Nachbarschaftspolitik
Neues Handlungsfeld der Europäischen Union
01.07.2003 · Iris Kempe
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Mit der bevorstehenden Osterweiterung wird die Europäische Union (EU) in neuem Umfang und in neuer Form an die Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit stoßen. Sie wird direkte Nachbarschaften zu Staaten haben, die sich nicht mehr durch schier unüberwindbare Systemgegensätze von der Union unterscheiden. Allen voran hat die Ukraine wiederholt erklärt, der EU beitreten zu wollen. Angesichts der territorialen Größe und der beträchtlichen Einwohnerzahlen würde der Beitritt dieser Nachbarstaaten die Leistungsgrenze der europäischen Integration überschreiten. Außerdem hinkt die innere Entwicklung der Nachbarstaaten hinter ihren außenpolitischen Ansprüchen hinterher. Trotz einzelner Transformationserfolge kann keiner der postsowjetischen Staaten an die Reformerfolge der derzeitigen EU-Kandidatenstaaten anknüpfen. So lange erhebliche Defizite in den demokratischen Systemen und den marktwirtschaftlichen Ordnungen bestehen und nur schwach entwickelte Zivilgesellschaften existieren, müssen die Beitrittswünsche zur Union in erster Linie außenpolitische Absichtserklärungen bleiben.
Nicht zuletzt aus wohlverstandenem Eigeninteresse ist die Europäische Union derzeit weder willens noch dazu in der Lage, die Beitrittsabsichten der Ukraine oder Moldovas positiv zu erwidern. Das Interesse des offiziellen Belarus an der Europäischen Union beschränkt sich auf politisches Taktieren von Präsident Alexander Lukaschenko, verbunden mit dem Ziel, sein autokratisches Regime aufrechtzuerhalten. Russland ist ebenfalls nicht am Beitritt zur EU interessiert, sondern an einer gleichberechtigten Partnerschaft. Dies wurde in aller Nachhaltigkeit deutlich, als Präsident Wladimir Putin Ende Mai 2003 die 15 europäischen Staats- und Regierungschefs sowie die Vertreter der Kandidatenstaaten zum EU-Russland-Gipfel nach St. Petersburg einlud. So lange das russische Selbstverständnis das eines Global Players im europäischen Maßstab ist, lässt sich die Rolle nicht auf die eines Nachbarstaates beschränken.
Im zurückliegenden Jahrzehnt der osteuropäischen Transformation und der Erlangung vollständiger nationaler Unabhängigkeit gelang es Ungarn, der Slowakei und allen voran Polen, historische Erblasten, wie Grenz- und Minderheitenprobleme, mit ihren Nachbarn zu lösen, bilaterale Abkommen über gutnachbarschaftliche Zusammenarbeit zu unterzeichnen und eine strategische Partnerschaft zwischen Polen und der Ukraine zu entwickeln, die der Bezeichnung tatsächlich gerecht wird. Dementsprechend ist Polen darum bemüht, dass der Beitritt zur EU die Beziehungen zur Ukraine nicht verschlechtert. Trotz aller anderslautenden Absichtserklärungen befürchtet Kiew aber einen neuen Eisernen Vorhang, bestehend aus zunehmenden sozioökonomischen Ungleichgewichten, Handelsbarrieren und Einschränkungen im grenzüberschreitenden Personenverkehr. Da die Kandidatenstaaten sowie ihre strategischen Nachbarn im Osten eine neue Trennlinie um jeden Preis vermeiden wollen, plädieren sie für eine Fortschreibung des europäischen Erweiterungsprozesses. Aus der Perspektive Warschaus sollte der Ukraine mittelfristig eine Beitrittsperspektive zur EU eingeräumt werden.
