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D-Mark und Lira statt Euro?

Unpolitische Denkspiele über das Ende des Euro

16.07.2005 · Position von Roman Maruhn



Die Volkswirte Robert Prior-Wandesforde und Gwyn Hacche der Europaabteilung von Global Research der britischen Großbank HSBC begründen ihr Papier „European meltdown? Europe fiddles as Rome burns“ vom Juli 2005 mit der aktuell ungewissen politischen und wirtschaftlichen Lage der Europäischen Union:
  1. Italien und die Niederlande sind in Rezession geraten.
  2. Bundeskanzler Gerhard Schröder strebt vorgezogene Neuwahlen an.
  3. Die Referenden über die Europäische Verfassung sind in Frankreich und den Niederlanden gescheitert.
  4. Die EU-Staats- und Regierungschef konnte auf ihrem letzten Gipfel keinen Kompromiss über die EU-Finanzen 2007-2013 finden.

Zentrale Thesen des Papiers

  • Die Zinspolitik (eigentlich der einheitliche Zinssatz) der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Binnennachfrage Deutschlands einbrechen lassen und in Spanien zu wirtschaftlichen Blasen geführt.
  • Die Währungsunion mit dem Euro hat klare Gewinner und Verlierer produziert und dementsprechend die wirtschaftlichen Unterschiede in der Eurozone eher vergrößert als verkleinert.
  • Durch das Regime des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) stehen die wirtschaftlich schwächsten Euro-Staaten unter dem größtem haushaltspolitischen Konsolidierungsdruck (prozyklische Effekte des SWP).
  • In den letzten Jahren wurde trotz des Bestehens der Währungsunion kein substantieller Fortschritt in Richtung einer politischen Union erreicht.
  • Das Krisenszenario eines Auseinanderbrechen der Währungsunion ist nicht mehr unwahrscheinlich.
  • Deutschland hätte gute Gründe, die Währungsunion zu verlassen. Auch Italien könnte von einem Ausstieg aus dem Euro profitieren. Beide Länder könnten mit einem solchen Schritt ihre volle nationale Souveränität in der Haushalts- und Fiskalpolitik zurückgewinnen und in der Konsequenz auch eine ihrer wirtschaftlichen Situation entsprechende Zinspolitik (niedrigere Zinsen) durchführen.

Dennoch betonen die Autoren zwischen den Zeilen, dass sich eigentlich niemand ein solches Krisenszenario wünschen kann und die Rückkehr zu nationalen Währungen ein extrem hohes Maß an Kooperationsbereitschaft (zumindest auf europäischer Ebene) voraussetzen würde.

Ignoranz der politischen Dimension

Die Existenz der Gemeinschaftswährung ist die zentrale Frage des Vertrauens der Bürger in die Europäische Integration und nicht aus dem Bestehen der Europäischen Union herauszulösen. Diese Verantwortung muss respektiert werden, auch wenn man sich mit der Perspektive aus einem Nicht-Euro-Land wie Großbritannien damit leichter tut.

Die Autoren betonen ihre in erster Linie ökonomische Sichtweise und lassen bewusst die politische Ebene der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion außen vor. Dennoch müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, einerseits eine generelle Panikstimmung mitzuverbreiten und andererseits die untrennbare politische Komponente der Währungsunion schlicht zu ignorieren. Der Euro ist ein zutiefst politisches Projekt, das über allen Symbolgehalt hinaus die Notwendigkeit seiner Existenz aus dem Binnenmarktziel zieht, dem zentralen Baustein der Europäischen Integration. Zwar ist der Binnenmarkt in der EU-Definition theoretisch auch ohne gemeinsame Währung möglich, der Euro soll ihn aber der Vollendung näher bringen, um die Transparenz für alle Marktteilnehmer – alle Bürger und Unternehmen in der EU – zu erhöhen.

Mit einer möglichen Aufgabe des Euro gerät entsprechend das Ziel der Vollendung des Binnenmarkts in Gefahr. Zwar ist auch Großbritannien Mitglied des Binnenmarkts, ohne den Euro als Währung eingeführt zu haben. Formal widerspricht das auch nicht dem EU-Konzept eines Binnenmarkts, allerdings soll die Gemeinschaftswährung durch das damit erzielte Höchstmaß an Markttransparenz freien und fairen Wettbewerb in der EU gewährleisten. Darüber hinaus könnte sich der EU-Binnenmarkt langfristig aber auch an der Finalität eines nationalen Binnenmarkts orientieren: In diesem Fall ist eine gemeinsame, verbindliche Währung unabdingbar.

