Verfassung ist nicht tot
Interview der EU-Nachrichten mit Josef Janning
19.12.2003 · EU-Nachrichten, Nr. 45 / 2003
Josef Janning: Die EU der 25 war nicht imstande, die Machtbalance-Frage institutionell zu lösen. Dem haben sich Staaten verweigert, in besonderer Konsequenz Polen. So stellt sich die Frage, ob dies jemals zu lösen sein wird.
So könnte man konsequenter als bisher auf verschiedene Geschwindigkeiten setzen, eine politische Lösung also. Das wäre für die Kohärenz und die Übersichtlichkeit des Verfassungsentwurfs nur kein gutes Vorzeichen.
Hat sich der Konvent hier verschätzt?
Der Konvent hat sein Mandat durchaus wahrgenommen und die Frage der Machtbalance nicht gänzlich offen lassen wollen. Ich denke nicht, dass er sich grob verschätzt hat. Denn im Grunde wäre eine Einigung auf Basis des Konventsvorschlags bei einer realistischen Betrachtung aller Regierungen möglich gewesen. Sie war zeitweilig auch zum Greifen nahe.
Spielten auch Fragen der Finanzierung der Erweiterung eine Rolle?
Für die nächste Haushaltsperiode bis 2013 wird ohnehin noch einstimmig entschieden. Ich glaube, dass die Überlegungen sehr viel stärker von Statusgesichtspunkten geleitet waren. Für Spanien war es im Kern wichtig, eine Sperrminorität in Verbindung mit einer kleinen Gruppe von Staaten zu haben, die der der großen Staaten entspricht. Deswegen wäre Spanien bereit gewesen, sich mit der Erhöhung des Mehrheitsquorums für die Bevölkerungszahl in der doppelten Mehrheit zufrieden zu geben und dem Konventsentwurf so zuzustimmen.
Polens Staatsprädsident Miller argumentierte, es könne ja nicht sein, dass die vier großen Staaten ein Übergewicht gegenüber den anderen 21 Staaten erhielten. Diese Sicht verkennt allerdings das wirtschaftliche Gewicht und auch das politische "Commitment" der vier Großen. Sie vereinen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, deutlich mehr als die Hälfte des Sozialproduktes sowie der Beiträge zur EU.
Haben sich Polen und Spanien als Fürsprecher der Kleinen positionieren können?
Nein, diese Gruppierungen gibt es so nicht, ebenso wenig wie in Brüssel das im Sommer apostrophierte "alte" und "neue" Europa zu besichtigen war. Eine starke Gruppe bildete sich um Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten. Sie versuchte einen Weg zu finden, wie man politische Mehrheiten erleichtert.
Was geschieht mit der EU-Verfassung?
Wir warten immer noch auf einen echten Zukunftsentwurf. Auf jeder der großen Regierungskonferenzen seit Maastricht haben wir es immer nur geschafft, die Agenden aus der Zeit davor - die "left-overs" - abzuarbeiten. Es ist eine Desillusionierung darüber eingetreten, ob Europa überhaupt fähig ist, den Zeitverzug aufzuholen.
Die Verabschiedung der Verfassung ist in Brüssel gescheitert. Dabei war die Vertagung der Entscheidung durchaus von europapolitischer Weisheit. Es war gut, dass man nicht versucht hat, die unstrittigen Teile zu verabschieden. Weil man auch darauf verzichtet hat, ein zweites Datum zu nennen, bleibt der Entwurf als solcher bestehen. Er wird erst dann wieder auf die Tagesordung kommen, wenn sich die Zustimmungsbedingungen für alle Staaten verbessert haben. Das kann im nächsten Jahr der Fall sein, oder auch erst in einigen Jahren. So ist das Projekt Verfassung zwar angeschlagen, aber nicht tot. Es bleibt Beratungs- und Entschlussgrundlage der Europäischen Union.
Wie wird es weitergehen?
Ich glaube nicht, dass das "Kerneuropa"-Konzept die Alternative ist. "Kerneuropa" bedeutet ja immer eine Art geopolitisch oder historisch begründete Ausschließlichkeit betreiben zu wollen, am Ende mit eigenen Institutionen. Das sehe ich so in Europa nicht. Anders sieht es mit dem "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" aus. Dies ist der Versuch, die Integration über die "verstärkte Zusammenarbeit" voranzutreiben, wie zum Beipiel seinerzeit Schengen. Ich erwarte nun eine Fortsetzung der Initiative im Bereich Verteidigungspolitik und das betrifft ebenfalls nicht alle Staaten in gleicher Weise. Und ich erwarte eine neue Initiative im Bereich Justiz und Inneres.
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