Bei den gesamteuropäischen Herausforderungen stößt das Instrument der Erweiterung an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Sowohl die EU-interne Integrationsfähigkeit als auch die Entwicklung in Russland, der Ukraine, Moldova und Belarus widersprechen einer kurz- oder mittelfristigen Beitrittsperspektive. Als Konsequenz ihrer Erweiterung ist die Union daher gefordert, eine für die Anrainerstaaten attraktive und für die Union realistische Nachbarschaftspolitik zu entwickeln. Nicht zuletzt werden Sicherheit und Stabilität innerhalb der künftigen erweiterten EU auch davon abhängen, inwieweit es der Union gelingt, die Lage in ihren direkten Anrainerstaaten zu stabilisieren, Risiken und unerwünschte Nebeneffekte der Osterweiterung auf die Nachbarstaaten zu vermeiden und das proklamierte Ziel, keine neuen Trennlinien aufzubauen, in die politische Praxis umzusetzen. Erforderlich ist eine strategieweisende Debatte, in welchem Rahmen und mit welchen Akteuren das künftige große Europa gestaltet werden kann. Es wird ein Paradigmenwechsel von der Vollmitgliedschaft bei der Europäischen Union hin zu neuen strategischen Partnerschaften entstehen. Die neue Nachbarschaftspolitik ist ein wichtiger Ansatz dazu.
Das Grundkonzept der Nachbarschaftspolitik
Bereits im Vorentwurf für eine Europäische Verfassung vom Oktober 2002 kam der Konvent internen Interessen der EU sowie dem Druck von außen nach, der Nachbarschaftspolitik verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen. In Teil I, Titel IX, Artikel 42 war daher vorgesehen, den besonderen Beziehungen der Union zu ihren Nachbarn eine rechtliche Grundlage zu geben (Europäischer Konvent: Vorentwurf des Verfassungsvertrags, Titel IX: Die Union und ihre Nachbarn, CONV 369/02). Im Verfassungsentwurf wurde festgeschrieben, dass die Europäische Union besondere Beziehungen zu den Staaten in ihrer Nachbarschaft entwickeln und einen Raum der guten Nachbarschaft und des Wohlstandes aufbauen soll. Zur Umsetzung kann die Union mit den betreffenden Ländern spezielle Abkommen schließen und durchführen. Diese Abkommen können gegenseitige Rechte und Pflichten umfassen und die Möglichkeit zu gemeinsamem Vorgehen eröffnen. Zur Durchführung der Abkommen finden regelmäßig Konzertierungen statt (Europäischer Konvent: Vermerk des Präsidiums für den Konvent, Titel IX: Die Union und ihre Nachbarn, Brüssel, CONV 649/03).
Damit bildet der Entwurfstext einen lockeren, aber kohärenten Rahmen für die Entwicklungen von Nachbarschaftsbeziehungen mit einzelnen Ländern oder Gruppen von Ländern. Er begründet keine neuen Verpflichtungen, erkennt jedoch erstmals die Bedeutung der Nachbarstaaten für die Union an. Der Verweis auf die gegenseitigen Rechte und Pflichten sowie die im letzten Satz vorgesehene regelmäßige Abstimmung der Zusammenarbeit im gegenseitigen Interesse erinnert an die Verfahrensweisen, die schon im Rahmen der Assoziierungsabkommen zur Anwendung kamen, obwohl die EU den Nachbarstaaten mit diesem Passus keine Assoziierungsperspektive einräumt. Die Vertreter des Europäischen Konvents erkannten zwar von Anfang an den Handlungsdruck für eine neue Nachbarschaftspolitik, bleiben in der Ausformulierung der Instrumente aber vage und zum Teil auch widersprüchlich. Normativ gesehen, werden die Nachbarstaaten als eine eigene Kategorie bezeichnet, bei der inhaltlichen Ausformulierung griff der Konvent jedoch indirekt auf Instrumentarien der Assoziierungspolitik zurück, ohne dabei aber weitergehende Zusagen machen zu wollen.
Interessenkonflikte und Koalitionen im Konvent
Eine kontroverse Debatte führte der Konvent darüber, ob die Nachbarschaftspolitik überhaupt und wenn, in welcher Form in die Verfassung aufgenommen werden sollte. So schlugen Vertreter unterschiedlicher Altmitgliedstaaten, wie etwa der deutsche Außenminister Joschka Fischer oder einige finnische Vertreter, Vertreter der südlichen EU-Mitglieder sowie Irlands und Großbritanniens vor, den Nachbarschaftsartikel nicht im ersten Teil der Verfassung, sondern im dritten Teil unter den Politikbereichen der Europäischen Union, am besten unter europäischer Außenpolitik im allgemeinen zu subsumieren. Diese Position wurde von wichtigen Repräsentanten der Kandidatenstaaten, wie der polnischen Regierungsvertreterin Danuta Hübner sowie den beiden slowakischen Regierungsvertretern Ivan Korcok und Juraj Migas geteilt (Europäischer Konvent: Reaktionen auf den Entwurf von Artikel 42 (Die Union und ihre Nachbarn) - Zusammenfassende Darstellung, Brüssel, den 14. April 2003 (16.04) (OR. en), CONV 671/03) sowie die Änderungsvorschläge für die Artikel des Verfassungsvertrages.
