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Merkel/Sarkozy: Streiten, vertragen, Griechenland retten

Mit Statements von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Wenn es drauf ankommt, passt zwischen Berlin und Paris kein Blatt Papier. Auch bei der Lösung des Griechenland-Problems sind die anderen EU-Länder nur Zaungäste.

Von FOCUS-Online-Redakteurin Christina Otten (Originalartikel)

25.03.2010 · FOCUS Online



Fast wäre es zum wohl dramatischsten Bruch in der jüngsten EU-Geschichte gekommen. Wegen des Streits um die Finanzhilfen für das überschuldete Griechenland drohte der Achse Berlin-Paris ein gefährlicher Knacks. Quasi in letzter Minute rauften sich die beiden Euro-Riesen zusammen und einigten sich auf einen Kompromiss.

Nichts läuft ohne Deutschland und Frankreich

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wollen am Donnerstag noch vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel einen entsprechenden Text präsentieren und damit den wochenlangen Streit um die finanzielle Griechenland-Rettung beilegen. Danach sollen über den Internationalen Währungsfonds (IWF) zehn bis zwölf Milliarden Euro für Griechenland mobilisiert werden. Den Rest der insgesamt benötigten 22 Milliarden würden die Euroländer zuschießen. Auf Deutschland entfiele voraussichtlich der größte Betrag.

Der Vorgang zeigt: Ohne die Allianz Deutschland-Frankreich läuft in Europa so gut wie nichts. Auch wenn die anderen EU-Staaten noch so laut schreien, solange Merkel und Sarkozy nicht zum Telefonhörer greifen und ihre Positionen auf einen Nenner bringen, herrscht in der Union Zoff und Lethargie.

Historische Verbundenheit

Es ist wie schon so oft in der Vergangenheit, der EU-Motor stockt, bis die beiden Hauptakteure wieder Öl nachgießen – ein Phänomen, das mit Adenauer/de Gaulle seinen Anfang nahm und sich wie ein roter Faden über Schmidt/Giscard d’Estaing, Kohl/Mitterand oder Schröder/Chirac bis heute zieht.

Ob deutsche Wiedervereinigung, Währungsunion oder Lissabon-Vertrag – Deutschland und Frankreich tragen seit jeher eine gemeinsame Verantwortung für Europa. Die intensive deutsch-französische Zusammenarbeit ist im Europa der 27 eine wichtige Voraussetzung, um die Europäische Integration voranzutreiben. Deutschland und Frankreich eint der Wunsch nach einer politisch geeinten und mächtigen EU. Sie sind das Zugpferd der Union, die größten Nettozahler, die Wirtschaftsmächte.

Auch bei Merkel und Sarkozy hat einmal mehr der Verstand über emotionale Verstimmungen gesiegt. Trotz zuletzt heftiger Attacken über die deutsche Exportmacht arbeiteten Frankreichs impulsiver Bling-Bling-Präsident und die rationale deutsche Kanzler im Hintergrund am gemeinsamen Paket für Griechenland.

Französischer Titel mit deutschem Inhalt

Der jüngste deutsch-französische Bündnisfall liegt erst einen Monat zurück. Beim letzten informellen EU-Gipfel am 11. Februar mischte Sarkozy Europa mit seiner Idee einer EU-Wirtschaftsregierung auf, die in Berlin auf wenig Gegenliebe stieß. Sarkozy wollte „in der Strukturkrise“ eine kontinuierliche politische Repräsentanz, auf die sich die EU voll verlassen könne. Eben eine Wirtschaftsregierung mit den Euroländer-Chefs. Resultat: Im Gipfel-Kommunique ist der Begriff einer Wirtschaftsregierung zwar aufgeführt, doch die Ausgestaltung entspricht ganz der deutschen Position: Es werden, wie Merkel es wollte, die bereits vorhandenen Fiskalinstrumente zur Bekämpfung der Krise benutzt. Von einer neuen Institution ist keine Rede. Ein französischer Titel mit deutschem Inhalt also.

