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Bilanz des Europäischen Rates von Barcelona

15. und 16.03.2002 in Barcelona

12.04.2002 · Almut Metz und Claus Giering



1. Der "Lissabon-Prozess" - auf dem Weg zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt?

Auf dem Gipfel von Lissabon im März 2000 haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten Raum der Welt fortzuentwickeln. Die Fortschritte des Lissabon-Prozesses werden seitdem auf den Frühjahrstagungen des Europäischen Rates überprüft.

Beschäftigungspolitik

Auf dem Beschäftigungsgipfel von Lissabon 2000 hat man sich zum Ziel gesetzt, die Beschäftigungsquote bis 2010 auf 70 Prozent zu erhöhen. Die Fortschritte sind jedoch ernüchternd. Bisher konnte lediglich eine Erhöhung der Quote von 63,2 Prozent auf 63,9 Prozent erreicht werden. Dies liegt auch daran, dass sich unter anderem Frankreich und Deutschland schwer tun mit einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, während dies beispielsweise von Spanien, Italien und Großbritannien regelmäßig gefordert wird. Die Umsetzung der beschlossenen Strategien zur Flexibilisierung lässt vielerorts auf sich warten. Die Methode der "offenen Koordinierung" wird jedoch zur Farce, wenn Ziele - z.B. eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent - genannt werden, die nationalen Regierungen diese aber nicht konsequent verfolgen. Dieser mangelnde Umsetzungsdruck bei der offenen Koordinierung wirft die Frage auf, ob sie als neue Methode außerhalb der Verträge der Integration überhaupt dienlich sein kann oder diese im Gegenteil bremst. Erfolgsmeldungen der offenen Koordinierungsmethode stehen bisher noch aus, "der Fortschritt war überall nicht schnell genug", so die ernüchternde Einschätzung der Kommission. Zwar bekennt sich die EU dazu, die Öffnung der Arbeitsmärkte in Einklang mit sozialer Gerechtigkeit bringen zu wollen, die Schlussfolgerungen von Barcelona enthalten zur Sozialagenda aber lediglich eine Aufzählung allgemeiner Ziele, wie z.B. die Reform der Rentensysteme. Die soziale Sicherheit scheint in der EU einem wirtschaftsliberalen Kurs derzeit den Vortritt lassen zu müssen.

Liberalisierung der Energiemärkte

Eines der Hauptthemen von Barcelona war die Frage der Liberalisierung der Energiemärkte. Dagegen hatte aber Frankreich erhebliche Vorbehalte. Bis zum Jahr 2004 sollen nun gewerbliche Kunden in Europa ihr Versorgungsunternehmen für Elektrizität und Erdgas frei wählen können. Barcelona bleibt mit dieser Entscheidung weit hinter dem angestrebten Ziel der Kommission und der spanischen Ratspräsidentschaft zurück, den Energiemarkt ab 2003 zu öffnen, und dies auch für Privatkunden. Frankreich hat auf seine nationalen Interessen gepocht und sich geweigert, seine öffentlichen Dienstleistungsmonopole im Energiebereich aufzugeben. Damit hat erneut das Veto eines Mitgliedstaates das Vorankommen der 15 verhindert. Der französische Präsidentschaftswahlkampf war auch in Barcelona präsent.

Koordinierung der Wirtschaftspolitik

Auch dazu brachte der Gipfel nicht mehr als ein Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs zu größerer wirtschaftspolitischer Koordinierung. Die Kommission wird auf der Frühjahrstagung des Rates 2003 Vorschläge zu einer Intensivierung der wirtschaftspolitischen Abstimmung vorlegen.

Bildungspolitik

Der Europäische Rat strebt an, dass "die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung bis 2010 zu einer weltweiten Qualitätsreferenz werden" (Schlussfolgerungen des Vorsitzes). Das "Arbeitsprogramm für 2010", dessen Eckpfeiler die Verbesserung der Qualität von Bildung, die Erleichterung des Zugangs für alle und die Öffnung gegenüber der Welt darstellen, soll bis zur Frühjahrstagung des Rates 2004 einer ersten Evaluierung unterzogen werden.

Welthandel

Kritisiert haben die Staats- und Regierungschefs das Vorhaben der USA, künftig Zölle auf Stahlimporte zu erheben. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf verständigt, Beschwerde bei der WTO einzureichen.

Nachhaltigkeitsstrategie

Die EU bekennt sich zu ihrer 2001 in Göteborg verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie. Bis zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im September 2002 wollen die Mitgliedstaaten das Kyoto-Protokoll ratifizieren.