Eine zweite Grundsatzdebatte entstand zu der Frage, ob der Europarat und andere internationale Organisationen, in denen die osteuropäischen Nachbarstaaten selbst schon Mitglieder sind, zur Gestaltung der Nachbarschaftsbeziehungen beitragen sollen. Danuta Hübner, eine Reihe von Parlamentariern aus EU-Mitgliedstaaten und die Parlamentariergruppe des Europäischen Parlaments befürworteten dies und forderten eine entsprechende Verankerung in der Verfassung. Mit dem Verweis auf den Europarat implizit verbunden ist die Absicht, die Nachbarstaaten dezidiert auf europäische Normen und Grundwerte, wie die Einhaltung von Solidarität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten, zu verpflichten. Explizit forderte eine Reihe von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, dass dies Bestandteil der Nachbarschaftsklausel werden sollte. Basierend auf der Vorstellung, europäische Normen zum Grundbestandteil der Nachbarschaftspolitik zu machen, forderte Danuta Hübner wiederum eine Differenzierung der Nachbarschaftspolitik nach einzelnen Ländern entsprechend ihres Entwicklungsstandes. Dabei verwies sie auf die Formulierungen in Artikel X des Vorentwurfs des zweiten Teils, wonach die EU grundsätzlich all jenen Staaten offen steht, die ihre Werte teilen und umsetzen wollen. Dieser Vorstoß ist als Versuch zu werten, zwischen Staaten, deren Regierungen grundsätzlich von europäischen Normen abweichen (Belarus) oder die kein Interesse an einem Beitritt zur Union haben (Russland) sowie Staaten, deren normatives Ziel der Beitritt zur Union ist (Ukraine, Moldova), zu unterscheiden. Vor allem für Polen liegt es im nationalen Interesse, das gute Verhältnis zum ukrainischen Nachbarn auch nach dem EU-Beitritt beizubehalten.
Ein Teil der Änderungsvorschläge verkörperte Partikularinteressen ihrer jeweiligen Protagonisten. So schlug Jens-Peter Bonde, dänischer Abgeordneter im Europäischen Parlament, vor, dass die Nachbarschaftspolitik auch für Staaten gelten solle, die aus der EU ausgetreten sind - womit er Grönland meinte, das für Dänemark von besonderem Interesse ist. Die Beobachter des Ausschusses der Regionen forderten, dass der Paragraph zur Nachbarschaftspolitik auch einen Passus zur grenzüberschreitenden Kooperation enthalten solle. Jozsef Szajer, Vertreter des ungarischen Parlaments, wollte den ethnischen Minderheiten, die in den angrenzenden Nachbarstaaten leben, besondere Aufmerksamkeit widmen und kam damit den nationalen Interessen in Bezug auf die ungarische Minderheit in der Ukraine nach. Ähnliche Interessenlagen bestehen in fast allen mittelosteuropäischen Staaten.
Neben den tatsächlich geführten Kontroversen über die Nachbarschaftspolitik wurden einige zentrale Fragen in den Änderungsvorschlägen des Konvents bewusst oder unbewusst ausgeklammert. Es existieren keine schriftlichen Eingaben zu der Frage, welche territoriale Reichweite die Nachbarschaftspolitik haben soll. Ist darunter in erster Linie der Raum der neuen Nachbarschaft in Osteuropa zu verstehen oder zählen die Mittelmeeranrainer ebenfalls zu den Nachbarstaaten? Aus dem Faktum, dass einige Konventsmitglieder Bezug auf die Mitgliedschaft im Europarat genommen haben, kann auf eine Konzentration auf Osteuropa geschlossen werden.