Bei wichtigen EU-Entscheidungen ziehen Paris und Berlin letztlich immer an einem Strang: Wenn es brenzlig wird, stehen sie pragmatisch zueinander. Wie kein anderes passt dazu ein Zitat von Altkanzler Helmut Kohl zur Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen: „Ich weiß nicht, was mein Freund Mitterand darüber denkt, aber ich denke genauso.“

Französische Emotionen und deutsche Nüchternheit

Daniela Schwarzer, EU-Expertin bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, überrascht der Last-Minute-Deal zu den Griechenland-Hilfen daher nicht. „Ohne Deutschland und Frankreich kann die EU das Griechenland-Problem nicht lösen“, sagt sie FOCUS Online. Beide Staaten erwirtschaften fast die Hälfte des Eurozonen-BIP. Nicht nur um eventuelle Finanzhilfen aufzubringen seien beide Länder nötig, sondern auch, um den politischen Druck auf Griechenland aufrecht zu erhalten, weitgehende Reformen umzusetzen.

Die ursprünglich gegensätzlichen Ansätze Deutschland und Frankreichs im Umgang mit dem griechischen Schuldendebakel sieht Schwarzer ganz in der Tradition der jeweiligen politischen Identität. „In Frankreich ist der Reflex größer, politisch zu handeln, und wie in diesem Fall Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit der EU zu stärken. In Deutschland achtet man erst einmal auf Risiko- und Kostenminimierung.“

Elegante Vermischung der deutsch-französischen Positionen

Auch der Münchner Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld sieht die deutsch-französischen Verstimmungen im Vorfeld des Gipfels als ganz normale Machtspiele der beiden EU-Zugpferde an. „Einigen müssen sich Deutschland und Frankreich bei wichtigen Entscheidungen sowieso“, sagt er FOCUS Online. „Ohne ihr Zusammenspiel läuft gar nichts in Europa.“ Die sich jetzt abzeichnende 50/50-Einigung, also sowohl eine Finanzspritze des IWF als auch bilaterale Finanzhilfen der EU-Länder an Griechenland, sei exemplarisch für die Kompromissfindung bei zentralen EU-Fragen. Was auf dem ersten Blick aussieht wie ein Triumph der Kanzlerin, ist tatsächlich eine elegante Vermischung der deutsch-französischen Positionen, so Weidenfeld.

Im Klartext: Merkel bekommt ihre IWF-Lösung, muss aber beim Zeitplan und den freiwilligen bilateralen Hilfe nachgeben. Und Sarkozy setzt sich mit seiner Forderung durch, das Problem Griechenland nicht vollständig an den US-lastigen IWF abzugeben.

Barroso denkt an eigenes Profil

Das Dringen von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso auf ein rein europäisches Notfallpaket verbindet Weidenfeld mit dem Ziel des Portugiesen, das eigene Profil zu schärfen und als hochrangiger Vertreter der EU jede Einmischung von außen, also zum Beispiel in Form des IWF, abzuwenden. Ein zweiter Punkt sei notwendige Schützenhilfe Brüssels für die griechische Regierung. „Ohne die politische Drohkulisse der EU könnte sie die scharfen Einschnitte in der Bevölkerung gar nicht durchsetzen“, so Weidenfeld.

Kompromissmöglichkeiten deutete auch der Chef der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, an. Juncker hatte bereits am Montag eine Kombination der diskutierten bilateralen Kredite von Euro-Ländern mit einem Programm des IWF nicht ausgeschlossen.

Die anderen müssen schweigen

Das Schweigen anderer EU-Staaten erklärt Schwarzer mit der prekären Lage, in der sich derzeit auch Spanien, Italien, Portugal und Irland befänden. „Diese Länder können sich aufgrund ihrer eigenen Schwäche nicht aus dem Fenster lehnen. Ansonsten könnten die Märkte und andere Mitgliedstaaten den Schluss ziehen, dass sich diese Staaten ein Sicherheitsnetz schaffen wollen für den Fall, dass sie nach Griechenland die nächsten mit Refinanzierungsschwierigkeiten sein könnten.

Aber auch ohne Griechenlandkrise sind es vor allem Paris und Berlin, die eine Art Schlichterrolle in der inzwischen stark erweiterten Union einnehmen. „In der Regel ist es doch so, dass sich die kleinen Länder entweder in der deutschen oder in der französischen Position wiederfinden“, sagt Weidenfeld. „Und am Ende gibt es eben genau dazwischen einen Kompromiss.“


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