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Die globale Inszenierung - Bilanz des G-8 Gipfels

Ein Kommentar von Prof. Dr. Werner Weidenfeld

Der Text ist auch auf der Website der Bertelsmann Stiftung erschienen.

09.06.2007 · Abendzeitung



Heiligendamm ist weltweit bekannt geworden. Die beschauliche Ostsee-Landschaft mit historischen Bauwerken war in Amerika wie in China, in Japan wie in Afrika präsent. Gehört dies zu den Daten der Bilanz des  G-8 Gipfels? Die Frage zeigt schon an, wie schwierig eine präzise Fixierung der Ergebnisse ist. Man kann buchhalterische Typen an die intensiv vorbereiteten Schlusserklärungen setzen. Die finden dann die textlichen Festlegungen heraus: zum Klimaschutz, zur Armutsbekämpfung, zur Sicherheit, zu Weltfinanzaspekten. Sie erfahren aber nicht, was und wie viel in der Folgezeit politisch auch wirklich realisiert wird. Die bisherigen Gipfel haben eine große Geschichte der Nicht-Verwirklichung ihrer Erklärungen. Es spricht nichts dafür, dass Heiligendamm erstmals einen Gipfel bot, der anschließend Punkt für Punkt realisiert wird.

Wer also sensibel eine Bilanzierung vornehmen will, der muss sich einen Zugang zur ganzen politischen Symbolik eröffnen, die hier die entscheidende Rolle spielt. Die wahre Bilanz hat sieben Punkte:

  • Als die Gipfeltreffen vor Jahrzehnten gestartet wurden, ging es um vertrauliche Dialoge und Informationen der Spitzenpolitiker. Der kleine Kreis ist nun abgelöst durch Hunderte von Mitarbeitern und Tausende von Journalisten. Daher sind Ablauf und Ergebnisse völlig anders als früher. Die Vorbereitung der Sherpas und die Vorsondierungen der Präsidentschaft sind bereits große Medienereignisse. Jede Nuance ist dadurch vorab bekannt.
  • Die Kulissen und Dramaturgien werden in den Tagen vor dem Gipfel bereits hin und her gewendet. Es muss die großen Auftritte geben. Es muss schöne Bilder geben. Die Heimat ist mit effektvollen politischen Auftritten zu pflegen. Die innenpolitische Wirkung steht für alle Teilnehmer ganz oben auf der Prioritätenliste - vor allem bei der Gastgeberin selbst.
  • Der Protest gegen das Treffen erhält medial mindestens ebenso große Aufmerksamkeit wie das Gipfeltreffen selbst. Der Auftritt der Protestierer ist für die Medien ja mindestens so interessant, ja realer abzubilden, wie die Spitzenpolitiker selbst. Die einen gehen mit Gewalt vor und die anderen mit Humor - eine stimmige Strategie erfährt man von den Protestierern ebenso wenig wie von den Spitzenpolitikern. Der Medienaufmerksamkeit schadet dies nichts.
  • Die Ergebnistexte des Gipfels sind durch die Apparate der Teilnehmerstaaten zu fast 100 Prozent vorab fixiert. Es sind lediglich während des Gipfels noch einzelne Nuancen als politische Botschaften zu ergänzen. So wird plötzlich zum Schlüsselthema, ob die Klimaschutzdaten künftig innerhalb der UNO verhandelt werden oder nicht. Dabei ist die UNO wenige Wochen vor dem Gipfel ohne Einigung auseinander gegangen. Es gibt also zum Klima noch bedeutendere Sachverhalte, als solch eine prozedurale Frage. Zum Ritual eines Gipfels gehört die euphorische Vermittlung eines Kompromisses - und sei er noch so diffus und zurückhaltend. So hat doch Angela Merkel den Kompromiss zum Klimaschutz als ,einen großen Erfolg' bezeichnet. Dabei wurden weder die geforderten festen Daten aufgenommen, noch eine definitive Verpflichtung fixiert. Die Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 werden 'ernsthaft in Betracht gezogen'. Unverbindlicher ist es schwer vorstellbar - aber zum PR-Erfolg wird alles umgesetzt.
  • Diese Taktik der Ablenkung wird auch zum wichtigen Afrika-Thema unübersehbar: Natürlich braucht Afrika mehr Hilfsgelder. Dieser karitative Einsatz gegen Hunger und Elend ist auch emotional ergreifend. Jede Million Euro oder Dollar als wachsende Hilfe ist als Erfolg zu vermitteln. Die entscheidende Frage für Afrika bleibt aber ausgeblendet: Die Optimierung politischer Führungsorganisation in den afrikanischen Staaten ist der Schlüssel für die Zukunft. Dieses Problem bleibt ungelöst.
  • Alle Teilnehmer müssen die politische Stimmungslage in ihrer Heimat präsent halten. Andernfalls wäre ihr politisches Schicksal besiegelt. Sie können also nicht einfach in Heiligendamm für handfeste Überraschungen sorgen. US-Präsident Bush muss also die Ambivalenz seiner Gesellschaft widerspiegeln: einerseits ist Amerika zum Klima sensibler geworden, andererseits will es seiner eigenen Wirtschaft keinerlei Schaden zufügen. Der russische Präsident Putin muss mit besonders offensivem Auftreten das verwundete Selbstbewusstsein Moskaus heilen. Die aktuelle Sicherheitspolitik der Amerikaner ist ein guter Popanz für jede Drohgebärde. Andererseits gibt es terroristische Risiken und Bedrohungen, die jede Zusammenarbeit der Weltmächte rechtfertigen. Dass Putin vor diesem Hintergrund nun mit einer Idee der gemeinsamen Nutzung der Radarsysteme zur Raketenabwehr aufwartet, ist originell und zukunftsweisend. Der Gedanke gemeinsamer Abwehr sollte von Präsident Bush aufgenommen  und entsprechend ausgebaut werden.
  • Den Gipfelteilnehmern aus aller Welt ist klar: Man darf die Gastgeberin nicht desavouieren. Also muss man sie loben: Sie hat den Gesprächskreis weit über die G-8-Teilnehmer ausgeweitet: einerseits die Weltmächte der Zukunft China und Indien, andererseits Schwellenmächte aus Afrika und Lateinamerika. Wenn es nicht mehr wie früher um den persönlichen Dialog geht, dann ist diese Erweiterung sinnvoll und konsequent. Die Gastgeberin Angela Merkel ist bei ihrem Thema Klimaschutz konsequent in der Vorbereitung geblieben. Sie hat nicht jede Gefälligkeit geleistet, nur um sofort jeden Dissens zu überwinden. Jeder Teilnehmer kann daher ihre beachtliche Gesprächsführung loben, auch wenn er ihr inhaltlich nicht in jedem Detail zustimmt. Jeder stellt sich gern mit ihr auf das Familienfoto. Das wäre nicht bei jedem ihrer Vorgänger der Fall gewesen.