Andererseits hat die Europäische Kommission in ihrer am 11. März 2003 an den Rat und das Parlament übergebenen Mitteilung "Größeres Europa - Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn" die territoriale Reichweite der Nachbarschaftspolitik unter Einbeziehung des Mittelmeerraumes weiter gefasst (Europäische Kommission: Wider Europe - Neighbourhood: A New Framework for Relations with our Eastern and Southern Neighbours, COM(2003) 104 final). Der zweite sensible Aspekt, der nur andeutungsweise in den schriftlichen Änderungsvorschlägen aufgegriffen wird, ist die Frage nach einer möglichen künftigen Beitrittsperspektive für beitrittswillige und -fähige Staaten. Die Beitrittsabsichten der Ukraine und die polnische Unterstützung dafür sind aber Hauptgründe, warum es überhaupt zu einer europäischen Nachbarschaftsdebatte kam.
Die Verfassungslösung des Konvents und deren Reichweite
In dem letztendlich verabschiedeten Text für eine europäische Verfassung kam es nur zu einer einzigen Änderung in Bezug auf den Entwurf vom April 2003. Eingefügt wurde der Passus, dass die Nachbarschaftspolitik auf den Werten der Europäischen Union aufbaut. Alle anderen Ergänzungsvorschläge blieben unberücksichtigt, was vor allem die Verschiebung des Nachbarschaftsartikels in den zweiten Teil der Verfassung betrifft.
Positiv gesehen haben die europäischen Entscheidungsträger im Konvent die Bedeutung der Nachbarschaftspolitik erkannt und gewürdigt. Allerdings ist grundsätzlich fraglich, ob eine Verfassung tatsächlich zur Lösung derartiger außenpolitischer Herausforderungen in der Lage ist. So bleiben die nur angerissenen Instrumente sowie der territoriale Bezugsrahmen für die Nachbarschaftspolitik zu ungenau, um tatsächliche Problemlösungen bieten zu können. Mittelfristig ist die Union gefordert, genauer zu definieren, was hinsichtlich der institutionellen und funktionellen Zusammenarbeit unter "besonderen" Beziehungen zu verstehen ist. Bei der Implementierung daraus abgeleiteter Politiken gilt es zudem, territoriale Besonderheiten zwischen den neuen osteuropäischen Nachbarn und den bisherigen Mittelmeeranrainern zu berücksichtigen.
Zeitlich verzahnt mit den Debatten im europäischen Konvent haben auch die europäischen Institutionen begonnnen, neue Lösungen für die Nachbarschaftspolitik zu erarbeiten. Seit dem Jahr 2002 kursierten in den Außenministerien einiger Hauptstädte Entwürfe über eine zukünftige europäische Nachbarschaftspolitik. Im November 2002 beschloss der Rat der Außenminister, die Beziehungen zu den Nachbarstaaten auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen (General Affairs & External Relations Council: New Neighbours Initiative). Darauf aufbauend veröffentlichte die Kommission im März 2003 das Konzept für ein "Größeres Europa". Als normatives Ziel wurde manifestiert, Trennungslinien in Europa vermeiden sowie Stabilität und Wohlstand innerhalb der neuen Grenzen der Union und darüber hinaus fördern zu wollen. Dieses Konzept schließt einen "Ring befreundeter Staaten" ein, der sich von Russland über die unmittelbaren Nachbarn in Osteuropa bis hin zum gesamten Mittelmeerraum erstreckt. Um mit den Worten von Romano Prodi zu sprechen, enthält das Konzept "sharing everything with the EU but institutions" (Romano Prodi: A Wider Europe - A Proximity Policy as the key to stability). Präziser ausgedrückt stellt die Union den Nachbarstaaten die Teilnahme an den vier Grundfreiheiten der Union, dem freien Verkehr von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personen in Aussicht. Allerdings handelt es sich dabei nur um Optionen.
Wichtiger für die Umsetzung sind die einzelnen Schritte zur Implementierung. Geplant ist ein differenziertes, schrittweise und mit Maßstäben für die Maßnahmen, die die EU von ihren Nachbarn erwartet, ausgestattetes Konzept. Ausgerichtet an inneren Reformfortschritten und unterstützt durch europäische Förderprogramme soll diese Politik mittelfristig auf die Unterzeichnung so genannter Nachbarschaftsabkommen hinauslaufen. Der Vorschlag der Kommission könnte also ein Schritt zur Umsetzung des Verfassungspostulats sein. Nach dem Europäischen Rat von Thessaloniki am 19.-20. Juni 2003 unternahm die Kommission weitere Schritte zur Ausgestaltung und Umsetzung der Nachbarschaftspolitik. Die Kompetenzen für die Nachbarschaftspolitik wurden zum Teil an den Erweiterungskommissar Günter Verheugen übertragen. Zusammen mit der Generaldirektion Außenbeziehungen obliegt es Verheugen, die im "Größeren Europa" vorgesehenen nationalen Aktionspläne auf bilateraler Ebene auszuarbeiten. Die neue Task Force unterstreicht die Bedeutung der Nachbarschaftspolitik, indem ein Teil der Kompetenzen an die Generaldirektion Erweiterung übertragen werden und erste Schritte zur Umsetzung vorgesehen sind. Bedeutet dies einerseits eine Kompetenzsteigerung, droht andererseits aber die Unklarheit in der inhaltlichen Zuordnung zwischen Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik zuzunehmen.
