Wer führt wen?
Junge Elite diskutiert beim Deutschland-Dialog 1998 über das Beziehungsgeflecht von Politik und Medien.
24.09.1998 · Forschungsgruppe Deutschland
Die Medien führen die Politiker, indem sie die Auswahlkriterien bestimmen, die eine politische Botschaft nachrichtenfähig machen. Die Politiker führen die Medien, indem sie Ereignisse inszenieren und ihre Botschaften als marktfähige Produkte verpacken. Die Instrumentalisierung geht in beide Richtungen. Zwischen Politik und Medien besteht keine einfache hierarchische Beziehung. Über diesen Befund herrschte trotz der auch kontrovers geführten Diskussion weitgehende Einigkeit.
Der Vergleich der Politikstile von Kohl und Schröder durch Karl-Rudolf Korte (Forschungsgruppe Deutschland und Universität Köln) machte deutlich, daß Politiker sich auch aufgrund der Strukturen der Medienwelt, in der nur bestimmte kommunikative Fähigkeiten den Schritt in das Rampenlicht ermöglichen, immer ähnlicher werden. Die Medien bedingen den Politikstil. Politische Inhalte werden immer weniger transportiert. Fernsehdramaturgie ersetzt Staatskunst. Die Konsequenzen eines dadurch entstandenen integrierenden und moderierenden Politikstils wurden eingehend diskutiert. Einigkeit bestand darin, daß die von vielen Medien zugespitzte Polarisierung zwischen dem "Parteimann Kohl" und dem "Medienmann Schröder" deutlich zu relativieren sei.
Michael Jochum (Bundespräsidialamt) betonte, daß sich ein Politiker nur noch dann um die Inhalte kümmert, wenn die fehlende Substanz die perfekt inszenierte Show zu zerstören droht. Die Substanz interessiert den Politiker nur noch im Hinblick auf ihren Showwert. Korte ergänzte, daß die Inhalte für den Politiker auch dann relevant werden, wenn es an das "politische Eingemachte" geht.
Andreas Kießling (Forschungsgruppe Deutschland) hob in seinem Beitrag zum CSU-Landtagswahlkampf den hohen Grad der Mediatisierung, Professionalisierung und Personalisierung hervor.
In einem kommunikationswissenschaftlichen Beitrag über das Beziehungsgeflecht zwischen Massenmedien, Politik und Publikum hob Patrick Rössler (Institut für Kommunikationswissenschaft, Universität München) die zunehmende Segmentierung des einstigen Massenpublikums hervor. Die Entwicklung geht zum individuellen Nutzer, der sein eigenes agenda-designing betreibt. Wissenschaftlich widerlegt ist inzwischen die Annahme, daß das Internet zu einer Verbreitung der politischen Aktivitäten in der Bevölkerung führt. Das Internet macht nur die Bürger aktiver, die ohnehin schon politisch aktiv sind. Es ist aber ein hervorragendes Instrument zur Förderung der innerparteilichen Kommunikation.
Aus seinen eigenen Erfahrungen berichtend, gab Martin Runge (MdL in Bayern, DIE GRÜNEN) zu bedenken, daß die Regionalzeitungen im Wahlkampf einen höheren Nutzen brächten als die überregionalen Printmedien. Auch er unterstrich, daß Inszenierung und Show die zentralen Elemente eines jeden Wahlkampfes darstellen.
Für Eckart Gaddum (ZDF Hauptredaktion "aktuelles") stellte sich die Leitfrage der Veranstaltung "wer führt wen?" aus der Sicht des Praktikers nicht. Es bestünde, so Gaddum, zwar ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Politikern und Medien, aber in seinem Arbeitsalltag bliebe er von dieser Frage unberührt. Er betonte aber auch, daß die Politiker ihrerseits die größere Macht haben, Themen zu setzen. Journalisten gelinge dies nur in den seltenen Fällen eines erfolgreichen investigativen Journalismus.
Andererseits gehe eine Information innerhalb der Redaktion durch so viele Hände und wird so häufig korrigiert, daß der Politiker nie genau steuern könne, wie die in den Medien veröffentlichte Nachricht letztlich aussieht. Problematisch sei auch das Verhältnis von Distanz und Nähe zwischen Journalist und Politiker. Besteht eine zu große Distanz zum Politiker, kommt der Journalist nicht an die nachrichtenträchtigen Informationen heran und wird für seine eigene Redaktion uninteressant. Besteht eine zu große Nähe, wird der Journalist als Vertrauter des Politikers abgestempelt. Auch in diesem Fall bleibt die Nützlichkeit des Journalisten für die eigene Redaktion gering.
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