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Werner Weidenfeld auf der Konferenz "Das maritime Europa" über den Wandel der globalen Machtarchitektur

06.03.2009 · C·A·P



Die Bedeutung der Meere und der Kategorie des Maritimen wird heute vor allem in der Dimension des Verbindenden und miteinander in Verbindung stehenden wahrgenommen. Als bedeutende Transportrouten sind die Seewege noch immer eine Grundvoraussetzung für die wachsende globale Vernetzung von Menschen, Kulturen und Gütern. Für Europa war zumindest die Ostsee aber auch jahrzehntelang ein kaum zu überwindendes Hindernis, die Fortsetzung des Eisernen Vorhangs, der den Kontinent in Ost und West spaltete. Anlass genug, sich der Bedeutung des Meeres und des Maritimen auf einer mehrtägigen Konferenz zu widmen.


Prof. Dr. Werner Weidenfeld bei seinem Vortrag. Foto: E. Jenniches.

Der Fall der Berliner Mauer, als Symbol für die beginnende gesamteuropäische Einheit, kann als Konsequenz des Modernisierungsdrucks in beiden Machtblöcken gesehen werden. Im Westen bedeutete dies die Überwindung der Eurosklerose mit der Vollendung des Binnenmarktes und den Sprung in das digitale Zeitalter. Jenseits der Grenze vollzog sich eine sukzessive Öffnung gegenüber der internationalen Staatenwelt, die Pluralisierung der Lebenswelten sowie eine tiefgreifende gesellschaftliche Differenzierung. Mit dem Verlust des Wahrheitsmonopols, mussten die totalitären Regime im Osten aber auch ihr Machtmonopol aufgeben und konnten sich so dem Gravitationsfeld des integrierten Teils Europa nicht mehr entziehen.

Dieser Transformationsprozess gewann zunehmend an Fahrt und führte im ausklingenden 20. Jahrhundert zu dramatischen Umbrüchen und Zäsuren:

  • Politisch war dieser Prozess geprägt vom Übergang zuvor diktatorisch oder autoritär verfasster Ordnungssysteme hin zu pluralistischen Demokratien;
  • Ökonomisch wurden die sozialistischen Planwirtschaften durch Marktwirtschaften ersetzt, verbunden mit einer massiven Zunahme ausländischer Investitionen und beachtlichen Wachstumsraten in Osteuropa;
  • Aus machtpolitischer Perspektive folgte der Überwindung des Blockgegensatzes die Chance einer umfassenden Einheit Europas.

Die zwei gravierendsten Merkmale dieser Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Einheit waren die Schaffung des Euro als gemeinsame Währung sowie die Osterweiterungen von NATO und EU. Im Rückblick wirken diese Ereignisse, die sich innerhalb weniger Jahre vollzogen haben, wie ein Wimpernschlag der Geschichte. Ein kurzer Augenblick nur der dennoch bis heute nachhallt. 

Neben allen positiven Folgen dieser Zeitenwende, drängten sich bald aber auch die Schattenseiten in den Vordergrund. Mit den eskalierenden Konflikten im ehemaligen Jugoslawien war der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Alte, kulturell historische Prägekräfte, die in der Epoche vor 1989/90 vom Kalten Krieg überlagert worden waren, traten nun wieder offen zu Tage. Eine Wiederkehr der Geschichte und der alten Grenzen zwischen dem katholischen und dem orthodoxen Europa. Zwischen dem osmanischem Erbe in Südosteuropa, dem byzantinisch orientierten Russland und dem ehemals habsburgischen Ostmitteleuropa.


Paneldiskussion. Foto: E. Jenniches.

Zentral bleiben für das politische Profil des Kontinents aber die Erweiterungen von EU und nordatlantischer Allianz. Insbesondere die Union hat sich in den Jahren seit 1995 beträchtlich vergrößert, von damals zwölf auf heute 27 Mitglieder. Weitere acht Staaten, allen voran Türkei, Kroatien und Mazedonien, könnten in den Kreis der EU-Länder aufgenommen werden. Dadurch steigen Heterogenität und Komplexität der Integration, was Europa an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit bringt. Parallel dazu verlaufen unterschiedliche Prozesse der Differenzierung. Einerseits nach innen was sich in unterschiedlichen Mitgliedschaften, etwa in der Eurozone oder dem Schengenraum, ausdrückt. Andererseits eine Differenzierung nach Außen in Form diverser Kooperations- und Assoziierungsformen, beispielsweise die Mittelmeer-Union, unterhalb der Schwelle einer Vollmitgliedschaft. Um angesichts dieser fort schreitende Differenzierung effektive und demokratisch legitimierte Handlungsfähigkeit herzustellen, bedarf Europa eines klaren Orientierungsrahmen dessen Etablierung bislang noch nicht gelungen ist. Der Vertrag von Lissabon könnte diese Lücke schließen.

Darüber hinaus sieht sich Europa mit einer neuen Art der Gefährdung der eigenen Sicherheit konfrontiert, der das Prinzip der Abschreckung nicht mehr gerecht werden kann: Global operierende Terrornetzwerke, die Multiplizierung der Nuklearkonflikte, die Energieversorgung als machtpolitischer Spielball sowie ethnisch oder religiös motivierte Konflikte stellen die EU heute vor neue Herausforderungen. Um sich in dieser neuen Unsicherheit behaupten zu können, muss Europa als Risikogemeinschaft wahrgenommen und daher als Strategiegemeinschaft organisiert werden. Gemeinsame Bedrohungen und Risiken verlangen nach gemeinsamen Lösungsstrategien.

Die europäische Geschichte war seit jeher geprägt vom Versuch die größtmögliche Vielfalt an Mentalitäten und Traditionen zu bewahren und gleichzeitig ein Höchstmaß an räumlicher Dichte herzustellen. Dieses Bestreben führte sowohl zu Spannungen, Konflikten und Kriegen, als auch zu zivilisatorischen Großleistungen. Wenn aber auch in Zukunft die positive Seite dieser europäischen Einigung dominieren soll, dann erfordert dies eine große kulturelle Leistung. Europa ist gut beraten, diese Leistung auch in der heutigen weltpolitischen Lage zu erbringen.


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