Die Inszenierung des Neuanfangs: Hundert Tage Große Koalition
Ein Wandel des Regierungsstils
06.03.2006 · Position von Dr. Manuela Glaab
Der wohl markanteste Unterschied zum Frühjahr 1999 ist das Ausbleiben von Negativschlagzeilen aus Kanzleramt und Kabinett. Vom Chaos in der Führungstruppe war seinerzeit die Rede. Die Opposition bemühte, wenige Tage vor den seinerzeit in Hessen anstehenden Landtagswahlen, Vokabeln wie Murks, Pleiten, Pech und Pannen. Die von Schröder geführte Bundesregierung selbst gestand ein, man habe zu viel zu schnell gewollt, so dass handwerkliche Fehler geradezu unausweichlich gewesen seien. Aus den eigenen Reihen kam auch das Eingeständnis, es habe ärgerliche Anlaufschwierigkeiten, Koordinierungsprobleme und Unstimmigkeiten zwischen den Koalitionspartnern gegeben. Dennoch zeigten sich die Koalitionäre selbstzufrieden und betonten die Einlösung von Wahlversprechen. Immerhin konnte sich die Bundesregierung, trotz der teils heftig geführten politischen Kontroversen um Projekte wie Atomausstieg, Ökosteuer, Zuwanderungsgesetz und doppelte Staatsbürgerschaft, in dieser Startphase auf passable Zufriedenheitswerte und die ungebrochene Popularität des Bundeskanzlers stützen.
Ganz anders das Bild der Großen Koalition, wie es sich der Medienöffentlichkeit bisher vermittelt. Drei Vokabeln prägen die 100-Tage-Bilanz: Harmonie, Merkel-Mania und kleine Schritte.
Harmonie
Reibungslos scheint die Regierungsmaschinerie angelaufen zu sein, nachdem Angela Merkel am 22. November 2005 mit 397 von 611 Stimmen zur Kanzlerin gewählt wurde. Beinahe schon vergessen sind die Auseinandersetzungen des so genannten Lagerwahlkampfes wie auch die Querelen um das unerwartete Wahlergebnis. Fast einen Monat hatte es nach der Bundestagswahl gedauert, bis offiziell Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD aufgenommen wurden. Über 26 Tage erstreckten sich die Verhandlungen, keineswegs ungewöhnlich in der Geschichte der Bundesrepublik, bis ein beinahe zweihundert Seiten umfassender Koalitionsvertrag unterzeichnet werden konnte. Fast hatte es den Anschein, als sollte die fehlende Vertrauensbasis durch verlässliche Paragraphen ersetzt werden. Die Klausurtagung von Genshagen übermittelte dann fernsehtauglich das Bild einer Gute-Laune-Koalition (Die Welt), doch stellt sich aus politikwissenschaftlicher Sicht die Frage, wie das Entscheidungssystem dauerhaft organisiert werden wird.
Personell ist das Kabinett Merkel zwar keine Titanenmannschaft (Lutz Niethammer), wie die Ministerriege der ersten Großen Koalition verklärt wurde. Bisher lassen die Berichte aus dem Kabinett aber darauf schließen, dass im Kabinett ein sach- und ergebnisorientierter Meinungsaustausch gepflegt wird. Wurde die Richtlinienkompetenz Angela Merkels während der Koalitionsverhandlungen von einigen noch in Zweifel gezogen, wird ihr nun ein attestiert, in den Kabinettsitzungen einen verbindlichen Führungsstil an den Tag zu legen. Auch hat sie an Autorität gewonnen dadurch, dass sich die Ministerriege vergleichsweise diszipliniert präsentiert. Allen bestehenden Meinungsverschiedenheiten zum Trotz bemüht sich das Kabinett, Geschlossenheit zu demonstrieren. Als ausschlaggebend wird allgemein der direkte Draht zwischen Kanzlerin und Vizekanzler eingestuft. Übergroße Parlamentsmehrheit und schwache Opposition lassen der Bundesregierung zudem taktischen Spielraum bei anstehenden Gesetzesvorhaben. Nachdem die Regierungsfraktionen in der Startphase noch fremdelnden, wird von besonderem Interesse sein, wie die Fraktionsspitzen interagieren. Vor allem in der SPD dürfte wenig Neigung bestehen, in der ungeliebten Koalition sich weiter von oben dirigieren zu lassen. Zudem kann der SPD-Parteivorsitzende, da er nicht Mitglied des Kabinetts ist, zusätzlichen Manövrierraum beanspruchen. Über eines sollte das Bild der Harmonie jedenfalls nicht hinwegtäuschen: Große Koalitionen sind immer Bündnisse auf Zeit, die durchaus effizient zusammen arbeiten mögen, gleichzeitig aber Gegnerbeobachtung betreiben.
Merkel-Mania
Von Anfang an fokussierte sich das öffentliche Interesse auf die Person der Kanzlerin. Großes Interesse herrschte im In- und Ausland nicht zuletzt daran, wie sich eine Frau im Amt des Bundeskanzlers bewähren würde. Diese Frage sicherte Merkel eine noch höhere Aufmerksamkeit, als sie das Amt des Regierungschefs ohnehin mit sich bringt. Bemerkenswert daran ist, dass sich mit der Amtsübernahme auch die Wahrnehmung der Person Merkel innerhalb kürzester Zeit veränderte. Wurde ihr im Wahlkampf noch eine kühle Strenge attestiert, gilt sie nun allenthalben als Sympathieträgerin. Alles wird derzeit überstrahlt von der außerordentlichen Popularität der ersten deutschen Kanzlerin. Angela Merkel ist bei den Deutschen laut einer Umfrage vom Januar 2006 (TNS Infratest für Der Spiegel) beliebter, als es ihre Vorgänger Gerhard Schröder und Helmut Kohl jemals waren. So gaben 85 Prozent der Befragten dem Wunsch Ausdruck, dass die Bundeskanzlerin auch künftig eine wichtige Rolle in der Politik spielt. Weder Schröder noch Kohl erreichten den Spiegel-Daten zufolge je so hohe Zustimmungswerte. Anhänger der Union unterstützten die CDU-Vorsitzende sogar zu 99 Prozent. Der Einzige, der sich in den vergangenen zwanzig Jahren einer noch höherer Beliebtheit erfreuen konnte, war demnach Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der in den ersten Jahren nach der Wende von 1989/90 Umfragewerte von bis zu 89 Prozent erreichte.