Die wahre Bilanz des  teuren Gipfels muss also viel differenzierter sein, als es buchhalterisch die Ergebnistexte hergeben. Es geht in der politischen Wirkung um die Konsequenz aus der großen, globalen Inszenierung. Man kann ruhig weitgehend vergessen, dass über eine Vielzahl von Themen irgendwie geredet wurde - von Kosovo bis Afghanistan, vom freien Welthandel bis zum geistigen Eigentum von der Aids-Bekämpfung bis zur Behandlung der Hedge Fonds. Für alles, was die Welt berührt, bleiben einige Minuten beim Gipfel. Aber nicht zu jedem Stichwort sucht man die historische Botschaft. Insofern sind nur zwei Wirkungen von Heiligendamm besonders gravierend: Das Problem des Klimaschutzes und die Förderung Afrikas hat über die Monate der Vorbereitung und während der Tage des Gipfels die Weltöffentlichkeit erfasst. Da entsteht zusätzliches Problembewusstsein.  Die Schwerpunktsetzung lohnt sich. Herausforderungen, die in vielen Staaten nicht sofort notwendiges Gewicht und notwendige Sensibilität vorfanden, haben nun weltweit die politische Kultur und das Selbstbewusstsein verändert. Der Erfolg des Gipfels liegt also auf einer ganz anderen Ebene. Es geht nicht primär um die kleinen taktischen Text-Ergebnisse. Es geht um die große Bewusstseinsveränderung. Dazu können weltgrößte Inszenierungen nützen. Der Gipfel weist Erfolg in einer spezifischen Münze auf: in den Veränderungen der politischen Kultur. Daran müssen aber Gastgeberin wie Teilnehmer langfristig engagiert weiterarbeiten.


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