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Die Europäische Dimension der Bundeswehr

Verteidigungspolitische Richtlinien 2003

26.05.2003 · Thomas Bauer



Am 21. Mai hat Verteidigungsminister Struck die lang erwarteten verteidigungspolitischen Richtlinien im Kabinett vorgelegt. Sie sollen das Aufgabenspektrum der Bundeswehr neu definieren und die deutschen Streitkräfte zukunftsfähig machen. Nach Sparprogrammen und Standortdiskussionen, nach elf Jahren ohne offizieller Weisung und ohne Konzept sind die Richtlinien für Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr nun endlich wieder klargestellt worden. Die Veröffentlichung dieser Grundlagen war eine schwere Geburt. Bruchstückhaft waren einzelne Sätze und Passagen in den letzten Wochen an die Medien weitergeben worden. Ein beliebtes Mittel um Reaktionen bereits im Vorfeld abschätzen zu können und zur Not noch Änderungen vorzunehmen. Die ersten Reaktionen auf das Papier begrenzten sich wie erwartet auf eine Debatte um den Fortbestand der Wehrpflicht, den möglichen Einsatz deutscher Streitkräfte im Inneren und die drohenden Standortschließungen.

Dabei wird die europäische Dimension dieser Richtlinien verkannt. So sehr der Unmut über Standortentscheidungen in einigen Kommunen verständlich ist, und so sehr auch die emotional geführten Diskussionen um die Wehrpflicht nachzuvollziehen sind, sie werden dem wahren Leistungspotential des Papiers nicht gerecht. Weit über die Hälfte der 95 Richtlinien beschäftigen sich direkt oder indirekt mit europäischen, transatlantischen und globalen Verpflichtungen der Bundeswehr. Aufgaben und Auftrag deutscher Streitkräfte werden eng an die Bestimmungen des Völkerrechts und den Grundsätzen der Vereinten Nationen geknüpft, ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr - mit Ausnahme von Evakuierungs- und Rettungsoperationen - außerhalb eines UN-, NATO- oder EU-Rahmens gar ausgeschlossen. Ausrüstung und Struktur sollen in Zukunft verstärkt an den Einsatzbedingungen multinationaler Operationen und globalen Krisenmanagements ausgerichtet werden.

Dies alles bricht mit dem traditionellen Bild der Bundeswehr. Die Landesverteidigung ist nicht mehr primärer Auftrag, die Waffen und rüstungstechnologischen Grundlagen dieses in der Vergangenheit behafteten Szenarios nicht mehr dienlich. Vielmehr noch, das Festhalten an alten Strukturen, Depotbeständen und Standortdiskussionen behindert die Reform der Bundeswehr und verzögert Deutschland auf dem Weg zu zukunftsfähigen Streitkräften.

Deutlich herauszulesen ist in den gesamten Richtlinien das finanzielle Dilemma des Verteidigungsministers. Aufgaben und Auftrag haben sich demnach auch an den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu orientieren, doch die sind nicht gerade in großem Umfang vorhanden. Damit überhaupt ausreichend finanzielle Mittel eingesetzt werden können, hatte der Generalinspekteur bereits im Februar eine Liste mit den zu streichenden Rüstungsprojekten und vorzeitig außer Dienst zu stellenden Waffensystemen vorgelegt.

Doch Deutschland steht nicht alleine mit leeren Kassen bei gleichzeitig immer zahlreicheren und längeren Auslandseinsätzen da. Deswegen verweist Minister Struck auch in einem den Ressourcen gewidmeten Kapitel auf die Notwendigkeit einer effizienten europäischen Rüstungskooperationspolitik. Vorrang haben nunmehr nur noch die Projekte, die im europäischen bzw. transatlantischen Kontext entwickelt werden. Und diese Liste ist lang, vielleicht zu lang, bedenkt man die beständigen haushalts- aber auch parteipolitisch motivierten Verzögerungen bei den einzelnen Projekten wie etwa dem Transportflugzeug A-400M, den Helikoptern NH-90 und Tiger, sowie der Bewaffnung des Eurofighters.

Die Einbettung Deutschlands in ein kollektives Sicherheitssystem ist in den Richtlinien überall präsent. Interessant ist dabei vor allem, dass die Idee einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion, die durch die Vier-Länder-Initiative unter Beteiligung Berlins erst kürzlich wieder aufgebracht wurde, erst nach dem eindeutigen Votum zugunsten der NATO auftaucht. Auf die Gefahr einer Duplizierung von Strukturen und Programmen durch die EU wird explizit hingewiesen, deren Vermeidung als ausdrückliches Ziel Deutschlands betont.
Die Verteidigungspolitischen Richtlinien haben die Bundeswehr dort hingestellt, wo sie bereits seit Jahren steht, nämlich als Partner in multinationalen Einsätzen zur Friedenssicherung oder bei humanitärer Hilfe. Die europäische Dimension ist allein schon durch die Präsenz mehrer tausend Soldaten auf dem Balkan gegeben gewesen.

Der bindende Charakter der Richtlinien hat deswegen zwei bedeutende Effekte: Erstens müssen sich auch die letzten Altgedienten an eine Bundeswehr als Teil einer europäischen Sicherheitsarchitektur gewöhnen und ihren Widerstand gegen die Umstrukturierung zur Verfestigung dieser Zugehörigkeit aufgeben. Zweitens besitzen die Militärs in den Planungsstäben nun auch die offizielle Grundlage für Forderungen nach besseren und vor allem sicheren Waffensystemen. Der Verweis auf Haushaltslöcher dürfte nun nicht mehr so leicht zur Ablehnung teurer aber notwendiger System wie Transportflugzeuge, Drohnen oder Kampfhubschrauber führen. Der Dienstherr nimmt sich durch die verteidigungspolitischen Richtlinien selbst in die Pflicht. Wer Aufgaben einfordert muss auch für die Voraussetzung zu deren Realisierung sorgen, vor allem im europäischen und transatlantischen Rahmen.

Die europäische Dimension der Bundeswehr ist in den Richtlinien fest verankert. Diese gehen sogar soweit, dass in einigen Punkten die Errichtung europäischer Streitkräftestrukturen bereits erkennbar ist. In den Schlussfolgerungen für die Bundeswehr wird der Verzicht auf bestimmte Fähigkeiten für deutsche Streitkräfte angemahnt, sollten diese durch Partnerländer bereits ausreichend abgedeckt sein. "Die Streitkräfte sind deutlicher daran auszurichten, dass ihre Fähigkeiten, Mittel und Strukturen mit denen ihrer Partner harmonisiert sind und dadurch doppelte Kapazitäten vermieden werden". Die logische Schlussfolgerung kann nur in der Europäisierung nationaler Streitkräfte liegen. Die Richtlinien geben den Weg vor. Am Ende kann dies nur die Bildung einer europäischen Armee bedeuten.


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