C·A·P Home > Aktuell > positionen > 2004 > NPD und DVU

NPD und DVU - Anti-Hartz-Parteien oder eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie?

Position zur Wahl in Sachsen und Brandenburg

23.09.2004 · Chloé Lachauer



Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am vergangenen Sonntag heben einmal mehr ein gesellschaftliches und politisches Phänomen der Bundesrepublik Deutschland in aller Deutlichkeit hervor. Seit Jahren war abzusehen, dass rechtsextreme Parteien in Deutschland, gerade in den neuen Bundesländern, ein Wiedererstarken erfahren könnten. Doch erst jetzt lösten die hohen Anteile an Wählerstimmen bei den rechtsextremen Parteien DVU und NPD Erschrecken aus.

Fraglich bleibt, ob die Wahlergebnisse der "braunen" Parteien tatsächlich noch immer "nur" ein Randgruppen-Phänomen und in erster Linie eine Protest- und Wut-Wahl gegen die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierungskoalition ist oder aber deutlich mehr dahintersteckt und wir uns ernsthafte Gedanken über einen möglicherweise lange unterschätzen neuen politischen Akteur in Deutschland machen müssen.

In Brandenburg konnte die rechtsextreme DVU gegenüber der Landtagswahl 1999 um 0,7 Punkte zulegen und wird mit 6 Prozent der Wählerstimmen und damit 6 Sitzen wieder im Parlament vertreten sein. In Sachsen ist das Wahlergebnis noch alarmierender, hier bekam die NPD 9,2 Prozent der Wählerstimmen und zieht damit mit 12 Abgeordneten zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder in einen Landtag ein. NPD-Landeschef Holger Apfel verkündete am Wahlabend, "Das war ein großartiger Tag für alle Deutschen, die noch deutsch sein wollen."

Viele führen den Erfolg der Rechtsextremisten vor allem auf ihre Kampagne gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV sowie die in weiten Teilen der Bevölkerung als sehr negativ wahrgenommenen Wirtschaftslage zurück. Von dieser allgemeinen Proteststimmung profitieren vor allem extreme Parteien wie die NPD und die DVU. Die NPD ist besonders bei den 18- bis 29-Jährigen (17 Prozent) und den 30- bis 44-Jährigen (12 Prozent) erfolgreich. Bei den Arbeitern holte die NPD 13 Prozent. Sie ist bei Wählern ohne Job mit 18 Prozent rund doppelt so stark wie die SPD mit 7 Prozent. Nach den klassischen Mustern rechtsextremer Parteien rekrutiert die NPD neben Jung- und Erstwählern vor allem Wähler aus Schichten mit niedrigem Bildungsniveau. Insgesamt ist sie bei Männern (11 Prozent) deutlich beliebter als bei Frauen (7 Prozent). Von den unter 30-jährigen Männern bekommt die NPD jede fünfte Stimme. Ein besorgniserregendes Wahlergebnis bei der NPD - nach Meinung des Verfassungsschutzes die gefährlichste und aktivste Partei in Deutschland.

Nicht länger scheint die NPD für viele eine Außenseiterpartei jenseits des politischen Anstands zu sein, für viele Wählerinnen und Wähler ist hier offensichtlich die Lösung der aktuellen gesellschaftspolitischen Probleme im Land verborgen. Die NPD scheint gesellschaftsfähig geworden zu sein, sie ist "in der Mitte der Gesellschaft angekommen", so Olaf Vahrenhold, der Leiter der Abteilung Rechts- und Linksextremismus beim sächsischen Verfassungsschutz. Mittlerweile hat die Bundeszentrale der NPD ihren Schwerpunkt in Sachsen positioniert, denn hier feiert sie Erfolge, die sie selbst überraschen. Hier erscheint auch ihr Parteiorgan, die "Deutsche Stimme". "Natürlich sind wir verfassungsfeindlich. Wir wollen eine andere Gesellschaftsordnung", so einer der neuen Landtagsabgeordneten in Sachsen. Er sieht sich dem Ziel der rechten Parteiarbeit im Osten der Republik durch die Anti-Hartz-Demonstrationen, an denen die NPD regelmäßig teilnimmt, näher denn je: "Es geht darum, Strukturen aufzubauen, um bereit zu sein, wenn es mal zum Aufstand Ost kommt".