Das Prestige Merkels wurde zweifelsohne befördert durch ihr souveränes Auftreten auf außenpolitischem Parkett. Von weiterreichender Bedeutung ist: Das Feld der Außenpolitik wurde strategisch klug besetzt von der Kanzlerin selbst. Anders als ihre Vorgänger, die traditionellerweise als Innenpolitiker antraten und erst im weiteren Verlauf ihrer Amtszeit die Außenpolitik als prestigeträchtige Arena jenseits des Parteienstreits für sich entdeckten, zeigte sie von Beginn an außenpolitisches Profil. Der Koalitionspartner wiederum sieht sich vor die Situation gestellt, dass das Amt des Außenministers nicht automatisch einen Popularitätsvorsprung für den Amtsinhaber bedeutet, von dem auch dessen Partei profitieren könnte. Das Amt des Vizekanzlers wiederum, das anders als bei den Vorgängerregierungen nicht durch den Außenminister in Personalunion ausgeübt wird, lässt sich nur bedingt öffentlichkeitswirksam profilieren.
Politik der kleinen Schritte
Auf innenpolitischem Gebiet betreibt die Kanzlerin ein kluges Erwartungsmanagement. Wenn sich nach dem Regierungswechsel von 1998 bald Ernüchterung breit machte, dann war dies auch auf die Inszenierung des Neuanfangs zurückzuführen: Generationswechsel, Neue Mitte, modernes Regieren, rot-grünes Projekt ein frischer Wind schien durch die im Reformstau blockierte Republik zu wehen. Merkel hingegen propagiert eine Politik der kleinen Schritte und schraubt so die Erwartungen an die Große Koalition von vornherein niedriger. Dies trägt auch der Tatsache Rechnung, dass radikale Reformschritte derzeit auch gar nicht mehrheitsfähig in Bevölkerung wären.
Gleichwohl ist der Reformbedarf in Deutschland unverändert hoch. So mischen sich denn auch erste kritische Stimmen in die insgesamt freundliche Startbilanz, die mehr Engagement der Kanzlerin in der innenpolitischen Arena fordern. Noch kann die Union zwar auf steigende Umfragewerte verweisen, währen sich die SPD weiter im Umfragetief befindet. Die Behauptung: So viel Sozialdemokratie war nie (Kurt Beck) indes ist für beide Seiten höchst ambivalent.
Parteipolitische Konfliktlinien
Konfliktlinien zeichnen sich bereits ab bei den reformpolitischen Vorhaben. Bruchstellen gibt es dabei auch innerhalb beider Koalitionsparteien, die intern durchaus nicht einig sind bezüglich anstehender Reformschritte. Im Kern geht es um das Spannungsverhältnis zwischen den Imperativen der effizienten Zusammenarbeit einerseits und der parteipolitischen Profilierung andererseits.
Angesichts des Stimmungshochs der Union sieht sich die SPD gegenwärtig im Maschinenraum, während die Union zumindest auf der ersten Wegstrecke des Regierungsdampfers die Plätze auf dem Sonnendeck (Hubertus Heil) eingenommen habe. Tatsächlich wird die strategische Ausgangslage der Sozialdemokraten durch mindestens zwei Faktoren erschwert: Zum einen besetzt sie die so genannten Problemministerien, von denen anstehende Reformen und in Zeiten der Knappheit bedeutet dies zumeist Einschnitte der sozialen Sicherungssysteme wie auch des Steuersystems zu verantworten sind. Zum anderen sehen sich die Sozialdemokraten konfrontiert mit neuer Konkurrenz am linken Rand des Parteienspektrums. Die SPD will daher Reformmotor der Großen Koalition sein und zugleich Markenzeichen des sozialen Gewissens (Mathias Platzeck). Wie sie diesen Spagat schaffen will, ist völlig offen; Flügelkämpfe zwischen Reformern und Traditionalisten stehen allerdings zu erwarten.
Aber auch die von Merkel geführte Union steht vor der Herausforderung, divergierende parteipolitische Richtungen in der Partei selbst wie in der Wählerschaft zu integrieren. Dies verleiht der angelaufenen Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm machtpolitische Relevanz. Nicht nur über das Wertefundament und die politischen Zielsetzungen der Union wird hier debattiert, sondern implizit auch über vermittelbare künftige Koalitionsoptionen.
In Zeiten der Stimmungsdemokratie (Karl-Rudolf Korte) mit ihren fluiden Wählermärkten ist schließlich davon auszugehen, dass die gegenwärtig zu beobachtende Merkel-Mania wie auch die Eintracht der Koalitionspartner eher vorübergehende Phänomene sind. Gute Umfragewerte verschaffen nur eine kurze Verschnaufpause. Auch die Politik der kleinen Schritte wird vom Wähler letztlich an ihrem Ergebnis gemessen werden. Die bevorstehenden Landtagswahlen sind als erste Testläufe zu betrachten.
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