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Massaker in Norwegen - Eine Gefahr, mit der man leben muss

Mit einem Statement von Michael Bauer

25.07.2011 · news.de



Wie schützt man sich vor Anschlägen wie in Norwegen? Die Union ruft nach der Vorratsdatenspeicherung - doch die hätte die Tat kaum verhindern können. Auch in Deutschland muss mit der Gefahr radikalisierter Einzeltäter gelebt werden.

76 Menschen hat Anders Behring Breivik in Oslo getötet und Norwegen in Schock versetzt. In Deutschland stellt sich nun die Frage: Kann so etwas hier auch passieren? Und wie kann man eine solche Tat verhindern? Die Polizei malt ein düsteres Bild: «Ein gleich gelagertes Attentat kann jederzeit auch bei uns geschehen», sagte Bernhard Witthaut, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Man könne nicht in die Köpfe solcher Täter hineinschauen.

Deutsche Politiker schließen Attentate wie in Norwegen hierzulande ebenfalls nicht aus. «So etwas kann weltweit passieren, auch in Deutschland», sagte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit news.de. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sieht das ähnlich: In Deutschland gebe es auch «solche hasserfüllten Gruppen und Personen», sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Das rechtsextreme Milieu sei nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren 2003 «problematischer geworden».

Tatsächlich handelte es sich beim Täter nicht um einen radikalen Islamisten, wie von vielen zunächst vermutet. Stattdessen ist Breivik Anhänger einer kruden rassistischen, menschenverachtenden Ideologie. In seinen Äußerungen im Internet scheint er getrieben vom Hass auf Muslime und Marxisten.

Auch deutsche Parteien nannte Breivik in seinem Manifest. Mehrmals ging er auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. Der Verfassungsschutz untersuchte daraufhin, ob der Attentäter Kontakte in die rechte Szene in Deutschland hat. Hinweise darauf fanden sich bislang noch nicht: «Tat und Täter weisen nach derzeitigem Kenntnisstand keine Bezüge nach Deutschland auf», sagte ein Sprecher des Innenministeriums.

Der Innenminister beruhigt

Am Wochenende beruhigte bereits Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU): Er sehe hierzulande keine direkte Gefahr durch Terroranschläge von rechts. Hinweise auf entsprechende Aktivitäten lägen derzeit nicht vor. Es gebe keine rechtsterroristischen Strukturen in Deutschland, teilte auch das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage von news.de mit.

Trotzdem bleibt Beunruhigung zurück: Die aktuellen Ereignisse werfen einen Schatten auf andere Sommercamps junger Parteien. Auf dem Internationalen Festival der sozialistischen Jugend (IUSY) in Österreich wurden die Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht. Deutsche Organisatoren solcher Camps dagegen haben noch keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.

Die Frage ist, wie man sich überhaupt vor so einer Tat schützen kann. Für den Innenexperten der Union, Hans-Peter Uhl, liegt die Antwort in der Vorratsdatenspeicherung. «Im Vorfeld muss die Überwachung von Internetverkehr und Telefongesprächen möglich sein», sagte er der Passauer Neuen Presse. «Nur wenn die Ermittler die Kommunikation bei der Planung von Anschlägen verfolgen können, können sie solche Taten vereiteln und Menschen schützen.»

Sicherheitsexperten bezweifeln allerdings, dass die Vorratsdatenspeicherung das richtige Instrument ist. «Solche technischen Vorschläge bringen in einem Fall wie in Oslo nicht substanziell etwas», sagte der Terrorismusexperte Michael Bauer von der LMU München im Gespräch mit news.de. Bei Netzwerkstrukturen sei sie vielleicht sinnvoll. Aber: « Einzeltäter, die sich selbst radikalisieren und kaum in Netzwerke integriert sind, sind für die Sicherheitsbehörden im Vorfeld unglaublich schwer zu identifizieren.»

Warnungen vor einer Instrumentalisierung der Anschläge

Auch aus den Reihen der Politik kommt harsche Kritik an dem erneuten Vorstoß von CSU-Politiker Uhl. «Die deutsche Sicherheitsdebatte um die Vorratsdatenspeicherung hat mit den Anschlägen in Norwegen nichts zu tun», sagte SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz zu news.de. «Wir sollten das nicht miteinander vermengen und die Geschehnisse in Norwegen nicht instrumentalisieren.»

Auch die Linkspartei warnte vor einer Instrumentalisierung des Massakers für politische Forderungen. «Anschläge von fanatisierten Einzeltätern kann auch die Vorratsdatenspeicherung nicht verhindern», sagte Wolfgang Neskovic von der Linken zu news.de. «Verbrechen von Einzeltätern sind schwer zu verhindern, besonders nicht mit der Vorratsdatenspeicherung», sagte auch FDP-Rechtsexperte Christian Ahrendt. «Wer deswegen 80 Millionen Menschen unter Generalverdacht stellen will, der hat ein zweifelhaftes Bild von den Menschen.»

Und was ist mit den Äußerungen Breiviks im Internet? In einschlägigen rechten Foren hatte der Attentäter von Oslo im Vorfeld immer wieder seine wirren Theorien mitgeteilt. Doch ist es hier so gut wie unmöglich, «die Signale vom bloßen Hintergrundrauschen zu trennen und wahrzunehmen», wie es Terrorismusexperte Bauer formuliert. «Im Internet findet man viel diffamierenden und rassistischen Schrott, aber nicht hinter jedem, der so etwas postet, steht ein Amokläufer.» Ein Ansatzpunkt könnte es laut Bauer sein, den Fokus auch jenseits von islamistischen Foren stärker wieder auf rechtsradikale Inhalte zu legen.

Doch für die Sicherheitsbehörden ist es schwer, bei der Masse an Äußerungen, die jeden Tag im Netz produziert werden, den Überblick zu behalten. Laut Verfassungsschutzbericht waren Ende 2010 etwa 1000 von Deutschen betriebene rechtsextremistische Homepages online. Aus dem Innenministerium heißt es dazu: Angesichts des Datenvolumens im Internet sei eine lückenlose Überwachung «nicht leistbar». Einen Anschlag wie in Oslo lässt sich schlicht nicht mit Sicherheit vorausahnen - und kaum verhindern.


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