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Wahlprognosen - Mit geschicktem Schachzug zum Umfragengewinner

Im Gespräch mit Werner Weidenfeld

Von den news.de-Redakteuren Jens Kiffmeier und Jan Berger

Originalartikel

25.02.2009 · news.de



Die FDP sonnt sich weiterhin im Dauerhoch. In Zeiten der Krise klettert die Partei in den Umfragewerten nach oben – im Gegensatz zur Linkspartei. Zwar steht der Kapitalismus weltweit am Pranger – nur die Sozialisten schlagen aus ihrem ureigensten Thema kein Kapital.

Verkehrte Welt: Der Kapitalismus steht in der Kritik. Banker und Konzernbosse rufen verzweifelt nach dem Staat – und der zeigt sich gnädig, schnürt milliardenschwere Rettungspakete und versucht, Arbeitsplätze zu retten. Gerade die Linkspartei müsste frohlocken, denn eigentlich werden derzeit traditionell linke Politikentwürfe umgesetzt. Doch ausgerechnet die Truppe um Fraktionschef Oskar Lafontaine, die seit langem für eine Begrenzung des kapitalistischen Wirtschaftssystems eintritt und soziale Almosen verspricht, kann in den aktuellen Umfragen nicht zulegen – und das in einer Zeit, in der es vielen Deutschen schlechter geht, und sie gerade für die sozialen Versprechen der Oppositionspartei empfänglich sein müssten.

Doch in einer gestern veröffentlichten Umfrage des Hamburger Magazins Stern und des Fernsehsenders RTL sackte die Linkspartei um einen Punkt auf elf Prozent. Deutlichen Aufwind verspüren indes die Liberalen: 16, 17, 18 Prozent – solche Umfragewerte hatte die FDP lange nicht mehr in ihrer Reichweite gehabt. Doch auch in dieser Woche festigt die Westerwelle-Truppe ihre Position als drittstärkste Kraft. Zum dritten Mal in Folge knackte die FDP die 18-Prozent-Marke. Wenn also jetzt Bundestagswahl wäre, könnten sich die Freidemokraten als größter Sieger gebähren – und das obwohl Deutschland eine tiefe Wirtschaftskrise durchlebt, bei der auch die Ordnungsprinzipien des Marktes keine heilende Wirkung entfachen konnten.

Für Werner Weidenfeld ist diese Entwicklung wenig überraschend. «Es ist noch eine historisch lange Zeit bis zur Wahl», relativiert der Professor für Politische Wissenschaft an der Universität München und Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung. Das Hoch der FDP gründe sich vor allem auf ihre klare Linie und die eindeutige Haltung zur Wirtschaftskrise: «Die FDP ist die einzige Partei, die mit einem stimmigen Gesamtkonzept in dieser Frage wahrgenommen wird», sagt Weidenfeld auf news.de-Anfrage.

Vor allem die klare Forderung nach Steuersenkungen würde bei den Deutschen ankommen und verstanden werden. «Es ist den Menschen klar, dass auch die Unternehmen und Arbeitsplätze sich in einer Krise befinden. Sie suchen deshalb ein klares Konzept, das ihnen auch erklärt wird», glaubt Weidenfeld. Das sei auch die Kritik vieler an der Regierung. «Die Konjunkturpakete sind ein großes Mosaik von Einzelmaßnahmen mit einem gewissen Streueffekt auf alle. Aber kein stimmiges Gesamtkonzept.» Die Ansicht der Liberalen, dass nur Steuererleichterungen das Konsumverhalten nachträglich ankurbeln sei hingegen klar.

Auch das Gerangel um die Zustimmung zum Konjunkturpaket II verbucht Weidenfeld als geschickten Schachzug der FDP. «Man hat erst klar gesagt: ‹Das stellt uns nicht zufrieden!›». Dann habe sich der Konflikt zugespitzt und auch Menschen aufmerksam gemacht, die sich sonst wenig für Politik interessieren. Mit dem Entschließungsantrag, den die Partei zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht hat, habe man schließlich eine langfristige Perspektive gegeben. «Wer diese bessere Lösung will, muss uns wählen», interpretiert Weidenfeld den Antrag als langfristigen Wahlhinweis.

Die Wahrnehmung der Linken ist hingegen nicht so klar, trotz verschiedener Forderungen, glaubt der Politikwissenschaftler. «Die Linke findet keine klare Antwort auf die Stimmung in der Bevölkerung.» Man schätze die Linke offenbar nicht als eine Partei an, die die Wirtschaft nach oben bringen kann. Eine These, die der Bundesgeschäftsführer der Linken, Dietmar Bartsch, auf news.de-Anfrage indirekt bestätigt. «Natürlich haben wir uns genau diese Frage auch intern gestellt. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass wir vielleicht in der Außendarstellung noch etwas zulegen müssen», sagte er. Trotzdem gebe es keinen Grund zur Beunruhigung.

Bartsch setzt auf einen langfristigen Effekt. Wie real der derzeitige «FDP-Hype» sei, müsse sich erst noch erweisen. «Die Krise ist bei den Menschen noch nicht wirklich angekommen. Es wird bislang nur davon geredet, aber der Arbeitsmarkt ist noch nicht betroffen», so der Bundesgeschäftsführer. Sobald die Auswirkungen des konjunkturellen Abschwungs bei jedem einzelnen zu spüren seien, werde die Linke auch einen deutlichen Zulauf erhalten. Derzeit könne man mit den Umfrageergebnissen, die die Partei immerhin konstant im zweistelligen Bereich sehen, gut leben. «Die erste wirkliche Messung wird es im Juni bei der Europawahl geben. Und wenn wir dann auf unserem Höhepunkt sind, reicht mir das völlig», kommentierte Bartsch.


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