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The World Is Flat: A Brief History of the Twenty-first Century

Globalisierung 3.0 nach Thomas L. Friedman

The World Is Flat: A Brief History of the Twenty-first Century. By Thomas L. Friedman, New York 2005.

Rezension von Florian Baumann


15.02.2006 · Florian Baumann


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Globalisierung 3.0

Wie die Erde wieder zur Scheibe wurde

Im August 1492 war Christoph Kolumbus aufgebrochen um zu beweisen, dass die Erde rund ist. Der New York Times Kolumnist Thomas L. Friedman erklärt sie nun wieder zur Scheibe. In seinem neuen Buch "The World is Flat" schildert der amerikanische Journalist und Publizist, wie aus unserem Globus eine flache Welt werden konnte.

Die Verflachung begann am 9. November 1989 in Berlin. Mit dem Fall der Mauer schwappte die Globalisierungswelle aus dem Westen über Osteuropa hinweg bis weit nach Asien hinein. Was Francis Fukuyama als "End of History" dargestellt hat, ist für Thomas Friedmann der Beginn einer neuen Geschichte – einer globalen Geschichte. Millionen Menschen in den ehemals kommunistischen Staaten erhielten durch 11/9 – als Analogie zu 9/11 – politische und wirtschaftliche Freiheit in bisher für sie ungekanntem Ausmaß. Zeitgleich lösten technische Neuerungen, wie das erste Windows Betriebssystem und der Netscape Browser eine digitale Revolution aus, deren Auswirkungen bis heute anhalten.

Während in früheren Phasen der Globalisierung zunächst Staaten und dann multinationale Konzerne im Vordergrund standen, geht es nunmehr um einzelne Individuen selbst. Globalisierung 3.0 "is the newfound power for individuals to collaborate and compete globally." Die Digitalisierung von Kommunikation und Arbeitsprozessen zusammen mit der Einbeziehung billiger und zugleich gut ausgebildeter Arbeitskräfte in Asien verlieh dieser Entwicklung eine enorme Kraft. Internet, E-Mail und "Work Flow Software" führten dazu, dass Berufe zeit- und ortsunabhängig geworden sind: Steuererklärungen aus Bangalore, Software aus Dalian oder Bauteile für die Boeing 777 aus Russland sind in unserer flachen Welt zum Alltag geworden. Das altbekannte Prinzip der Arbeitsteilung ist aus dem regionalen beziehungsweise nationalen in einen weltweiten Kontext aufgestiegen.

Die beiden großen Stichworte der Globalisierung sind "Outsourcing" und "Offshoring". Als Folge des globalen Wettbewerbs verlagern viele Firmen ihre Produktion ganz oder teilweise ins Ausland. Beide Phänomen sind schon aus früheren Phasen der Globalisierung bekannt. Daneben zählt Friedman zwei neue Entwicklungen – "Insourcing" und "In-Forming" – zu den Folgen der weltweiten Verflachung. Als In-Forming beschreibt er die Möglichkeit, sich Wissen und Entertainment jederzeit und überall beschaffen zu können. Informationen werden gegoogelt, E-Mails unterwegs abgerufen und Filme on demand heruntergeladen. Der Mensch im 21. Jahrhundert ist nicht mehr abhängig von Tageszeitungen, Büroräumen oder Bibliotheken. Dagegen ist Insourcing im Prinzip alter Wein in neuen Schläuchen. Im Grunde handelt es sich um das Gegenteil zum Outsourcing: Konzerne lagern Teile ihres Unternehmens in andere Firmen aus, um die dadurch entstehenden Synergien nutzbar zu machen. Der Globalisierungskenner Friedman nennt als Beispiel dafür die Trendmarke Nike. Statt ein eigenes Logistikzentrum für den Internethandel zu betreiben, hat der Sportartikelhersteller aus Eugene im US-Bundesstaat Oregon den gesamten Onlineverkauf an den Logistikkonzern UPS übertragen. Die braun gekleideten Paketboten übernehmen somit von der Lagerhaltung über die Bestellung bis hin zur Auslieferung alles, damit Nike.com zufriedene Kunden hat.

Bis zu dieser Stelle erzählt Friedman eine Geschichte von der Sonnenseite des Lebens, denn in einer flachen Welt sparen zunächst einmal alle Geld. Die Kunden und Verbraucher profitieren von fallenden Preisen und besseren Produkten. Die Unternehmen senken Kosten und schaffen nebenbei unzählige Arbeitsplätze in Schwellenländern wie China oder Indien. Durch die zunehmenden Interdependenzen im Zuge der Globalisierung ließen sich außerdem regionale Konflikte vermeiden. Friedman belegt dies mit seiner HP Konfliktpräventions-Theorie. So würden Staaten, die in die weltweite Produktionskette des Computerherstellers eingebunden sind nach Möglichkeit Konflikte untereinander vermeiden. Die Rückseite der Medaille ist hingegen merklich dunkler und Friedman stellt dies nach einigem Zögern auch so dar. Arbeitsplätze, die in Asien, Osteuropa oder anderswo neu geschaffen werden, gehen häufig in den Industrienationen verloren. Der globale Wettbewerb der Individuen, wie er in einer flachen Welt stattfindet, führt vor allem in der westlichen Welt zu Arbeitsplatzabbau, Lohndumping und deutlichen Einsparungen im sozialen Netz. Diesem Konkurrenzkampf könne entgehen, schreibt Friedman, wer zu den "Untouchables", den unberührbaren Arbeitskräften, gehört. Je geringer hingegen die eigenen Fähigkeiten – Talente oder angelernte Fertigkeiten – seien, desto größer das Risiko, ersetzt zu werden. Daraus leitet er die Devise des lebenslangen Lernens ab. Durch kontinuierliches Fort- und Weiterbilden sei es möglich, dem sicheren Zustand eines Unberührbaren näher zu kommen. Dabei ist dem scharfen Denker Friedman durchaus bewusst, dass der Einzelne diese Aufgabe wohl nicht alleine zu bewältigen vermag. Daher nimmt er die westlichen Gesellschaften als Ganzes in die Pflicht: mehr Flexibilität, bessere Ausbildung und die Eroberung von hoch spezialisierten Nischenbereichen seien für das Überleben in diesen Staaten unabdingbar. Über die Machbarkeit dieser Anpassung an die flache Welt spricht Friedman wohlweißlich kaum. "This is not a test. This is a crisis."

Damit ist die Geschichte der Verflachung jedoch keinesfalls zu Ende. So erschreckend es klingen mag, wir stehen wohl erst am Anfang. Chancen und Risiken der Globalisierung 3.0 werden auch in Zukunft unser Leben bestimmen. Zwar bezieht sich Friedmans Buch überwiegen auf die Vereinigten Staaten. Die drastischen Auswirkungen der weiter voranschreitenden Globalisierung und die daraus resultierende Verschärfung des Wettbewerbs dürften sich jedoch in allen frühindustrialisierten Gesellschaften nahezu gleich äußern. Der Anpassungsdruck auf Staaten, Konzerne und Individuen wird weiter wachsen. Neben zahlreichen Gewinnern wird es dabei viele Verlierer geben. Die Verflachung der Welt ist ein Prozess, der auch vor den Schwellenländern – zunächst ja Gewinner der Globalisierung – nicht halt macht. Symptomatisch dafür ist eine Geschichte, die Friedman aus Mexiko mitgebracht hat: Amerikas südlicher Nachbar, für viele Firmen ein gefragtes Niedriglohnland, importiert seine nationale Ikone, die Jungfrau von Guadeloupe, aus China. Die eigene Herstellung wäre zu teuer.


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