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„Dann macht es doch selber“

Die Bilanz von Westerwelle und Guttenberg - mit Statements von Werner Weidenfeld

Westerwelle war der deutsche Polit-Star des Jahres 2009, Guttenberg jener des Jahres 2010. Der Außenminister hat seinen Zenit wohl schon überschritten, doch den Verteidigungsminister sollte man sich merken.

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28.12.2010 · tt.com (Tirol)



Berlin – Die deutsche Politik hat im Jahr 2010 zwei ungewöhnlich steile Karrieren gesehen – die eine führte in lichte Höhen, die andere in ein dunkles Tal. Der Aufstieg des einen Mannes hat nichts mit dem Abstieg des anderen zu tun. Aber beide dienen in derselben Bundesregierung; das schärft den Kontrast und illustriert, dass Erfolg und Misserfolg in der Politik nicht allein mit allgemeinen Stimmungen erklärt werden können.

Es geht zum einen um FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle, der 15 Monate nach seinem historischen Wahlsieg um sein politisches Überleben kämpft. Und zum anderen um Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der noch nicht einmal seine Partei CSU lenkt und trotzdem wie der nächste Bundeskanzler aussieht.

Guttenberg führt im ZDF-Politbarometer die Bewertung der Spitzenpolitiker nach Sympathie und Leistung überlegen an, Westerwelle bildet das Schlusslicht. Der FDP-Chef sei der erste Außenminister, „dem es gelingt, nicht populär zu sein“, sagte der Münchner Politologe Werner Weidenfeld der Tiroler Tageszeitung.

Allerdings müsse man sich „davor hüten, Westerwelle als Niedergangspolitiker zu beschreiben“, meint Weidenfeld. Gemessen an Wahlergebnissen ist der 49-Jährige „der erfolgreichste FDP-Politiker aller Zeiten“ (Weidenfeld). Der Abstieg Westerwelles und der FDP begann ausgerechnet mit dem Eintritt in eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die so lange sein Ziel gewesen war.

Über Westerwelles Fehler und seine Probleme, von Opposition auf Regierung umzuschalten, wurde schon viel geschrieben. Sein Satz von der spätrömischen Dekadenz wurde als Angriff auf Schwächere interpretiert und als Demonstration von Kälte und Arroganz. Weidenfeld erkennt aber auch andere Gründe für den Abstieg der Liberalen, die in Umfragen wieder bei ihrem alten Stammwählerpotenzial von drei Prozent liegen.

Die Bundesregierung „hat kein klares, zukunftsorientiertes Erscheinungsbild“. Die FDP sei davon aber stärker betroffen als die Union, weil in ihrem Wahlergebnis von mehr als 14 Prozent viel „Treibsand“ war. Gemeint sind Wähler, die nicht zur traditionellen Klientel der Partei gehören und sich rasch wieder abwenden, wenn sie unzufrieden sind. Westerwelle hat als Oppositionspolitiker jahrelang Steuersenkungen gefordert, blitzte dann aber als Juniorpartner in der Regierung bei der Union ab.

Dazu kommen gezielte Querschüsse aus der Union und vor allem der FDP selbst. „Die FDP tut Beobachtern den Gefallen, dass sie sich in eine Art Selbstzerfleischung begeben hat“, sagt Weidenfeld. Jetzt fordern immer mehr prominente Liberale Westerwelles Rücktritt. Weidenfeld hält das allerdings für unklug. Denn die FDP werde bei den kommenden Landtagswahlen verlieren. „Je früher die Liberalen einen neuen Vorsitzenden wählen, desto schneller wäre er mit in der Negativspirale.“

Genau umgekehrt läuft es derzeit für den zehn Jahre jüngeren Verteidigungsminister Guttenberg. Es scheint, als könne der wohlhabende Adelsspross gar nichts falsch machen. Er spielt mit Inszenierungen – zuletzt beim Afghanistan-Besuch mit seiner Ehefrau Stephanie. Und während die Eliten die Nase rümpfen, klettern seine Sympathiewerte in Höhen, von denen der Rest des politischen Personals nur träumen kann.

Zweifellos spielt Guttenbergs äußere Erscheinung eine wichtige Rolle, wie auch Weidenfeld einräumt. Der fesche Freiherr versprüht stets Eleganz und Dynamik. Aber das alleine kann das Phänomen Guttenberg noch nicht erklären. „Was seine Attraktion ausmacht, ist ein authentisches Profil der Unabhängigkeit“, sagt Weidenfeld. Die Leute, meint der Politologe, „kennen so viele Politiker, die herumtaktieren“. Guttenberg hingegen vermittle den Eindruck: „Wenn ihr meine Politik nicht wollt, dann macht es doch selber.“ Das habe die Menschen sehr beeindruckt.

Der Bayer befehligt Soldaten im Krieg – eine schwere Hypothek für einen deutschen Politiker der Nachkriegszeit. Dennoch hat er in den Augen des Experten eine politische Meisterleistung vollbracht: Guttenberg stieß mit seiner Bundeswehrreform samt Aussetzen der Wehrpflicht zunächst auf breite Ablehnung in der Union; aber er hielt durch und jetzt wird die Reform tatsächlich umgesetzt. Alle anderen Politiker wären „bei der Massivität des Widerstands eingeknickt“, meint Weidenfeld.

Dem Mann, der sich so deutlich vom Alltagspolitiker abhebt, scheinen nun alle Türen offen zu stehen. „Wenn er zugreifen will, wird er CSU-Vorsitzender“, sagt Weidenfeld. Für Guttenberg gehe es nur um das richtige Timing. Denn danach steht eine noch größere Herausforderung an, wie auch aus Umfragen hervorgeht: „Wenn Guttenberg keine gravierenden Fehler macht, wird er zweifellos die Nummer eins sein, wenn sich die Nachfolgefrage für die Bundeskanzlerin stellt“, sagt Weidenfeld. Das könne nach der nächsten Wahl 2013 sein, aber auch schon früher.


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