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Agenda 2007

Die EU vor den Finanzverhandlungen

10.02.2004 · Roman Maruhn



Die Europäische Kommission stellt ihren Entwurf für die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 (im folgenden auch "Agenda 2007") vor. Neben der Diskussion um die Einführung einer Europasteuer zur Finanzierung der EU beherrscht die Frage der Höhe des zukünftigen EU-Haushalts und die Neuorganisation der EU-Regionalpolitik eine der wichtigsten europapolitischen Debatten dieses Jahres.

Anforderungen an die Agenda 2007

Die Agenda 2007 muss

  • die EU-Erweiterung auf 25 und dann 28 Mitgliedstaaten konsolidieren,

  • das Solidaritätsprinzip gegenüber den neuen Mitgliedstaaten fortführen,

  • verstärkt den Lissabon-Prozess flankieren,

  • den neuen, externen Aufgaben der EU gerecht werden,

  • darüber hinaus deutliche Zeichen für einen zukünftigen Wechsel in den Prioritäten der EU in Richtung von Zukunftspolitiken setzen,

  • die Finanzen der EU sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite transparenter machen,

  • den Weg zu einer größeren Finanzautonomie der EU einschlagen und

  • in der Finanzierung allen Mitgliedstaaten gegenüber so weit wie möglich gerecht sein.

Das System der Finanziellen Vorausschau

Die Finanzielle Vorausschau ist der mehrjährige Finanzierungsrahmen der Europäischen Union, der einerseits die prozentuale Obergrenze des Unionshaushalts (gemessen am EU-Bruttonationaleinkommen) bestimmt und andererseits die Globaletats der einzelnen (vergemeinschafteten) Politikbereiche festlegt. Die Finanzielle Vorausschau ist somit auch Ausdruck der politischen Prioritätensetzung der Europäischen Union für Sieben-Jahres-Zeiträume.

Als mehrjähriger Finanzplan soll die Finanzielle Vorausschau das Haushaltsverfahren der EU vereinfachen, beschleunigen und in den Grundzügen für einen längeren Zeitraum festsetzen. Dieses Verfahren ist die Konsequenz aus Haushaltskrisen in den 1980er Jahren und soll gewährleisten, dass nicht jeder EU-Jahreshaushalt Gegenstand finanzieller Begehrlichkeiten der Mitgliedstaaten wird, sondern das Thema "Finanzierung der EU" in der Regel nur alle sieben Jahre auf der europapolitischen Agenda steht.

Die bisherigen Finanziellen Vorausschauen galten für die Etatjahre 1988 bis 1992, 1993 bis 1999 und 2000 bis 2006. Sie sollten die finanziellen Rahmenbedingungen dafür schaffen, europäische Großprojekte, so die Umsetzung der Einheitlichen Akte, des Maastrichter Vertrags und der EU-Erweiterung, zu verwirklichen.

2007 ist das erste Etatjahr der zukünftigen Finanziellen Vorausschau, für die der Verhandlungsprozess zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Parlament und Rat der EU, also den Mitgliedstaaten, mit dem Vorschlag der Kommission beginnt.

Der Fahrplan zur Agenda 2007

  • Die Europäische Kommission stellt am 10. Februar 2004 ihre Vorschläge zur Finanzierung der EU im Europäischen Parlament in Anwesenheit des Rates vor.

  • Bereits am 23./24. Februar 2004 kann dann die Mitteilung über die Finanzielle Vorausschau dem Rat "Allgemeine Angelegenheiten" vorgelegt und dort behandelt werden.

  • Voraussichtlich am 2. April 2004 werden die Finanzminister der Europäischen Union auf ihrer informellen Tagung im irischen Punchestown die Vorschläge der Kommission diskutieren. Die irische Ratspräsidentschaft geht von mindestens ebenso schwierigen Verhandlungen aus wie im Vorfeld der Agenda 2000 unter deutschem Vorsitz.

  • Die irische Ratspräsidentschaft strebt einen Abschluss der Verhandlungen um die Finanzielle Vorausschau im Jahr 2005 unter luxemburgischer bzw. britischer Präsidentschaft an. Dazu will der Ratsvorsitz eine Road Map erstellen. Basierend auf den Erfahrungen der Agenda 2000 könnte ein Abschluss der Verhandlungen aber auch erst im März 2006 erfolgen.

  • 2007 ist das erste Etatjahr der Finanziellen Vorausschau 2007-2013.

  • 2013 läuft die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 aus.

