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Dritte Wege und Neue Mitte: Die Inszenierung von Politik

Deutschland-Dialog 2000

10.10.2000 · Forschungsgruppe Deutschland



Der Begriff des "Dritten Weges" steht seit Anfang der 80er Jahre für eine programmatische Fortentwicklung der Sozialdemokratie. Was in Neuseeland seinen Anfang nahm und 1997 durch Tony Blairs "Third Way" in Europa Fuß fassen konnte, gelangte in der Person Gerhard Schröders und der von ihm im Bundestagswahlkampf propagierten "Neuen Mitte" 1998 auch in der Bundesrepublik zu Popularität.

Die Forschungsgruppe Deutschland stellte sich in ihrem zweitägigen "Deutschland-Dialog der neuen Generation" mit Teilnehmern aus der Bundesrepublik und Großbritannien den Suchbewegungen und Antworten im Ländervergleich. Wie der Leiter der Forschungsgruppe Deutschland, Prof. Karl-Rudolf Korte, ausführte, ist allen Dritten Wegen weltweit die Problemanalyse gemein, dass eine Reform des Wohlfahrtsstaates unumgänglich geworden ist. Als Folge verabschieden sich seine Verfechter von ehemals unantastbaren sozialdemokratischen Paradigmen. Stattdessen formulieren sie eine Politik, die – wie es Dr. Heribert Dieter (Universität Duisburg) zusammenfasste – die Gleichheit der Chancen und die Pflichten des Einzelnen ebenso in den Mittelpunkt rückt wie die Absage an eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik.

Wie groß der Mobilisierungseffekt der diffusen Begriffe Dritter Weg und Neue Mitte tatsächlich ist, verdeutlichte Dr. Ulrich Eith (Universität Freiburg). Der SPD gelang es bei der Bundestagswahl 1998, die Neue Mitte der Bürger ohne spezifische Parteiidentifikation für sich zu gewinnen. Wie die SPD-Anhänger zeigten sie sich unzufrieden mit der Arbeitsmarktpolitik der Regierung Kohl und machten den Staat dafür ver-antwortlich, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Zuwächse bei den Angehörigen der Mittelschicht seien, so Eith, taktisch durch die Propagierung der „Neuen Mitte" „gut vorbereitet" gewesen.

Dennoch, so der Befund von Andreas Kießling (CAP), habe die Neue Mitte die Wähler nicht so sehr durch ihre Inhalte, als durch den Aufbau einer bestimmten Erwartungshaltung überzeugen können. Die Beziehung, welche die Neue Mitte 1998 mit der SPD eingegangen ist, sei daher äußerst fragil. Das in Schröder gesetzte Vertrauen könne ihm jederzeit wieder entzogen werden, wenn er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.

Der Dritte Weg sei folglich, so die These von Manuel Fröhlich (Universität Jena), vorwiegend in der Art des "Politik-Machens" definiert. Der Staat im Dritten Weg begreife sich als Sozialinvestor, der Hilfe zur Selbst-hilfe gebe. Die soziale Marktwirtschaft werde mit dem Ziel eines korporatistischen Konsenses rekonstruiert. Unter dem Stichwort der "Teilhabe" müsse jeder Bürger nach seinen Fähigkeiten die vom Staat bereitgestellten Chancen und Möglichkeiten ergreifen. Der "aktivierende Staat" organisiere den gesellschaftlichen Konsens, er beschränke sich auf die Organisation und Moderation des gesellschaftlichen Diskurses und seiner Umsetzung.

Ähnlich wie in der Bundesrepublik ist auch in Großbritannien die neue Wählerschaft der Labour Party nicht unauflöslich an Blair gebunden. Gleichzeitig berge die "big tent"-Politik des britischen Premierministers nach den Worten von Prof. Charlie Jeffery (Universität Birmingham) die Gefahr, die Kernwählerschaft des Old Labour zu entfremden. Innenpolitisch gefährde New Labour ihre in der britischen Verfassungstruktur verankerte Parlamentssouveränität zudem selbst, indem es neue Machtzentren (schottisches und walisisches Parlament, Kommunalparlamente) schaffe. Außenpolitisch hingegen entspreche die Europäische Union nicht der Blairschen Vision einer offenen Marktwirtschaft. Die EU müsse daher erst wie Labour reformiert werden, bevor New Labour der Europäischen Währungsunion beitreten könne.


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