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Ein positives Signal aus Spanien

Die erste Abstimmung über den europäischen Verfassungsvertrag

21.02.2005 · Position von Bettina Thalmaier



Spanien hat als erster Mitgliedstaat per Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag abgestimmt: fast 80 Prozent der Wähler stimmten mit Ja und nur circa 15 Prozent mit Nein. Damit votierte eine überwiegende Mehrheit der Spanier für die Annahme des Vertrags über eine Verfassung für Europa, der im Oktober 2004 in Rom von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union feierlich unterzeichnet worden ist. Angesichts der grundsätzlich pro-europäischen Stimmung in Spanien, das als größter Empfänger der EU-Finanzhilfen wie kein anderes Land von der Mitgliedschaft in der Union profitiert hat, rechnete allerdings auch niemand mit einem Scheitern. Der Ausgang der Volksabstimmung ist gleichwohl europaweit mit Spannung erwartet worden, da von dem ersten Referendum eine Signalwirkung für die übrigen Länder erwartet wird, die ebenfalls ihre Bürger über den Verfassungsvertrag abstimmen lassen. Eine wichtige Hürde konnte der Verfassungsvertrag daher erfolgreich nehmen. Einen Schönheitsfehler hat die Abstimmung freilich: nur 41 Prozent der stimmberechtigten Spanier haben am Referendum teilgenommen. Bei den Europawahlen im vergangenen Jahr lag die Wahlbeteiligung noch bei 45 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Abstimmenden hat zwar für den Verfassungsvertrag votiert, nicht aber die Mehrheit der Spanier. Auch wenn von der spanischen Regierung die Devise ausgegeben worden ist, dass eine Beteiligung von über 40 Prozent als Erfolg zu werten sei, taugt das spanische Referendum kaum als überragendes Vorbild für den weiteren Ratifizierungsprozess.

Für die Europäische Union steht viel auf dem Spiel: Der neue Verfassungsvertrag muss in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden, damit er wie geplant im November 2006 in Kraft treten kann. Bisher haben drei Mitgliedstaaten – Litauen, Ungarn und Slowenien – den Vertrag in einem rein parlamentarischen Verfahren mit jeweils überwältigender Mehrheit ratifiziert. Auch das Europäische Parlament hat am 12. Januar 2005 mit großer Mehrheit die Ratifizierung des Verfassungsvertrages empfohlen. In mindestens neun weiteren Ländern (Dänemark, Irland, Großbritannien, Polen, die Tschechische Republik, die Niederlande, Frankreich, Portugal und Luxemburg) stehen noch Referenden an – mit ungewissem Ausgang. Sollte nur ein Mitgliedstaat mit "Nein" stimmen, wäre das Verfassungsprojekt – jedenfalls erstmals – gestoppt. Dies ist keinesfalls unrealistisch, da derzeit vor allem in EU-skeptischen Ländern wie Großbritannien, Polen, Irland, der Tschechischen Republik und Dänemark eine Ablehnung des VVE möglich bis wahrscheinlich ist. Insbesondere in Großbritannien zeigen Umfragen derzeit ein klares "Nein" zur EU-Verfassung voraus. Aber auch in Frankreich kann ein Negativvotum in dem voraussichtlich noch vor dem Sommer 2005 stattfindenden Referendum nicht völlig ausgeschlossen werden, nachdem die reale Gefahr besteht, dass innenpolitische Themen oder die Frage des Türkeibeitritts die Abstimmung überlagern. In Polen und der Tschechischen Republik ist zudem auch eine Mehrheit in den Parlamenten nicht gesichert. Die Arbeit des Europäischen Konvents sowie – nach einem Scheitern der einberufenen Regierungskonferenz in einem ersten Anlauf im Dezember 2003 – der im Juni 2004 mühsam errungene Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten wäre vergebens gewesen. Die Europäische Union würde auf der Grundlage des Vertrages von Nizza, der eigentlich mit dem Verfassungsvertrag weitreichend reformiert werden sollte, weiter bestehen.