Die Reaktionen aus den Kandidatenstaaten und den Nachbarstaaten - vor allem aus der Ukraine und Moldova - verdeutlichen, dass die bisherigen europäischen Lösungsvorschläge nicht als befriedigende Antwort auf die Herausforderungen aus der Region angesehen werden (Victor Zamjatin: ES prinjal "sosedskuja politiku" Ukrainskij vopros ostaetsja bez otveta, in: Den' (Kiev), Nr. 45, 13.3.2003, und Antoliy Zlenko: European Policy of Ukraine: Problems and Perspectives, Address of Minister for Foreign Affaires of Ukraine Mr. Anatoliy Zlenko to the Czech Foreign Policy Association, Prag 24.4.2004). Insbesondere die polnische und die ukrainische Agenda richten sich nach wie vor auf den Beitritt Kiews zur Europäischen Union.
Als eigenen Beitrag zu diesem westeuropäischen Diskurs stellte das polnische Außenministerium im Januar 2003 ein Non-paper über die Regelung der künftigen Nachbarschaftsbeziehungen vor (Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Poland, Non-paper, Warsaw 2003). Als mittelfristige Perspektive wird vorgeschlagen, einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum und politischen Zusammenhalt zu schaffen. Dieses Konzept würde den zwischen der EU und der Russischen Föderation diskutierten gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialraum territorial um die Ukraine, Moldova und Belarus erweitern und inhaltlich bis hin zur Assoziierung vertiefen. Innerhalb dieses Rahmens sollen die Nachbarschaftsbeziehungen die jeweiligen regionalen Besonderheiten berücksichtigen. Für die EU-ukrainischen Beziehungen hieße dies, eine langfristige Beitrittsperspektive zur Union zu eröffnen. Mit Belarus soll jenseits von Regierungskontakten die Zusammenarbeit mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformvertretern gestärkt werden. Als Mechanismen für die Zusammenarbeit ist für alle Staaten gleichermaßen ein intensivierter politischer Dialog, die Unterstützung der Transformation, eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Energie, innere Sicherheit und Justiz sowie in sicherheitspolitischen Fragen gedacht. Die technische Hilfe und die Unterstützung bei demokratischen Reformen sollen mit dem Entwicklungsstand der Transformation konditionalisiert werden, d.h. dass Umfang und Art der Unterstützung an die Fortschritte bei den Reformen in den jeweiligen Staaten gekoppelt wird. Der polnische Vorschlag verdeutlicht, dass nach der Osterweiterung mit einer zunehmenden Lobby für die Nachbarschaftspolitik zu rechnen ist.
Fazit und offene Fragen
Normative Zielsetzung der Europäischen Union ist es, die Entstehung neuer Trennlinien zu vermeiden. Diese Handschrift trägt auch der Nachbarschaftsartikel im Verfassungsentwurf. Insgesamt betont die EU sowohl ihre Entschlossenheit, neue Trennlinien in Europa zu vermeiden sowie Stabilität und Wohlstand innerhalb der neuen Grenzen der EU und darüber hinaus zu fördern. Allerdings ähnelt die Nachbarschaftspolitik einem halboffenen Konzept, da einerseits neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit geboten werden, gleichzeitig aber auch neue Trennlinien gezogen werden müssen. Die Rhetorik ist überwiegend beitrittsoffen, ohne dass dabei verbindliche Zugeständnisse gemacht werden. Die benötigten Lösungen gehen zudem über den EU-Rahmen hinaus und werfen letztendlich die Frage nach neuen gesamteuropäischen Zielen und Konzepten zur Problemlösung auf (Iris Kempe und Wim van Meurs: Toward a Multi-Layered Europe, Prospects and Risks Beyond EU Enlargement).
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