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Ein Grundvertrag für die Europäische Union

Entwurf zur Zweiteilung der Verträge. C·A·P Working Paper 05/2001, Bertelsmann Forschungsgruppe Politik

01.05.2001 · Bertelsmann Forschungsgruppe Politik



Vorwort

Die Debatte über eine Verfassung der Europäischen Union begleitet seit Jahrzehnten den Prozess der europäischen Integration mit wechselnder Intensität. Durch den Vorschlag der Gruppe der Weisen vom 18. Oktober 1999 wurde eine interessante Variante in die Diskussion eingebracht. Nach dem Vorschlag von Dehaene, von Weizsäcker und Lord Simon wäre die Zeit reif für eine „Zweiteilung der Verträge". In einem ersten Teil würden alle konstitutionellen Regelungen auf eine für die Bürger nachvollziehbare Art und Weise zusammengeführt, während in einem zweiten Teil die Ausführungsbestimmungen gesammelt wären. Die Reaktionen auf diesen Vorschlag waren kontrovers. Während die Kommission und das Europäische Parlament diesem Vorhaben eher positiv gegenüberstehen, halten vor allem die Mitgliedstaaten diese Initiative für unrealistisch, nicht durchsetzbar oder zumindest verfrüht.

Die Bertelsmann Forschungsgruppe Politik am Centrum für angewandte Politikforschung hat sich daher die Aufgabe gestellt, diesen Vorschlag einem Praxistest zu unterziehen. Die Prämisse unseres Entwurfes war, dass bereits in den Bestimmungen der bestehenden Verträge - ohne größere Eingriffe in den Vertragstext - viele der notwendigen Bestandteile eines solchen „Grundvertrages" enthalten sind bzw. die vorhandenen Lücken in diesem Text sichtbar gemacht würden. Das Ergebnis sollte ein bürgernahes, transparentes und stringentes Grunddokument für die Europäische Union sein. Eine europarechtlich eindeutige Trennung wurde bei diesem Vorhaben nicht angestrebt. Die Verknüpfung der jeweiligen Grund- und Ausführungsbestimmungen durch Verweise kann aber durch Standardformulierungen in Anlehnung an die Verfassungspraxis der EU-Staaten erfolgen. Die Ausführungsteile müssten entsprechend systematisch aufgebaut werden.

Wir haben daher in einem ersten Schritt eine Gliederung für den Grundvertrag entwickelt. Als Zweites wurden alle Artikel aus dem EU-Vertrag und dem EG-Vertrag, die konstitutionellen Charakter tragen, dieser Gliederung zugeordnet. In einem dritten Schritt wurden die einschlägigen Artikel der einzelnen Vertragsteile in eine systematische Ordnung gebracht. In mehreren Durchläufen wurde der Entwurf um weitere Artikel bzw. einzelne Absätze gekürzt, da erst durch die Neuordnung bestehende Überschneidungen und Wiederholungen erkennbar wurden. Abschließend wurden die letztlich verbliebenen Artikel neu durchnummeriert und als einziger Eingriff in die bisherigen Formulierungen die Artikelverweise und andere Bezüge angepasst, damit ein kohärenter Text entstand.

Das wichtigste Ergebnis dieser Unternehmung ist, dass bereits der heutige Rechtsbestand des EU- und EG-Vertrages einen nahezu vollständigen Grundvertrag mit allen notwendigen Rahmenbedingungen enthält. Nicht minder wichtig erscheint uns, dass die Zweiteilung in der Tat zu einem lesbaren Grunddokument führt - zu einem Text, der jedem Bürger zur Lektüre und Lehrern wie Studenten als Arbeitsgrundlage empfohlen werden kann. Eines verfassungspolitischen Urknalles bedarf es im Lichte unserer Übung nicht - das meiste hat sich, wenn vielleicht vielfach zu leise, in den Entwicklungsschritten der europäischen Integration bereits eingestellt. Damit sollen die im Prozess der Teilung zu klärenden Rechtsfragen nicht gering geachtet werden. Hier ist die Expertise der Europarechtler gefordert und manche der Rechtsfragen werden nicht rechtsorientiert, sondern letztlich wieder europapolitisch zu entscheiden sein.

Nachbesserungsbedarf besteht unseres Erachtens vor allem im Bereich der Grund- und Menschenrechte sowie in der Frage der Arbeitsteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten, also in der Kompetenzzuordnung. Während das erste Problem durch die derzeit entstehende Grundrechtscharta und ihre Einbindung in den Grundvertrag gelöst werden könnte, bleibt die Frage eines klaren Kompetenzgefüges sicherlich eine der größten Herausforderungen für die Zukunft der EU. Da eine „Drei-Säulen-Struktur" für einen transparenten Grundvertrag kontraproduktiv wäre, sind zunächst auch Ausnahmeregelungen für die zweite und dritte Säule zu formulieren, solange diese nicht unter die Gemeinschaftsverfahren fallen. Weitere Anmerkungen und Hinweise auf zu lösende Probleme finden sich darüber hinaus in den Fußnoten zum Grundvertrag. Dieser Aufwand sollte jedoch dem erkennbaren Nutzen eines Grundvertrages gegenübergestellt werden: Wenn es gelänge, aus dem komplexen Vertragsgefüge, das Politiker und Diplomaten über viele Jahre gebaut haben, eine verständliche, weil nachvollziehbare Grundordnung zu destillieren, die den Geist der europäischen Einigung auf den politisch-institutionellen Punkt bringt, dann wäre für die Transparenz und Akzeptanz Europas viel gewonnen.

München, im Mai 2000


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