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Business as usual?

Wahlparteitage im Bundestagswahlkampf 2005

02.09.2005 · Position von Dr. Manuela Glaab



Wahlparteitage bilden einen festen Bestandteil der Wahlkampfdramaturgie. Eine mediengerechte Inszenierung zählt inzwischen zu den Selbstverständlichkeiten des Kampagnenhandwerks. Nach amerikanischem Vorbild sind auch die deutschen Parteien dazu übergegangen, dem Publikum ein symbolisch forciertes Gesamtprodukt anzubieten: Kulissendesign, Musik, Showelemente, Slogans, ja selbst die Kleidung der Redner werden aufeinander abgestimmt.

Seit jeher verfolgen Wahlparteitage zwei Zielsetzungen:

  1. Oberstes Ziel ist die Wählermobilisierung. Dabei kommt es darauf an, neben der eigenen Anhängerschaft v.a. auch die Unentschlossenen zu erreichen, deren Anteil in der Wählerschaft immer größer wird und die es kurzfristig zu mobilisieren gilt. Wo Parteibindungen fehlen, so der Befund der Wahlforschung, gewinnen Kandidaten und Issues an Bedeutung. Wahlparteitage bieten ein Forum, beides in fernsehtauglichem Format einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.
  2. Zum zweiten, und genauso wichtig, geht es darum, die eigene Parteibasis für den Endspurt zu mobilisieren. Zwar sind Wahlparteitage in erster Linie ein Medienereignis. Es geht also nicht darum, der eigenen Partei ein Diskussionsforum zu bieten, sondern die schon vorher abgesteckten Positionen möglichst plakativ und einprägsam nach außen zu vermitteln. Weil dies aber nur dann überzeugend gelingen kann, wenn die Partei ebenso geschlossen wie entschlossen auftritt, ist es notwendig, die eigenen Parteimitglieder auf die Wahlkampfbotschaft einzuschwören und für einen engagierten Wahlkampf zu motivieren.

Die Wirkung von Wahlparteitagen darf nicht überschätzt werden. Sie sind nur eines von vielen Ereignissen im Wahlkampfkalender. Gleichwohl haben sie das Potential, Stimmungen zu erzeugen, zu verstärken und zu transportieren. Hier treten denn auch die Besonderheiten des aktuellen Bundestagswahlkampfes hervor:

Die Regierungsparteien kämpfen nicht mit dem Rückenwind der Machtinhaber. Es herrscht vielmehr eine „defensive Wechselstimmung", so dass die Wahlkämpfer in einer Flaute, wenn nicht sogar bei Gegenwind segeln müssen. Dagegen befindet sich die Opposition in einer vergleichsweise komfortablen Ausgangslage: Alle Prognosen sagen einen Wahlsieg voraus. Gerade deshalb ist es aber wichtig, die eigenen Reihen in Schwung zu halten, damit nicht auf den letzten Metern die Luft ausgeht. Wer als erster über die Ziellinie gehen will, muss Siegeswillen auf allen Metern demonstrieren. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist es, Geschlossenheit zu zeigen. Deshalb bildete der Schulterschluss mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nach den jüngsten Differenzen ein wichtiges Element der Dramaturgie des CDU-Wahlparteitages in Dortmund. Gleichzeitig wurde Angela Merkel als unangefochtene Nummer eins präsentiert – mehr Kanzlerin als Kandidatin. Videoclips und Rockbands lieferten den schwungvollen Rahmen für die Kernbotschaft: Aufbruchstimmung statt Resignation.

Bewusst versuchte die SPD mit ihrem Berliner Wahlparteitag einen Gegenakzent zum Festivalcharakter des CDU-Wahlparteitags zu setzen. Beinahe nüchtern kam das in Weiß und Rot gehaltene Podium daher. Ausgegeben wurde die Parole einer „neuen Sachlichkeit", da anders als bei der Opposition Sachthemen im Mittelpunkt stehen sollten. Dass die Dramaturgie eines solchen professionell aufgeplanten Ereignisses nicht bis ins letzte Detail steuerbar ist, hat sich auch dieses Mal bestätigt. Eine einzelne Rede kann die Stimmung unter den Delegierten umdrehen, so wie der begeistert aufgenommene Beitrag des Porsche-Betriebsratsvorsitzenden Hück. Aber auch der Kanzler überraschte die Beobachter mit seiner kämpferischen Rede. Der Applaus für den Redner ist jedoch ein flüchtiger Stimmungsindikator. Die Wahlkämpfer mögen fürs erste neuen Mut geschöpft haben, aber das Strategiedilemma bleibt ungelöst: Wie kann die Popularität von Schröder in Unterstützung für die SPD umgemünzt werden?

Eine weitere Herausforderung stellt für die Wahlkampfstrategen aller Parteien dar, dass ein „Grundgesetz" moderner Wahlkämpfe aktuell außer Kraft gesetzt ist. Demnach bilden das langfristige, mittelfristige und kurzfristige Campaigning einen strategischen Gesamtzusammenhang. Wahlparteitage stellen dabei einen sorgfältig geplanten, durch Pre-Events vorbereiteten und durch Kampagneaktivitäten nachbereiteten Höhepunkt in der Wahlkampfdramaturgie dar. Dieses Mal aber muss improvisiert werden, weil der Wahlkampf früher als geplant kam und nur auf wenige Wochen reduziert ist. In der „heißen Phase" nach der Sommerpause bis zum 18. September 2005 kämpfen alle Parteien um die knappe Ressource medialer Aufmerksamkeit. Ein Wahlkampfereignis jagt das andere. Einen geschickten Schachzug unternahm daher die CSU, die ihren Parteitag im Unterschied zu den anderen Parteien auf zwei Tage ausdehnte. Damit eröffnet sich die Chance, an zwei Tagen in den Medien präsent zu sein, Personen und Themen auf die aktuelle Agenda zu bringen. Auch das Timing der FDP dürfte nicht zugfällig gewählt sein. Im Unterschied zu den Grünen, deren frühzeitig angesetzter Wahlparteitag fast schon in Vergessenheit geraten ist, können die Liberalen darauf hoffen, mit ihrem außerordentlichen Parteitag am 11. September 2005 die Nachrichtenlage in den Tagen vor dem Urnengang noch einmal mit zu bestimmen.


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