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Braucht die EU eine eigene Identität?

C·A·P Studie · Ausgabe 1 · Oktober 2005

Bettina Thalmaier: Braucht die EU eine eigene Identität? C·A·P Studie, Ausgabe 1, Oktober 2005, ISBN 3-933456-37-1.

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11.10.2005 · Von Bettina Thalmaier



Die klassischen intergrationstheoretischen Paradigmen – das föderale, das funktionalistische und das intergouvernementalistische – betrachten die Legitimationsproblematik europäischer Politik jeweils aus einer input-, output- oder identitätsorientierten Perspektive. Die Fixierung auf einen vorrangigen Legitimationsmodus bei den Vorschlägen zur Reform der EU führt jedoch implizit stets zur Schwächung eines anderen Legitimationsstrangs. Die zur Erhöhung der Legitimität der EU angebotenen Optionen versprechen im Ergebnis daher keinen Legitimitätsgewinn.

Aus Sicht neuerer, sehr heterogener Integrationsansätze, wozu insbesondere der Multi-Level Governance-Ansatz gehört, wird für die Reform der EU hingegen ein mehrdimensionales Konzept benötigt, das alle drei Dimensionen von Legitimität berücksichtigt und diese entsprechend dem spezifischen Charakter der EU als Gebilde sui generis gegenseitig ausbalanciert. Speziell die soziale Legitimität des europäischen Regierens hängt jedoch nicht nur von der Rückkoppelung der europäischen Politik an die Strukturen und Prozesse der nationalen Demokratien ab, sondern vielmehr kann sich diese auch auf einen eigenen Demos, der allerdings erst in Ansätzen vorhanden, aber entwicklungsfähig ist, stützen. Die Anforderungen, die dabei konkret an eine kollektive Identität der europäischen Bürger als Funktionsbedingung europäischer Demokratie zu stellen sind, sind aber geringer als im Nationalstaat, da ein solcher – entsprechend dem Multi-Level Governance-Ansatz – auf europäischer Ebene nicht angestrebt wird. Die nicht zu leugnende empirische Änderungsresistenz der historisch gewachsenen (vor allem nationalen) Identitäten hat dazu geführt, das typische Charakteristikum einer möglichen EU-Identität in der Heterogenität und Pluralität der europäischen Staaten und Kulturen ("Vielfalt in der Einheit") zu sehen. Jedoch erscheint eine europäische Identität als offene, post-national-universalistische Identität – so sympathisch sie auch sein mag – kaum denkbar, ist doch auf der Grundlage sozialpsychologischer Ansätze stets auch eine Abgrenzung nach außen als konstitutives Merkmal erforderlich. Die Kongruenz gemeinsamer Wertvorstellungen im EU-Binnenverhältnis kann daher nicht als ausreichend angesehen werden. Andererseits ist eine scharfe Außenabgrenzung im Sinne eines festen Feindbildes zur kollektiven Identitätsbildung bei multiplen Identitäten, wie sie in der EU im Entstehen begriffen sind, nicht notwendig. Diese Anforderungen gilt es zu beachten, wenn über politische Maßnahmen und Strategien zur Herausbildung bzw. Verstärkung einer europäischen Identität nachgedacht wird.


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