Erste Positionen

  • Europäische Kommission: Die Kommission fordert eine Ausweitung des Budgets der EU vor dem Hintergrund der Erweiterungsrunden 2004 und voraussichtlich 2007 bis auf die bisherige Obergrenze von 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU. Diese Position ist allerdings nicht einheitlich. Eine Gruppe von Kommissaren nimmt eine vermittelnde Haltung mit einem Kompromissvorschlag von 1,12 Prozent des BNE der EU ein. Durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten wird das Haushaltsvolumen der EU ohnehin nominal expandieren. Die Kommission verfolgt in der expansiven Variante aber auch einen prozentualen Zuwachs des EU-Haushalts. Diese Position bekräftigte Prodi am 19. Januar 2004 bei einer Rede vor der London School of Economics. Im Ergebnis könnte der jährliche Gemeinschaftshaushalt bis in das Jahr 2013 auf eine Höhe von ungefähr 150 Milliarden Euro anwachsen. Für Deutschland würde dies eine Erhöhung des jährlichen Beitrags von 22 auf 36 Milliarden Euro bedeuten.

  • Die sechs Nettozahlerstaaten der EU (Österreich, das Vereinte Königreich, die Niederlande, Frankreich, Deutschland und Schweden) haben im Anschluss an die gescheiterte Regierungskonferenz 2003 über die Europäische Verfassung eine gemeinsame Initiative mit dem Ziel ergriffen, die Ausgaben der Europäischen Union bei einem Anteil von 1 % des BNE zu deckeln. De facto kommt diese Forderung einer Senkung der theoretischen Obergrenze des EU-Haushalts gleich, die momentan noch 1,24 bzw. 1,27 (inkl. Entwicklungshilfefonds) Prozent des akkumulierten EU-BNE beträgt. Der Forderung dieser sechs EU-Staaten scheinen weitere EU-Mitgliedsländer offen gegenüber zu stehen: Hier werden Italien, Irland und Slowenien genannt.

  • In Ergänzung der Initiative der sechs Nettozahlerstaaten schlägt Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit Unterstützung durch EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer die Einführung einer aufkommensneutralen EU-Steuer vor. Hauptzweck dieser Steuer solle die autonome und sichere Finanzierung der Europäischen Union sein. Eine in der gesamten Europäischen Union veranlagte Steuer könne die nationalen Haushalte von den Zahlungen an die EU entlasten und darüber hinaus auch die Position der Nettozahler verbessern, da die Steuer per se alle Unionsbürger gleich belasten würde.

Horizontale und vertikale Konfliktlinien

  • Konflikt Nettozahler-Kommission: Die erste evidente Konfliktlinie verläuft vorerst zwischen der Europäischen Kommission und den Nettozahlerländern. Argumentationslinie der Kommission für eine Erhöhung des EU-Haushalts ist hier einerseits die überproportionale Zunahme an Kosten durch die Aufnahme von zehn (relative armen) neuen Mitgliedsländern. Andererseits begründet die Kommission ihre expansive Finanzplanung mit der Übertragung von neuen bzw. Zukunftspolitiken an die Gemeinschaftsebene der EU. Diese haben eine überwiegend externe Dimension und bedürfen neuer und umfangreicher Finanzressourcen.

  • Der Konflikt zwischen Nettozahler- und Nettoempfängerländern ist hingegen bis jetzt noch nicht offen aufgetreten. Er lässt sich jedoch in Spuren bereits aus der Debatte um die Europäische Verfassung in der Regierungskonferenz 2003 und den damit verbundenen Verhandlungstaktiken herauslesen.

  • Der Konflikt zwischen alten Nettoempfänger- und neuen Nettoempfängerländern wird ein weiterer Schauplatz des Verteilungskampfes um EU-Gelder sein: Hierbei steht nicht die Haushaltsposition "Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums" im Vordergrund, sondern die Strukturpolitik.

Die Agenda der Agenda 2007

Zentraler Schwerpunkt der Agenda 2007 wird die Konsolidierung der EU-Erweiterung sein müssen. Gegenstand ist dabei nicht nur die EU-25 von 2004, sondern die EU-28 mit dem wahrscheinlichen Beitritt von Bulgarien, Rumänien und Kroatien im Jahr 2007.

Ein weiterer Schwerpunkt muss auch auf Unionsebene die so weit wie möglich erfolgreiche Umsetzung der Lissabon-Strategie sein.

Darüber hinaus fällt als neues Politikfeld auf Unionsebene die Frage der externen und internen Sicherheit, sowie die verstärkte Positionierung der EU in den internationalen Beziehungen an.

Schon der letzte Punkt wird aber in der gegenwärtigen Finanzierungslage der EU keine größeren Spielräume ermöglichen und dem entsprechend der Union eine weiterhin nur die Mitgliedstaaten flankierende Rolle erlauben.

