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Die EU in der Doppelkrise?

Die EU-Finanzverhandlungen erhalten eine neue Dynamik.

22.06.2005 · Position von Roman Maruhn



Zum Beweis der Handlungsfähigkeit der EU-25 – nach dem Scheitern der Referenden über die Europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden – stilisierten die Europäische Kommission, Ratspräsident Juncker, Frankreichs Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder die Verhandlungen um die EU-Finanzen für den Zeitraum 2007-2013. Kommission und Ratspräsidentschaft mussten aus dem Selbstverständnis ihrer politischen Rolle einen Kompromiss anstreben: Der EU-Fahrplan sah eine politische Einigung auf dem Europäischen Rat vom 16./17. Juni vor. Chirac und Schröder wollten hingegen Premierminister Tony Blair zur Aufgabe des Britenrabatts zwingen. Diese absehbare und durchsichtige Verhandlungstaktik ist im Eklat gescheitert. In der Folge wird der schon fast vertraute Streit ums europäische Taschengeld zu einem kontinentalen Familiendrama aufgeblasen: Der Öffentlichkeit wird neben der Verfassungskrise die Finanzierungskrise serviert, Politiker drohen mit dem Auseinanderbrechen der EU und die Staats- und Regierungschefs üben sich in Leichenfledderei am angeblich toten politischen Körper Europas.

Dabei eignet sich nichts weniger dazu, die Handlungsfähigkeit der EU zu beweisen, als die Lösung des Konflikts um die zukünftige Finanzierung Europas: Die EU-25 ist deutlich heterogener geworden, Nettoempfänger „drohen“ zu Nettozahlern zu werden und Europa hat sich immer noch nicht die politischen Reformen gegeben, die es auch mit 25 Mitgliedstaaten hätte entscheidungs- und handlungsfähig halten sollen. Folgt man außerdem dem Beispiel der Verhandlungen um die Finanzielle Vorausschau für 2000-2006, dann kann es für einen Kompromiss zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch schlicht zu früh sein: Damals wurde eine Einigung erst knapp neun Monate vor Beginn, im Frühjahr 1999 gefunden. Die Konsequenzen daraus – zum Beispiel könnten Förderprogramme erst mit Verspätung anlaufen – sind zwar besonders für die neuen Mitgliedstaaten bitter, aber nicht als Katastrophe, sondern als die Europapolitik kennzeichnendes Stilelement zu betrachten. Entsprechend hat die österreichische Regierung vermutlich bereits jetzt das zentrale Thema ihrer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 gefunden.

Festzuhalten ist, dass die Verfassungskrise, die auch eine allgemeine Vertrauens- und Erweiterungskrise ans Tageslicht gebracht hat, nur sehr wenig mit den Finanzverhandlungen zu tun hat. Lediglich die zeitliche Nähe zu den gescheiterten Referenden und den chaotischen Reaktionen der führenden Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hat zusätzliche Spannungen in die traditionell von einer eher schlechten Atmosphäre gekennzeichnete Finanzdebatte gebracht.

Unter dem Aspekt der notwendigen Reform des EU-Haushaltes – im wissenschaftlichen, aber auch zunehmend im öffentlichen Diskurs wird die gegenwärtige Ausgabenstruktur der Europäischen Union als antiquiert und ineffektiv wahrgenommen und führt zu direkter Kritik an der EU selbst – sind die (Nicht-)Resultate des Europäischen Rats interessant: Die Forderung nach einem Einfrieren des Britenrabatts mit einem Gegenangriff auf die Finanzstruktur der EU und besonders den Anteil des Agrarhaushalts zu beantworten, mag zwar wenig elegant, scheinheilig und unfair wirken, hat die Öffentlichkeit allerdings äußerst effektiv erreicht. Der Agrarkompromiss wurde nach deutsch-französischer Vorbereitung im Juni 2003 vom Rat der Landwirtschaftsminister beschlossen und galt in den Finanzverhandlungen als nicht verhandelbar. Auch wenn Blairs Motive eher in Verhandlungstaktik als echtem Reformeifer zu suchen sind, steht die Diskussion um eine Modernisierung des EU-Hauhalts und eine Reform der EU-Politiken jetzt wieder auf der Agenda der Europapolitik. Aggressive Verhandlungsführung und auch ein vorläufiges Scheitern können also positiv für Reformen sein.

Zwar ist eine Lösung des Finanzstreits unter britischer Ratspräsidentschaft wegen ihres großen Eigeninteresses nicht zu erwarten, zumal Londons europäisches Engagement aufgrund seiner sicherheitspolitischen Orientierung an den USA und der fehlenden Integration in Währungsunion und Schengen-Acquis fragwürdig bleibt. Dennoch muss Blair beweisen, dass er auch als europäischer Außenseiter die Ratspräsidentschaft zum Erfolg bringen kann. Eine Reform des EU-Haushalts hat er dabei auf dem Europäischen Rat informell zum Schwerpunkt seiner Ratspräsidentschaft gemacht. Am konstruktivem Management dieses Themas sollte sein Erfolg gemessen werden, bevor ein Erdbeben im politischen Kräfteverhältnis in der EU festgestellt wird.


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