Protektionismus ist als Grundgedanke innerhalb der EU unzulässig. Diese Rationalität des Binnenmarkts zieht auch die Währungsunion nach sich. In der Konsequenz sollte es einem Mitglied des Binnenmarkts nicht erlaubt sein, seine Position im Handel mit den EU-Partnern – beispielsweise nach dem Ausscheiden aus dem Euro – durch die Abwertung der eigenen Währung zu verbessern. Dies würde die Idee des Binnenmarkts konterkarieren und stellt gegenüber den anderen Binnenmarktteilnehmern eine feindliche Handlung dar, weil es den innereuropäischen Wettbewerb verzerren würde.

Die Prinzipien des SWP dienen der Konsolidierung der nationalen Haushalte. Eine gewisse Flexibilität ist nach der Revision des SWP vorhanden. Die Wirtschaftskrise der Euro-Zone ist auch das Ergebnis über Jahre lang fehlender Reformen. In der Bundesrepublik Deutschland begannen ernsthafte Reformen erstaunlicher Weise erst nach der Einführung des Euro. Liegt hier nicht vielleicht sogar eine positive, als eine negative Koinzidenz vor? Die Regeln des SWP nehmen (besonders wiederum im Fall Deutschlands) die aktuell amtierenden Politiker in die Pflicht, die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen im Sinne von Reformen zu verändern. Aussagen über deren Erfolg sind allerdings schwierig. Freilich verringert sich die politische Handlungsfähigkeit durch den SWP. Diese würde sich aber dramatisch mehr verringern, wenn es die „Katastrophenvorwarnstufe“ des SWP nicht gäbe.

Darüber hinaus ist es besonders für die kontinentaleuropäischen Volkswirtschaften stark umstritten, ob staatliche Intervention für den Fall eines massiven Bruchs des SWP oder eines Verlassens des Euro tatsächlich die ökonomischen Stimuli produzieren kann, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Ein „Austritt“ von Euro-Mitgliedstaaten aus der Währungsunion würde zwar dem Staat größere Autonomie und Handlungsfähigkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik verschaffen, Unternehmen und Bürger könnten daraus allerdings ebenso Nachteile im EU-Binnenmarkt erfahren.

Abschließend ist auch die Methodik der Autoren des Papiers zu kritisieren: Sie greifen in einem Großteil ihrer Argumentation die Extremforderung von Exponenten der italienischen Regierungspartei Lega Nord auf und spielen das Szenario eines Ausstiegs Roms aus dem Euro breit durch. Die Lega Nord ist einerseits eine sehr kleine und andererseits in vielerlei Hinsicht extremistische Partei. Eine Besonderheit des italienischen politischen Systems ist es, dass die Lega Nord überhaupt noch existiert und sogar Koalitionspartner ist. Es ist davon auszugehen, dass sie wegen ihrer politischen Zielsetzungen und den Aussagen ihrer Repräsentanten beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland als verfassungsfeindlich eingestuft würde. Die wirtschaftliche Situation Italiens hingegen ist tatsächlich dramatisch, aber keine Folge ihrer Teilnahme an der Währungsunion. Der anstehende Strukturwechsel der Wirtschaft und die ihn notwendigerweise flankierenden Reformen sind mit dem Euro, einer „Neuen Lira“ oder auch dem US-Dollar unvermeidbar.

Die politische Realität der Währungsunion

„Die Währung der Union ist der Euro.“ Artikel I-8 des Vertrags über eine Verfassung für Europa stellt eine klare Zielvorgabe für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union dar: Der Euro soll eines Tages alleiniges gesetzliches Zahlungsmitteln in der gesamten EU sein. Diese Bestimmung ist als „Staatsziel“ und politischer Imperativ zu verstehen.

Auch wenn die Bevölkerungen Frankreichs und der Niederlande in den Volksabstimmungen vom 29. Mai und 1. Juni 2005 die Europäische Verfassung abgelehnt haben, so gilt aber immer noch, dass die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU am 29. Oktober 2004 die Verfassung unterschrieben haben und damit die Geschäftsgrundlage für die zukünftige Europäische Union aufgestellt haben. Entsprechend ist die Europäische Verfassung der immer noch aktuellste und verbindlichste Reformvorschlag für die Europäische Union.


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