Auf der Einnahmenseite der Finanzierung der Europäischen Union stellt sich die Frage nach einer möglichen Finanzautonomie der EU. Auch wenn das Gemeinschaftsbudget in der EU-Terminologie als Eigenmittel bezeichnet wird, ist nur der geringere Teil dieser Mittel als echte Eigenmittel, die z.B. von Zöllen abgeschöpft werden, zu bezeichnen. Der Großteil sind Zuweisungen der Mitgliedstaaten der EU. Für eine EU-Steuer, eine Abgabe der Unionsbürger an die Europäische Union, spricht die Stärkung der Finanzautonomie der EU, ein Gewinn an Transparenz für den Bürger und Steuerzahler und das mögliche Ende der regelmäßig wiederkehrenden Auseinandersetzungen im Vorfeld der Finanziellen Vorausschau. Mit einer EU-Steuer könnte ein Automatismus in Gang gesetzt werden, der einerseits die Frage nach Nettozahlern und Nettoempfängern und die damit verbundene Verhandlungstaktik beendet und andererseits gleichzeitig auch die Frage der Ausgaben der Union und ihrer Verteilung auf die einzelnen Politikbereiche auf die Gemeinschaftsebene überträgt.

Die Frage einer EU-Steuer muss sachlich behandelt und politisch betrachtet werden: Verschafft man der Europäischen Union die Möglichkeit zur Selbstfinanzierung durch eine Kodifizierung in den Verträgen oder der Verfassung, dann bedeutet dies einen weiteren Schritt der EU auf dem Weg zum völkerrechtlichen Subjekt, zum Staatswesen. Die Europäische Union würde sich demnach als vierte föderale Ebene über Kommunen, Länder und Bund legen.

Eine EU-Steuer muss aufkommensneutral sein. Das heißt, die Bürger und Steuerzahler dürfen durch eine solche Abgabe nicht stärker finanziell belastet werden als bisher.

Politische Aspekte der Agenda 2007

  • Anfänglich offen war die Geltungsdauer der zu erarbeitenden Finanziellen Vorausschau: Entsprechend der 1999 ausgehandelten Agenda 2000 müsste eine Agenda 2007 für die Jahre 2007 bis 2013, also sieben Jahre gelten. In der Diskussion stand aber auch, ob die Finanzielle Vorausschau nicht in Deckung mit der Amtszeit der Kommission bzw. der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments gebracht werden sollte, um sowohl Kommission als auch Parlament eine stärkere politische Bedeutung durch die Verknüpfung mit der Finanziellen Vorausschau zu ermöglichen.

  • Die Frage einer EU-Steuer hat massiven politischen Niederschlag: Eine überwiegend steuerfinanzierte EU könnte zunehmende finanzielle und damit auch politische Autonomie gegenüber den Mitgliedstaaten gewinnen. Das bisherige System, das die EU weitgehend abhängig von Zuweisungen der Mitgliedstaaten ("BSP-Einnahme") macht, blockiert die politische Selbständigkeit der EU-Ebene.

  • Eine EU-Steuer als Hauptfinanzierungsinstrument der Europäischen Union (beispielsweise ein bestimmter Prozentsatz aus den nationalen Mehrwertsteuern) würde die Funktion der EU als Garant und Produzent von Wohlstand für ihre Mitgliedstaaten gleichzeitig mit ihrer eigenen Finanzierung rückkoppeln: Nur wenn die EU ihre Funktion, den wirtschaftlichen Erfolg und damit den Wohlstand zu vermehren, erfüllt, wachsen durch Konsum und die Zunahme des Konsums auch ihre Finanzmittel. Darüber hinaus trägt jeder Mensch, der sich auf dem Territorium der Europäischen Union befindet und damit auch Mehrwertsteuer entrichtet, zur Finanzierung der EU bei. Dieses Verfahren ist logisch stringent, da die Leistungen der Europäischen Union nicht nur den nationalen Staatsbürgern oder den Unionsbürger zu Gute kommen, sondern auch Nicht-EU-Bürgern auf EU-Territorium.

Europapolitische Belastungen

Die Debatte um die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 wird nach dem vorläufigen Scheitern der Regierungskonferenz 2003 überschattet von der Gleichzeitigkeit verschärfter Diskussionen um die Europäische Verfassung, die Implementierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die materielle EU-Erweiterung am 1. Mai, die Europawahlen am 13. Juni, die Bestellung einer neuen Kommission im Herbst 2004 und immer noch von der Spaltung der Europäischen Union in der Frage des Irak-Konflikts.

Auch der institutionelle Konflikt zwischen Kommission und Ministerrat, der jetzt durch den Europäischen Gerichtshof gelöst werden soll, könnte das Zusammenspiel der europäischen Institutionen bei der Erarbeitung und Verhandlung der Finanziellen Vorausschau erschweren.
Die gegenwärtig konträren Positionen müssen allerdings vor dem Hintergrund von Verhandlungstaktiken verstanden werden, die Natur gemäß zu Beginn des Prozesses um die Finanzielle Vorausschau weit auseinander liegen. Hier wird Manövrierraum für unter Umständen zwei Jahre andauernde Auseinandersetzungen aufgebaut.