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Europapolitik: Nebenschauplatz im Wahlkampf 2005

Eine Chance wurde vertan

15.09.2005 · Position Janis Emmanouilidis und Almut Metz



Europapolitik ist zunehmend Innenpolitik. Ob in der Währungs- und Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, der Innen- und Rechtspolitik oder der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Nationale Politik hat in immer größerem Maße auch eine europäische Dimension. Die Europäische Union ist zu einem zentralen Bezugsrahmen für die Politik ihrer Mitgliedstaaten geworden. Europapolitik ist daher heute weit mehr als ein innovatives Experimentierfeld nationaler Außenpolitik. Europapolitik wirkt nach innen in die Mitgliedstaaten hinein – und trotzdem steht das Thema Europäische Union im Bundestagswahlkampf 2005 weit unten auf der Agenda.

Bereits ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien zeigt deutlich: Hier ist Europapolitik noch kein wirklich horizontales Thema. Der Europapolitik wird in der Regel artig ein separates Kapitel gewidmet, dies steht aber seltsam unverbunden mit dem Rest und beinhaltet im Parteienvergleich wenig Kontroverses. Entsprechend spielt Europapolitik im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Mit einer Ausnahme – dem möglichen Beitritt der Türkei zur EU. Ein Thema das sich wunderbar eignet für den Wahlkampf: emotional aufgeladen, und vor allem kontrovers. Im Spektrum der Parteien gibt es jene, die eine Mitgliedschaft der Türkei ausdrücklich, aber unter den Bedingungen der Erfüllung der Kopenhagener Kriterien und der Übernahme des Acquis communautaire befürworten – allen voran die SPD, die Grünen, aber auch die Linkspartei. Die Liberalen unterstreichen, dass die Beitrittsverhandlungen „ergebnisoffen“ geführt und „Alternativen zur Vollmitgliedschaft“ angedacht werden müssen. Ganz explizit setzen CDU/CSU auf eine „privilegierte Partnerschaft“ als Alternative zum Beitritt, ohne allerdings näher zu bestimmen, wie diese aussehen könnte.

Diese gegensätzliche Positionierung zu einem zentralen europapolitischen Thema ist in Deutschland, wo die europäische Integration in der Regel parteiübergreifender Konsens ist, eine Seltenheit. Und hier liegt auch einer der zentralen Gründe, warum sich Europapolitik nicht so recht als Wahlkampfthema eignet: Dieser lebt von Dissens und Kontroversen, die in Zeiten von Wahlkämpfen zugespitzt werden und so die Dynamik eines Wahlkampfes ausmachen. Konsens ist dazu schlicht ungeeignet, ergo: Mit Europa lassen sich keine Stimmen gewinnen. Und so kommt es zu der eigenartigen Verzerrung, dass die EU zwar allgegenwärtig, aber ebenso unsichtbar ist. Ein aktuelles Beispiel: Das große europäische Thema dieses Sommers – die Krise der EU-Verfassung nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden – wird im deutschen Wahlkampf 2005 fast völlig ausgeblendet. Dabei ließe sich trefflich über den besten Weg aus der Krise und die Rolle Deutschlands dabei streiten. In der aktuellen Situation müssten die Politiker der europäischen Einigung neue Impulse auf nationaler und europäischer Ebene geben. Der Wahlkampf in Deutschland wäre hierfür ein guter Anlass – aber es gehört Mut und eine politische Vision dazu, auch in einem Moment, in dem viele vom Scheitern der EU-Verfassung reden, die europäische Integration als Thema aufzugreifen. In Berlin, aber auch in den anderen europäischen Hauptstädten herrscht momentan eher Ratlosigkeit und Zurückhaltung – niemand will sich die Finger verbrennen, schon gar nicht im Wahlkampf.

So aber bleibt Europa ein artifizieller Nebenschauplatz, und für den Bürger entsteht wohl zum wiederholten Mal der Eindruck, dass „in Brüssel“ vieles gemacht wird, aber ganz bestimmt keine ernst zu nehmende Politik. Denn wenn dem so wäre – müssten sich die Politiker nicht viel mehr ins Zeug legen und den Bürgern beweisen, dass sie, und nicht der politische Gegner, die beste Interessenvertretung in der europäischen Hauptstadt machen werden? Viele Bürger wissen bis heute nicht, wie eng Politik in Deutschland mit der europäischen Ebene verwoben ist. Der Wahlkampf hätte auch eine Gelegenheit geboten, jenseits eines populistischen „Wir werden aus Brüssel regiert“ den Stand der Integration aufzugreifen. Dies wäre ein ganz konkreter Beitrag zum „Plan D“ gewesen, zum Dialog über Europa, den die Staats- und Regierungschefs auf dem Brüsseler Juni-Gipfel angesichts des Scheiterns der Referenden angekündigt hatten, der aber bis jetzt eher ein Rohrkrepierer ist.

Europa muss zum integralen und selbstverständlichen Bestandteil nationaler Politik werden. Dazu muss die Abschottung der nationalen von der europäischen Ebene in der politischen Praxis aufgehoben werden, denn sie entspricht im Mehrebenensystem nicht mehr der Realität. Dazu ist Lernen und Umdenken erforderlich. Gelingt dies nicht, so besteht die Gefahr, dass Politik zwar zunehmend auch auf europäischer Ebene gemacht wird - unter der Mitwirkung der nationalen Regierungen im Ministerrat und im Europäischen Rat -, aber dabei völlig abgekoppelt bleibt von der Legitimation der Wähler. Anders formuliert: Der Wähler muss den politischen Entscheidungsträgern auch ein Mandat für ihre Politik in Brüssel geben. Und dies kann er nur, wenn der Europapolitik ein größerer Raum im Wahlkampf und in der Tagespolitik überhaupt eingeräumt wird. Ein Raum, in dem auch Kontroversen ihren Platz haben, durch die der Bürger die Wahl hat zwischen Alternativen, und Europa als politisches, nicht als bürokratisches Projekt erfährt. Politiker fordern oft, die Bürger müssten lernen, mit Europa zu leben - allen voran gilt dies aber für die politischen Entscheidungsträger selbst. Der Wahlkampf wäre dazu ein Lehrstück gewesen. Doch diese Chance wurde vertan.


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