Die DVU hingegen war bereits seit 1999 im Landesparlament in Brandenburg vertreten. Auch diese Partei - finanziert u.a. von dem bekennenden Rechtsextremisten und Antisemiten Gerhard Frey (Herausgeber der "National-Zeitung") - wird, ebenso wie die NPD in Sachsen, von vielen noch immer nicht als rechtsextremistisch betrachtet. Und das, obschon die gerade die NPD bereits im Wahlkampf keinen Zweifel an ihren An- und Absichten gelassen hat, indem sie offen und bewusst gegen Ausländer, "gegen Ali und Mustafa", hetzt. Auf der - frei zugänglichen und auf einem deutschen, nicht etwa einem amerikanischen oder dänischen Server platzierten - Website der Partei werden die Politiker in Dresden und Berlin als "Volksverräter" beschimpft und bereits im Vorfeld der Wahlen Misstrauen gegenüber der Richtigkeit der Ergebnisse geschürt, indem man hier davon ausgeht, "dass antideutsch gesinnte Stimmenauszähler zu Lasten der NPD Manipulationsversuche unternehmen werden." Vor allem im sächsischen Wahlkampf hatte die NPD mit einer Mischung aus sozialem Populismus und bürgerlicher Erscheinung präsentiert. Die Plakate thematisierten vor allem Hartz IV und auf Flugblättern wurde in erster Linie eine Kürzung der Politikerdiäten versprochen; man versuchte, sich so seriös wie möglich zu geben. Doch nach den Wahlergebnissen wird das gemäßigte Auftreten wieder zurücktreten müssen hinter ein deutliches Signal der rechtsextremen Parteien an die Szene, dass sie zu ihren extremistischen Grundüberzeugungen stehen werde. So plant nach Informationen des Wochenblattes "Die Zeit" die NPD für das kommende Wochenende in Berlin-Kreuzberg eine Demonstration gegen den Islam und die "Überfremdung" Deutschlands.

Nach den beachtlichen Wahlerfolgen der Rechtsextremen sowohl bei der Europawahl 2004 als auch bei den bundesdeutschen Landtagswahlen im Saarland, in Brandenburg und in Sachsen wird nun zu recht vielerorts die Frage nach einer ernsthaften Gefahr für die Demokratie laut. Sogar die Kirche, die sonst tagespolitisches Geschehen kaum kommentiert, äußert Besorgnis. Auch die Wirtschaft zeigt sich irritiert bezüglich des Zuspruchs für NPD und DVU. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, rief die demokratischen Parteien zu einem gemeinsamen Handeln gegen das Erstarken der rechtsextremen Parteien in Deutschland auf. Angesichts des Einzuges von NPD und DVU in die Landtage in Sachsen und Brandenburg sei eine Koalition der Vernunft unerlässlich, so Braun gegenüber der Chemnitzer "Freien Presse". Anderenfalls drohe eine Verunsicherung der Wirtschaft und damit eine Zurückhaltung der Investoren aus dem In- und Ausland in den beiden Bundesländern. Der Erfolg der rechtsextremen Parteien ist nach Einschätzung des Bundesverbands des Groß- und Außenhandels (BGA) sehr kontraproduktiv für die Wirtschaft in Sachsen und Brandenburg. "Jeder Anschein von Rechtsradikalismus schadet dem Ansehen des Landes und schreckt damit Investoren ab", so BGA-Präsident Anton Börner. Bislang habe Deutschland im Ausland das Ansehen eines "Garanten für Stabilität dun Verlässlichkeit" genossen. Das politische Umfeld eines Landes bildet also einen Standortfaktor, der sicherlich in seiner langfristigen Wirkkraft nicht zu unterschätzen ist. Doch gerade wenn sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht grundlegend ändert, suchen vielleicht immer mehr Menschen Hoffnung in rechtsextremen Parteien und Gruppierungen. Langfristig könnten die Rechten dadurch zu einem ernstzunehmenden politischen Akteur und damit zu einer Gefahr werden, nämlich dann, wenn sie es schaffen, sich gesellschaftlich weiter so zu etablieren, dass sie es irgendwann schwer machen könnten, eine Regierung der Mitte zu finden und zu bilden. Gesicherte Mehrheiten der Mitte müssen in den Parlamenten langfristig vorhanden sein - auch aus diesem Grund muss ein weiteres Erstarken rechtsextremer Parteien verhindert werden. Zwar ist vielerorts die Ansicht zu hören, die Wahlergebnisse sollten nicht dramatisiert werden, doch ist der Erfolg der rechtsextremen Parteien bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg keineswegs nur als Strohfeuer zu betrachten, denn den Rechtsextremen ist es - begünstigt sicherlich durch die verbreitete Proteststimmung - gelungen, auch bisherige Nicht-Wähler zu mobilisieren. Zudem gibt es nach Presseinformationen bereits Bestrebungen bei NPD und DVU, mit einer verbundenen gemeinsamen Liste zur Bundestagswahl 2006 anzutreten. So berichtet die "Leipziger Volkszeitung", Verfassungsschutzbehörden hätten Sondierungsgespräche zwischen den Spitzen der Rechtsextremen beobachtet. Udo Voigt, Bundesvorsitzender der NPD, äußerte nach den Erfolgen in Sachsen, Ziel der Partei sei es langfristig, als "starke Fraktion in den Bundestag" einzuziehen.

Nicht nur aus wirtschaftlicher und kirchlicher Sicht ist das Entstehen einer neuen "braunen Welle" in Deutschland als Gefahr zu werten. Besorgniserregend ist gerade auch die Tatsache, dass rechtsextreme Parteien nicht nur hierzulande Erfolge feiern können, sondern bei den Europawahlen im Juni diesen Jahres in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beachtliche Wahlergebnisse erzielen konnten und sich zudem eine immer stärker werdende Vernetzung zwischen den Rechtsextremen in Europa beobachten lässt. Es besteht also nicht nur eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland und Europa - rechtsextreme Parteien und faschistischen Organisationen sind eine Gefahr für uns alle.