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Der Entwicklungspolitik fehlt der rote Faden

WTO-Ministertreffen in Cancún

11.09.2003 · Peter Thiery



Für ihr fünftes Ministertreffen haben sich die 144 WTO-Staaten Mitte September im mexikanischen Cancún eine umfangreiche Agenda vorgenommen. Die Themen reichen von der leidigen Agrarfrage und Industriezöllen über geistige Eigentumsrechte und den Handel mit Dienstleistungen bis hin zu den "Singapore Issues", die eine weitere Ausweitung der WTO-Kompetenzen in den Bereichen Investitionen und öffentliches Auftragswesen beinhalten. Das Treffen führt die Doha-Verhandlungsrunde der WTO fort, die 2001 begann und sich als Entwicklungsrunde versteht.

Nach dem 11. September 2001 schien es, als würde die Entwicklungsfrage einen prominenten Platz auf der weltpolitischen Agenda einnehmen, da Armut und Unterentwicklung als Nährboden für Terrorismus galten. Dies versprach mit einer weltweiten Entwicklungsoffensive zusammenzulaufen, die 2000 in der Verkündung der "Millennium Development Goals" gegipfelt war. Die Halbierung der absoluten Armut, die Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel und Grundbildung für alle Kinder – jeweils bis 2015 – waren solch hehre Ziele. Von diesen scheint die Welt im Jahr 2003 jedoch wieder weit entfernt zu sein: Die Verhandlungen im Vorfeld des Cancún-Treffens, die meist informeller Natur waren und die Mehrzahl der Entwicklungsländer ausschlossen, offenbarten einmal mehr, dass es im Kern um nichts anderes als wirtschaftliche Interessenpolitik geht. Gewiss stellt die WTO nur einen Baustein von mehreren für eine internationale Entwicklungsarchitektur dar. Dennoch zeigt der Verlauf der Doha-Runde deutlich, dass die Entwicklungspolitik insgesamt stagniert.

Diese Misere zeigt sich nicht einmal in erster Linie dadurch, dass die staatliche Entwicklungshilfe der OECD-Länder, die ohnehin lediglich ein Siebtel der Agrarsubventionen umfasst, wieder rückläufig ist, und sich so alleine das "Jahrtausendziel" der Halbierung der Armut schon heute als völlig unrealistisch erweist. Das eigentliche Manko liegt darin, dass der Entwicklungspolitik – verstanden als kombinierte Maßnahmen zur Beseitigung des dramatischen Nord-Süd-Gefälles – der rote Faden fehlt. Vielmehr bietet sie das Bild eines zerfaserten und feudalisierten Politikfelds, das auf nationaler wie internationaler Ebene von gegenläufigen Kalkülen durchzogen ist. So aber können die eigentlichen Übel der Unterentwicklung nicht bei der Wurzel gepackt werden, die in internen wie internationalen Strukturverzerrungen liegen.

Zu ihrer Behebung ist eine globale Strukturpolitik notwendig, wie sie die Enquete-Kommission des Bundestages zur Globalisierung der Weltwirtschaft richtigerweise propagiert hat und die Willi Brandts Idee einer Weltinnenpolitik ähnelt. An erster Stelle wären hier die OECD-Länder selbst gefragt, die an den Schalthebeln der Weltwirtschaft sitzen und auf den Abbau von Handelsprotektionismus, eine ausgewogene internationale Wettbewerbsordnung, Regeln zur Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte sowie eine nachhaltige Armutsbekämpfung hinwirken könnten. Im Gegenzug sind die Entwicklungsländer gefragt, sich auf die Prinzipen der "Good Governance" zu verpflichten. Verknüpft sein müsste dies mit dem seit Jahren propagierten Prinzip der Selbstverantwortung ("Owner-ship"), das ihnen Spielraum für innovative Politiken innerhalb eines marktwirtschaftlich-demokratischen Korridors ließe. Die Gefahr besteht, dass Cancún hier falsche Zeichen setzt und der Entwicklungsaspekt der Doha-Runde verloren geht.


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