Rechtlich betrachtet würde eine in einem oder sogar mehreren Mitgliedstaaten gescheiterte Ratifizierung daher keine Krise bedeuten. Die Krise wäre in jedem Fall eine rein politische, verursacht durch die Blockierung der mit dem Verfassungsvertrag beabsichtigten Weiterentwicklung der Union und der sich hieraus ergebenden politischen Spannungen zwischen der zu erwartenden großen Mehrheit der Ratifizierer und der Minderheit der Nichtratifizierer. So wird es für viele Mitgliedstaaten nicht akzeptabel sein, nach der Ablehnung des Verfassungsvertrages in möglicherweise nur einem Mitgliedstaat wieder zur Tagesordnung überzugehen und zu den Bestimmungen des als für die erweiterte Union unzureichend betrachteten Vertrages von Nizza zurückzukehren. Zumal es nur schwer vermittelbar sein dürfte, dass es ein Land oder eine kleine Minderheit von Staaten in der Hand hat, die notwendige Reform des politischen Systems der Europäischen Union zu torpedieren, obgleich die Mehrheit der EU-Bürger dafür sind. Vielerorts wird daher die dauerhafte Lähmung oder gar die Spaltung der Union befürchtet. Weil sichere Prognosen unmöglich sind und der Erfolg der Referenden nicht gefährdet werden soll, schweigen sich die europäischen Regierungen derzeit zu ihren Überlegungen für den Fall eines Scheiterns des Verfassungsvertrages aus. Um die Europäische Union vor einer langfristigen Krise zu bewahren, werden gleichwohl diverse Plan-B-Szenarien inoffiziell diskutiert.

Da alle denkbaren Auswege aus einer Ratifizierungskrise lediglich „second best"-Lösungen darstellen, gilt es alles zu tun, die Bürger insbesondere dort, wo Referenden stattfinden, vom Verfassungsvertrag zu überzeugen. Die notwendige Überzeugungsarbeit, die insbesondere von den nationalen Regierungen zu leisten ist, wird in manchen Mitgliedstaaten, in denen die Zustimmung der Bürger zum Verfassungsvertrag noch sehr gering ist wie etwa in Großbritannien, enorm sein. Nun sind Referenden von vornherein mit zahlreichen Risiken behaftet. Auch in den anstehenden Volksabstimmungen besteht in einigen Mitgliedstaaten die Gefahr, dass gar nicht über den Verfassungsvertrag an sich abgestimmt wird, sondern vornehmlich innenpolitische Themen die Debatte dominieren, oder die bisherige Amtszeit der amtierenden Regierung mittels Referendum bilanziert wird. Diesen sachfremden Erwägungen muss daher mit gezielten Informationskampagnen entgegengewirkt werden, in denen die Neuerungen des Verfassungsvertrages einfach und verständlich aufgezeigt werden. Dies gilt umso mehr, als nach dem aktuellen Eurobarometer der Europäischen Kommission vom Januar 2005 33 Prozent der EU-Bürger (in Großbritannien 50 Prozent!) noch nie etwas vom Verfassungsvertrag gehört haben und 56 Prozent nur wenig über den Inhalt wissen. Die Aussichten, die Zustimmung zum Verfassungsvertrag dadurch zu erhöhen, dass die Bürger verstärkt informiert werden, sind allerdings gar nicht so schlecht. So konnte die Eurobarometer-Umfrage auch zeigen, dass sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Unterstützung des Vertrages und der Kenntnis davon sowie von seinem Inhalt herstellen lässt: Je besser die Bürger den Vertragstext kennen, desto eher befürworten sie ihn. Das Haupthindernis ist daher nicht eine grundsätzlich europaskeptische Haltung, sondern die Unwissenheit.

Gerade weil der Informationsbedarf so gewaltig ist, sind die Referenden und vorausgehende Kampagnen sinnvoll. Sie bieten die Chance, mit Mythen und Vorurteilen über die Europäische Union aufzuräumen. So glauben laut Eurobarometer fälschlicherweise fast 40 Prozent der europäischen Bevölkerung, dass mit dem Verfassungsvertrag eine direkte EU-Steuer eingeführt wird, und 63 Prozent, dass die nationale Staatsangehörigkeit abgeschafft wird. Auch hoffen viele Pro-Europäer, dass die nationalen Referenden die gängige Ansicht bei den Bürgern, ihnen fehle ein echtes Mitspracherecht bei der Gestaltung wichtiger EU-Entscheidungen, ändern wird. Die gute Nachricht ist daher, dass es für Kritiker zukünftig schwieriger mit der Behauptung sein wird, die Europäische Union sei von Natur aus undemokratisch. Aber die nationalen Regierungen und Pro-Europäer müssen die Gelegenheiten nutzen, die die Referenden bieten und eine aktive Kampagne starten, um die europäischen Bürger von dem Mehrwert des neuen Verfassungsvertrages als einen Schritt zu einer demokratischeren, effizienteren und transparenteren Union zu überzeugen. Dabei gilt es hervorzuheben, dass trotz sicherlich bestehender Kritikpunkte an dem neuen Vertrag der derzeit geltende Vertrag von Nizza keine Alternative darstellt. Anderenfalls könnte diese neue Ära der direkten Demokratie zu einer schweren Krise der Europäischen Union führen.


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