Entwicklungshilfe und Förderung des Mittelmeerraumes
Die öffentliche Entwicklungshilfe soll bis 2006 im EU-Durchschnitt 0,39 Prozent des BSP betragen. Deutschland hat aber wegen der angespannten Haushaltslage bisher einer Erhöhung nicht zugestimmt, weshalb die EU auf dem UN-Gipfel zur Entwicklungshilfe in Monterey vom 18.-22. März 2002 in dieser Frage nicht mit einer Stimme sprechen kann. Innerhalb der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird eine Europa-Mittelmeer-Investitionsfaszilität eingerichtet, die ein Jahr nach ihrer Schaffung überprüft werden soll und die in einer auf die Bedürfnisse der Mittelmeer-Partner eingerichteten Tochter-Bank in Mehrheitsbesitz der EIB münden könnte.

2. Institutionelles Fragen

Arbeitsweise des Rates

Der Generalsekretär des Rates, Javier Solana, hat ein Exposé zur Verbesserung der Arbeitsweise des Rates vorgestellt. Ziel ist eine Steigerung der Effizienz und eine größere Transparenz des Rechtsetzungsprozesses. Der spanische Vorsitz soll auf dieser Grundlage auf dem Gipfel in Sevilla (21./22. Juni 2002) konkrete Reformmaßnahmen vorstellen. In einem Gemeinsamen Brief hatten Gerhard Schröder und Tony Blair bereits vor dem Gipfel von Barcelona Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsweise des Rates ohne eine Vertragsreform gemacht. Der Rat soll sich künftig wieder auf seine eigentliche Aufgabe, Impulse für die Aktivitäten der EU zu geben, beschränken. Darüber hinaus sollten Entscheidungen im Rat mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden.
Im Nachganz zu Barcelona hat Schröder die Idee lanciert, auch in Deutschland das Amt eines Europaministers oder Europastaatssekretärs zu schaffen, um deutsche Interessen besser als bisher im Allgemeinen Rat durch den Außenminister koordinieren zu können. Mögliche Änderungen werden aber frühestens nach der Bundestagswahl beschlossen.

3. Außenpolitik

Der Nahe Osten

Die Staats- und Regierungschefs haben eine Erklärung zum Nahen Osten angenommen, in der sie Israel und die Palästinenser auffordern, Maßnahmen zum Ende der Gewalt einzuleiten. Die EU setzt sich erneut für einen lebensfähigen palästinensischen Staat ein. Fraglich ist jedoch, ob die Tagungen des Europäischen Rates ein geeignetes Forum darstellen, um über außenpolitische Krisen zu beraten. Die mittlerweile zahlreichen Erklärungen der Europäischen Räte zum Nahen Osten enthalten regelmäßig Bekenntnisse zum Frieden, ihnen mangelt es aber an konkreten von der EU zu ergreifender Maßnahmen. Wie bereits in der Vergangenheit überlagerten die Konsultationen zum Nahen Osten die eigentliche Agenda des Gipfels, die Wirtschafts- und Sozialfragen. Substantielle Fortschritte im Rahmen der GASP wurden dennoch nicht gemacht.

Die drohende Kriegsgefahr im Irak

Auch wenn die Staats- und Regierungschefs nicht offiziell gemeinsam dazu Stellung genommen haben, war die drohende Intervention der USA im Irak ein zentrales Thema in Barcelona. Die kleinen Mitgliedstaaten fürchten, dass die "Großen" - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - untereinander übereingekommen sind, eine punktuelle Intervention der USA gegen Saddam Hussein zu dulden. Erneut tun sich offenbar Gräben zwischen kleinen und großen Mitgliedstaaten in zentralen Fragen auf.

4. Am Rande des Gipfels ...

...löste die "Sonderbehandlung" des deutschen Bundeskanzlers Verwunderung bei einigen Mitgliedstaaten aus. Schröder hatte sich vor den Beratungen mit Kommissionspräsident Prodi zum Abendessen getroffen, um Verstimmungen zwischen Brüssel und Berlin - blauer Brief, Beihilfen, Industriepolitik - auszuräumen. Dieses Treffen soll zur festen Einrichtung werden - eine solche Sonderstellung für Deutschland sehen die übrigen Mitgliedstaaten allerdings äußerst kritisch.

5. Links

Schlussfolgerungen des Vorsitzes zum Europäischen Rat von Barcelona

Zusammenfassung der Ergebnisse auf der Seite der Bundesregierung

Kommentar von europa-digital zu den Ergebnissen des Gipfels


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