Truppenpräsenz ("Go Big"), ein sofortiger Rückzug der US-Truppen ("Go Home"), und ein begrenzter Anstieg der Truppenstärke ("Go Long"). Die ersten beiden Optionen wurden als unrealistisch bzw. inakzeptabel abgelehnt. Die dritte Option wurde dagegen als mögliches Erfolgsrezept verkauft. Hierbei soll die Truppenstärke kurzfristig erhöht werden, um zum einen in den am meisten umkämpften Regionen in enger Zusammenarbeit mit den irakischen Sicherheits- und Streitkräften massiv gegen die Widerstandsgruppen vorzugehen, und zum anderen noch mehr irakisches Personal auf die Aufgabe zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit nach einem Abzug der US-Truppen vorzubereiten. In diesem Punkt decken sich die Vorschläge der Pentagon-Gruppe mit den Aussagen des AEI-Berichts.

Neue Pläne des Präsidenten

Präsident Bush hat nun die Aufstockung der Truppenstärke um weitere 21.500 Soldaten angekündigt, die vornehmlich in der irakischen Hauptstadt und in der westlichen Provinz al-Anbar eingesetzt werden sollen. Ein Teil dieser Kräfte steht bereits im Nachbarland Kuwait bereit. Die zusätzlichen Kräfte sollen soweit wie möglich in irakische Formationen eingebunden werden. Mit der Truppenerhöhung liegt der Präsident zwar unter den Forderungen des Pentagons und des AEI (40.000 bis 50.000 Mann), jedoch stellt er sich damit gegen die Vorschläge der Baker-Hamilton-Kommission und die Stimmungslage in den USA. Knapp drei Viertel der US-Bürger lehnen nach neuesten Umfragen eine Aufstockung der amerikanischen Truppenpräsenz im Irak ab.

Die irakische Regierung unter Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat zudem zugesichert weitere Brigaden der irakischen Streitkräfte und zusätzliche Polizeikräfte für den Großraum Bagdad bereit zu stellen. Ziel ist die Befriedung der irakischen Hauptstadt und die Schaffung halbwegs stabiler Zustände im ganzen Land. Zusätzlich wurde vom US-Präsidenten Wirtschafts- und Wiederaufbauhilfe in einer Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar zugesagt. Der Baker-Bericht hatte hierfür eine Summe von 5 bis 6 Milliarden US-Dollar gefordert.

Dass die Situation für einen Truppenabzug auch bei einem Erfolg der Maßnahmen nicht optimal sein dürfte, räumte George W. Bush in seiner Ansprache selber ein: "A democratic Iraq will not be perfect."

Es stellt sich nun die Frage, ob es sich bei den vorgelegten Plänen um einen echten Strategie-Wechsel handelt. Diese Frage kann nicht eindeutig beantwortet werden. Ein neuer Kurs lässt sich bestenfalls in der offiziellen Rhetorik der Bush-Administration erkennen. Der Präsident wirkte bei seiner Rede angeschlagen. Er räumte Fehleinschätzungen ein und konnte auch nicht garantieren, dass die zusätzlichen Truppen den Erfolg bringen werden. Die nun vorgelegte Neuausrichtung stellt vielmehr eine Anpassung der Irak-Politik an die alltägliche Realität für die US-Truppen im Land dar. Die Aufrechterhaltung von öffentlicher Ordnung und Sicherheit hat sich zum Hauptauftrag der US-Streitkräfte entwickelt, eine Aufgabe, die ihnen beim Einmarsch 2003 nicht zugedacht war. Der Umfang der Truppen war damals bewusst gering gehalten worden, lediglich die Hälfte des Kräfteansatzes vom Golfkrieg 1990/91. Ziel des damaligen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld war es die Überlegenheit einer neuen Form von Kriegsführung unter Beweis zu stellen, die einen schnellen und entscheidenden militärischen Erfolg unter Verwendung kleinerer aber dafür hoch mobiler und technisch überlegener Einheiten ermöglichen soll ("Network Centric Warfare" oder auch "Effect Based Warfare"). Bereits vor dem Einmarsch in den Irak waren kritische Stimmen in der Führung der US-Armee laut geworden, die diesem Ansatz die Befähigung absprachen im Anschluss an den militärischen Erfolg eine durchsetzungsfähige Besatzungsmacht für die Befriedung eines in sich zerrütteten Landes bereitstellen zu können.

Militärischer Erfolg wichtiger als politische Lösungsansätze

Besorgniserregend ist die Tatsache, dass George W. Bush in seiner Ansprache keine politische Strategieperspektive vorweisen konnte, weder für den Irak selbst, noch für die Region als Ganzes. Der Präsident bleibt seiner bisherigen Linie treu, dass lediglich ein militärischer Erfolg gegen die zahlreichen Widerstandsgruppen zu mehr Stabilität im Land führen kann. Die Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Nachbarstaaten an der Stabilisierung des Irak, allen voran Syrien und Iran, wurde in keiner Weise in die neue Irak-Politik übernommen. Doch genau hier hätte ein Ansatzpunkt für eine stärkere Einbindung der europäischen Partner gelegen, die sich für die nun vorgelegten Pläne der US-Regierung wenig begeistern können.

Wie es scheint haben sich die Falken in und hinter der Regierung Bush erneut durchgesetzt, die eine konfrontative Haltung gegenüber dem Iran und Syrien anstelle von Verhandlungen bevorzugen. Bush mag nach den Kongresswahlen persönlich angeschlagen sein, doch das neokonservative Lager scheint noch immer die Fäden in der Hand zu haben, trotz des Erfolgs der Demokraten bei den Kongresswahlen und dem medienwirksamen Abgang von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in der Personalpolitik, die den angeblichen Kurswechsel im Irak begleitet. Sowohl der Oberkommandierende der Koalitionstruppen im Irak, General George W. Casey, als auch der Befehlshaber des US Central Command, in dessen Verantwortungsbereich der Irak fällt, General John Abizaid, werden abgelöst. Beide wurden indirekt im Kagan-Keane-Bericht des AEI für die fehlgeschlagene Irak-Politik mit verantwortlich gemacht, da sie sich zu sehr auf die Ausbildung und den Einsatz irakischer Sicherheitskräfte konzentriert hätten, anstatt die aufflammenden Widerstandsbewegungen durch den massiven Einsatz amerikanischer Kräfte im Keim zu ersticken.

Auch wenn die Neuausrichtung der amerikanischen Irak-Politik als Strategiewechsel verkauft wird, die grundlegende Haltung der Bush-Administration hat sich nicht geändert. An oberster Stelle steht weiterhin der militärische Erfolg im Kampf gegen die Widerstandsgruppen und den internationalen Terrorismus. Ein schneller Abzug der US-Truppen ist nicht in Sicht. Es ist zu befürchten, dass auch 2007 viele Opfer zu beklagen sein werden, sowohl bei der irakischen Zivilbevölkerung als auch auf Seiten der Koalitionstruppen. Der US-Präsident scheint gewillt dieses Risiko einzugehen. Zu verlieren hat er nichts mehr, seine Amtszeit endet im Januar 2009. Es bleibt abzuwarten, ob er bis dahin einen Erfolg im Irak vorweisen kann. Die nun vorgestellten Pläne geben wenig Anlass zur Hoffnung.


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